Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) scheint, sieht man ihn vor der Kamera um »Vertrauen« für den Staat bittend, immer noch nicht seinen Schrecken ob der Tatsache überwunden zu haben, daß da quasi über Nacht und überhaupt nicht voraussehbar eine seit über einem Dutzend Jahre durchs Land ziehende neonazistische Mörderbande öffentlich geworden ist. Und das bei Existenz von über 30 klandestinen, zur Bewahrung der »wehrhaften Demokratie« geschaffenen Diensten. Einer davon, der »Verfassungsschutz«, oder kurz: VS, fällt allerdings, weil von Beginn an weitgehend anderweitig beschäftigt, für dieses »Sachgebiet« aus. Der Bremer Rechtsanwalt Rolf Gössner nennt darum auch den Titel dieser staatlichen Institution »eine recht schönfärberische Bezeichnung für einen veritablen Regierungsgeheimdienst – ein Euphemismus, vergleichbar der Rakete, die den Namen ›Peacemaker‹ trägt, oder dem Atommülllager, das als ›Entsorgungspark‹ firmiert«. Der VS, ein »ideologisches Kind des Kalten Krieges« mit der »Lizenz zur Infiltration, Täuschung, Manipulation, Gesinnungsschnüffelei und Desinformation«, so Gössner, wurde aufgebaut zur »Absicherung des westdeutschen ›Bollwerks gegen den Kommunismus‹« (Rolf Gössner: Geheime Informanten. V-Leute des Verfassungsschutzes: Kriminelle im Dienst des Staates. Knaur Taschenbuch, München 2003).
Hinter den hohen Mauern dieses Bollwerks hat sich der »Dienst« heute noch immer eingegraben. Es blieb dem Fraktionsvorsitzenden der Partei Die Linke, Gregor Gysi, vorbehalten, bei der Bundestagsdebatte am 22. November zu fordern, den Verfassungsschutz auf den Prüfstand zu stellen und, ohne dabei ein Echo im »Hohen Haus« zu finden, das Ende der Überwachung seiner Partei und aller antifaschistischen Organisationen zu verlangen.
Ähnliches war vor 50 Jahren in der Hamburger Wochenzeitung Die Zeit zu lesen gewesen. Ihm scheine es geboten, hatte dort der Stuttgarter Oberlandesgerichtspräsident Dr. Richard Schmid geschrieben, »die Verfassung vor den Verfassungsschutzämtern zu schützen« (Die Zeit, 29.12.1961). Das DGB-Blatt Welt der Arbeit hatte da schon unter Berufung auf eine Untersuchung der Gewerkschaft Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr (ÖTV) berichtet, daß im Bundesland Nordrhein-Westfalen »mindestens 200 SD- und Gestapoangehörige in leitenden Polizeifunktionen an Rhein und Ruhr amtieren« (Welt der Arbeit, 9.10.1959).
Am 3. September 1963 legte Metall, das Organ der gleichnamigen Industriegewerkschaft, bei Nennung einer Anzahl von Namen der beim VS Beschäftigten, nach: »Der Verfassungsschutz der Bundesrepublik ist Todfeinden der Freiheit und des Rechts anvertraut. Frühere SS-Führer, ehemalige Beamte und Agenten des berüchtigten SD sind an wichtigsten Stellen des Bundesverfassungsschutzamtes tätig.« Hier war Hubert Schrübbers, Präsident des VS von 1955 bis 1972, das herausragende Beispiel für den unverfrorenen Einbau altgedienter Faschisten in das »Bollwerk gegen den Kommunismus« (siehe auch junge Welt, 24.11.2010).
Damit waren, ähnlich wie in der Justiz oder in der jungen Bundeswehr, all die wieder rekrutiert worden, die sich in den Jahren der faschistischen Herrschaft die Hände blutig gemacht hatten bei der gnadenlosen Jagd gegen diejenigen, die auf dem europäischen Kontinent Widerstand gegen die Kriegsmaschinerie und den damit einhergehenden braunen Terror leisteten.
Nun drohte den Überlebenden dieses Terrors im »Rechtsstaat« BRD zwar nicht mehr die Todesstrafe oder das Konzentrationslager. Aber parallel zu den Gesetzen zur Quasi-Amnestierung der Jäger von damals erfolgte die in den Verfassungsschutzberichten einiger Bundesländer bis in die Gegenwart reichende neuerliche Bannung der antifaschistischen Organisationen als »Linksextremisten« (siehe unten). Dafür stehen aus den Gründerjahren u.a. die Ausnahmeverordnung vom 19. September 1950, durch die es Angehörigen des öffentliche Dienstes verboten worden war, Mitglied der KPD oder der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN) zu sein; der vor 60 Jahren am 22. November 1951 beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe gestellte Antrag auf Verbot der KPD und Verfügungen der Bundes- und Landesbehörden zum Verbot der VVN.
In der Bundesrepublik greife »die Unsitte immer mehr um sich, politisch Andersdenkende zu diffamieren«, konstatierte das DGB-Organ Welt der Arbeit (14. April 1961) in einem Beitrag über den Geist der von Bonn verordneten und von den Ämtern des Verfassungsschutzes exekutierten Politik. Das Blatt zitierte den damaligen ÖTV-Vorsitzenden Adolph Kummernuß: »Die Bundesrepublik entwickelt sich zum klassischen Land des Rufmordes.« Nur »zu schnell und leichtfertig« werde jeder ernsthafte Kritiker »als Kommunist und Drahtzieher Moskaus« verschrien, war am 3. August 1962 im Westdeutschen Tageblatt zu lesen. »Die Methode ist gleichermaßen hinterhältig wie bequem.«
Das könnte heute geschrieben sein. Denn die »Hirten« beim VS lassen keinen aus, den sie einmal ins Visier genommen haben. Als der 2006 verstorbene Kommunist Kurt Baumgarte – zwölf Jahre Zuchthaus im Faschismus, 24 Monate Gefängnis unter Adenauer – 1991 im Alter von 79 Jahren Auskunft über seine Akte forderte, erhielt er vom niedersächsischen Innenministerium detailliert Daten seines politischen Lebens aufgelistet. Endend mit der ihn beruhigenden Versicherung: »Die einschlägigen Vorgänge werden fortgesetzt.«
Quelle: www.jungewelt.de vom 08.12.11
« Deutsche Waffen überall. Von Jörn Boewe – Bremen nimmt Neonazis Waffen ab »
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