Wolfgang Huste Polit- Blog

„Der Protest muß zur Bürgerpflicht werden«. Die Platzbesetzung in Frankfurt am Main sollte auf andere Städte ausstrahlen. Ein Gespräch mit Peter Grottian. Interview: Peter Wolter

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Peter Grottian ist emeritierter Politikprofessor in Berlin und gehört dem wissenschaftlichen Beirat von ATTAC Deutschland an

In rund 800 Städten weltweit wurde am Samstag gegen die Finanzmächte demonstriert, auch in Deutschland waren Tausende auf den Straßen. Sind diese von »Occupy Wall Street« inspirierten Proteste der »Anfang einer machtvollen Zivilbewegung«, von der Sie in Ihrer Rede vor den Demonstranten in Frankfurt am Main sprachen?

Ja, es ist ein erster Anfang. Und der ist insofern überraschend, weil keine großen Gruppen, Organisationen oder Gewerkschaften dazu aufgerufen hatten, sondern kleine Netzwerke – sicher, auch mit Hilfe von ATTAC. Das Protestgemisch ist relativ neu – unter den Demonstranten gibt es Linke, von Sozialkürzungen direkt Betroffene, normale Bürger. Sehr viele junge Leute, aber auch Ältere. Ich würde sagen, daß die Aktiven in der Regel zwischen 18 und 35 Jahre alt sind.

Ist das vielleicht auch der Beginn eines neuen, kreativeren Politikstils? Weg von den üblichen Protestformen, die seit Jahrzehnten fast unverändert praktiziert werden?

Diejenigen, die am Samstag vor der Europäischen Zentralbank (EZB ) ihre Zelte aufgeschlagen haben, begreifen sich als »Bewegung von unten«. Sie achten mitunter ein wenig rigide darauf, daß große Organisationen wie ATTAC, Parteien, Gewerkschaften gar nicht erst das Sagen bekommen. Sie wollen den Bürgeraufstand von unten.

Sie waren sogar so rigide, Fahnen der Linkspartei zu verbannen …

Ich war dabei, als das geschah. Der Veranstalter hat in der Tat dazu aufgefordert, daß die drei, vier Parteifahnen eingerollt werden. Das ist eben das Selbstverständnis dieser Bewegung, was ich auch gut verstehen kann. Auf Dauer wird sie aber nicht darum herumkommen, auch die Aufmüpfigen in den jeweiligen Parteien für sich zu gewinnen.

Das Neue in Frankfurt ist, daß das Camp vor der EZB kein einmaliges Ereignis ist, sondern eine auf Dauer angelegte Aktion. Die Demonstration und die anschließende Kundgebung am Samstag waren zwar von einem neuen Protestgemisch geprägt, entsprachen aber dennoch eher dem traditionellen Typ. Jetzt aber kommt es darauf an, diesen Anfang in eine Dauerdemonstration zu überführen. Es sollten daher möglichst viele Leute aus Frankfurt und Umgebung zu diesem Camp hinzukommen. Gut wäre es auch, wenn Gewerkschafter, Geistliche, Schriftsteller oder Hochschullehrer dazu eingeladen würden, wie es uns die Demonstranten in New York und in Spanien vorgemacht haben. Wir müssen verhindern, daß die Platzbesetzung als einmaliges Medienereignis abgefrühstückt wird, sie muß eine Dauerdemonstration werden, die auf die gesamte Republik ausstrahlt. Das könnte dann Basis sein für weitere Demonstrationn, auch für Provokationen oder zivilen Ungehorsam.

Die Forderungen der »Occupy«-Bewegung haben hierzulande große Resonanz gefunden. Selbst SPD, Grüne und sogar Unionspolitiker sind jetzt überraschenderweise dafür – ist das der Versuch einer Vereinnahmung oder eine reelle Chance, daß sich etwas bewegt?

Es ist ausgesprochen unglaubwürdig, wenn sich die etablierten Parteien an die Bewegung anzuhängen versuchen. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU hat nichts gegen die Macht der Banken unternommen, sie ist eine Schleiereule der ökonomischen Macht. Und Peer Steinbrück von der SPD ist eher der Typ des Gummilöwen, der laut brüllt, aber nichts tut. So war er auch schon zu seiner Zeit als Bundesfinanzminister. Und SPD-Chef Sigmar Gabriel ist dafür bekannt, daß er sich lediglich aufplustert.

Die weltweite Protestwelle hat sie aufgeschreckt, sie heucheln Verständnis und biedern sich an, um die Bewegung tödlich umarmen zu können. Wir sollten uns auch nicht davon täuschen lassen, daß sogar Medien wie die stockkonservative Frankfurter Allgemeine Zeitung oder Bild freundlich über die Proteste berichtet haben.

Wie kann die Bewegung noch stärker werden?

Sie sollte diejenigen sammeln, die als Bündnispartner in Frage kommen. Das wichtigste aber ist, daß sie die Bevölkerung mit ihren unterschiedlichsten Meinungen und Betroffenheiten anspricht. Der gemeinsame Protest muß klarmachen, daß das Bankensystem die Menschen nicht mehr so beherrschen darf wie bisher. Das ist auch der Grundtenor, den ich bei vielen Gesprächen auf der Demonstration und aus den Beiträgen der Redner herausgehört habe. Der Protest gegen das Finanzsystem und der zivile Ungehorsam müssen zur Bürgerpflicht werden.

Quelle: www.jungewelt.de vom 18.10.11

Dieser Beitrag wurde am Dienstag, 18. Oktober 2011 um 11:04 Uhr veröffentlicht und wurde unter der Kategorie Blog abgelegt. Du kannst die Kommentare zu diesen Eintrag durch den RSS-Feed verfolgen.

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