Das Strafverfahren wegen Beleidigung gegen den stellvertretenden Landessprecher der LINKEN.NRW, Thies Gleiss, ist am Mittwoch mit einem Freispruch in zweiter Instanz zu Ende gegangen. Ob die Staatsanwaltschaft in Revision geht, ist noch unklar. Mit viel persönlicher Unterstützung für den Angeklagten und Protesterklärungen an das Gericht gab es zu diesem Prozess Solidarität und Öffentlichkeit weit über die Gerichtsmauern hinaus, ohne die das Verfahren auch anders hätte ausgehen können.
Thies Gleiss war angeklagt, die Soldaten der Bundeswehr beleidigt zu haben, weil er in einem Artikel für
die Zeitung JungeWelt von „Mördersoldaten“, die von SPD und Grünen in den Krieg geschickt wurden, geschrieben hatte. Gerhard Militzer, der Anwalt von Thies Gleiss, zum Freispruch: „Das Landgericht Berlin hat sich, im Gegensatz zum Amtsgericht, vollumfänglich der Rechtsaufassung der Verteidigung angeschlossen.
Es hat berechtigte Zweifel geäußert, ob allein der Gebrauch des Wortes „Mördersoldaten“ tatbestandsmäßig überhaupt eine Beleidigung sein kann. Jedenfalls sei die Aussage des Beschwerdeführers durch das Grund- und Menschenrecht der Meinungsäußerungsfreiheit gerechtfertigt. Sie stelle unzweifelhaft einen Beitrag zu einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage dar und sei deshalb nicht strafbar. Das Landgericht Berlin hat mit dem Freispruch richtigerweise deutlich gemacht, dass auch scharf formulierte Kritik am Kriegseinsatz der Bundeswehr in Afghanistan zulässig ist.“
In einem zweiten Verfahren am selben Tag vor dem Berliner Amtsgericht wurde Inge Viett wegen eines Beitrages in der JungenWelt und auf der Rosa-Luxemburg-Konferenz zu einer Geldstrafe in Höhe von 1200 Euro verurteilt.
Das Gericht sah in ihren Auslassungen zu den Kriegen der Bundesregierung und Brandanschlägen gegen Bundeswehrfahrzeuge einen Aufruf zu und Billigung von Straftaten. Wie das erstinstanzliche Urteil gegen Thies Gleiss ist auch dieses Urteil in keiner Weise mit dem Recht auf Meinungsäußerung und der Pressefreiheit vereinbar. Bis zur zweiten Verhandlung muss die Solidarität mit Inge Viett also weitergehen, damit auch dieses Verfahren mit dem einzig vertretbaren Urteil endet: Freispruch.
Katharina Schwabedissen und Hubertus Zdebel
LandessprecherInnen DIE LINKE. NRW
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Meinungsprozesse. Kriegsgegner vor Gericht: Thies Gleiss freigesprochen, Inge Viett zu Geldstrafe verurteilt. Staatsanwaltschaft forderte für sie sogar eine Haftstrafe. Von Claudia Wangerin und Markus Bernhardt
Gleich zwei Kriegsgegner mußten sich am Mittwoch in Berlin wegen Meinungsäußerungen auf den Seiten und bei einer Konferenz der jungen Welt vor Gericht verantworten. Während das Berliner Landgericht Thies Gleiss, dem die Verwendung des Wortes »Mördersoldaten« vorgeworfen wurde, freisprach, verurteilte das Amtsgericht Berlin-Tiergarten Inge Viett wegen »Billigung und Belohnung von Straftaten« sowie angeblicher »Störung des öffentlichen Friedens« zu einer Geldstrafe von 80 Tagessätzen zu je 15 Euro. Die Staatsanwaltschaft hatte für die 67jährige sogar eine Haftstrafe von drei Monaten ohne Bewährung gefordert, weil sie es »als legitime Aktion« bezeichnet hatte, falls als »Antikriegsaktion Bundeswehr-Ausrüstung abgefackelt« werde, wenn Deutschland Krieg führe. Ebenso verhalte es sich auch bei »wilden Streikaktionen, Betriebs- oder Hausbesetzungen, militanten antifaschistischen Aktionen, Gegenwehr bei Polizeiattacken etc.«, hatte Viett bei der von jW veranstalteten 16. Internationalen Rosa-Luxemburg-Konferenz befunden. Der Staatsanwalt sah »keine günstige Sozialprognose« für die ehemalige Aktivistin der Stadtguerillagruppen Bewegung 2. Juni und Rote Armee Fraktion (RAF), die bereits eine mehrjährige Haftstrafe abgesessen hatte. In der linken Szene gelte sie als »Leitfigur«, sei wegen »Widerstandes gegen staatliche Organe« vorbelastet und verfüge über eine »verfestigte politische Überzeugung«. »Auf das Recht auf Meinungsfreiheit kann sich die Angeklagte nicht berufen«, so der Ankläger, da es sich um keine »Spontanäußerungen« gehandelt habe. Zudem konstruierte die Staatsanwaltschaft einen Zusammenhang zwischen der Textpassage in Vietts Referat und im Jahr 2009 begangenen Anschlägen auf Bundeswehr-Fahrzeuge.
Vietts Rechtsanwalt Sven Richwin widersprach dem energisch und plädierte auf Freispruch. Bei gewissenhafter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts in Sachen freie Meinungsäußerung trage die Anklageschrift eine Verurteilung nicht, so Richwin. Rund 30 Zuhörer applaudierten, als die Angeklagte eine politische Prozeßerklärung verlas (vorab veröffentlicht in jW). Sie will gegen das Urteil Rechtsmittel einlegen.
Der inkriminierte jW-Artikel von Thies Gleiss (»Rat zur Bescheidenheit«, 20. Mai 2010) befaßte sich dagegen mit den Sondierungsgesprächen zu Koalitionsverhandlungen der Linkspartei mit SPD und Grünen in Nordrhein-Westfalen. Als Bedingung für Verhandlungen hatten SPD und Grüne seinerzeit gefordert, Die Linke müsse ihr Verhältnis zur DDR klären. »Sollen wir etwa mitspielen«, fragte Gleiss, seinerzeit formal einfaches Mitglied der Linkspartei und heute stellvertretender Landessprecher. »An der Berliner Mauer starben 136 Menschen eines gewaltsamen Todes, das ist unmenschlich und verbrecherisch, aber in Afghanistan haben von SPD und Grüne geschickte Mördersoldaten schon deutlich mehr Menschen umgebracht. Vielleicht sollten SPD und Grüne am ersten Verhandlungstag erst einmal ihr Verhältnis zum Krieg klären – und dann?« Gleiss erhielt daraufhin einen Strafbefehl wegen »Beleidigung anderer Personen«, gegen den er Einspruch einlegte. In erster Instanz verurteilte ihn das Amtsgericht Berlin-Tiergarten zu einer Geldstrafe von 2500 Euro. Staatsanwalt und Gericht sahen eine Ehrverletzung der in Afghanistan stationierten Bundeswehrsoldaten als gegeben an. In der Berufungsverhandlung am Mittwoch folgte das Berliner Landgericht den Argumenten des Verteidigers, der sich auf das Recht auf freie Meinungsäußerung nach Artikel 10 der Europäischen Menschenrechtskonvention berief. Im Rahmen einer öffentlichen politischen Debatte seien in bestimmten Fällen auch beleidigende Äußerungen geschützt, wenn sie keine privaten Auswirkungen hätten. Die Staatsanwaltschaft hatte argumentiert, in Gleiss’ Artikel fehle eine sachliche Auseinandersetzung mit dem Afghanistan-Krieg, er sei nicht Schwerpunkt seiner Ausführungen. Es gehe vielmehr darum, politische Gegner in ein schlechtes Licht zu rücken. Die Richterin begründete aber den Freispruch mit der Zulässigkeit einer Polemik, mit der der Angeklagte im Rahmen einer öffentlichen Debatte die Doppelmoral seiner politischen Gegner habe anprangern wollen.
Quelle: http://www.jungewelt.de vom 25.11.11
Comment: Wolfgang Huste – 24. November 2011 @ 14:12