Seit Bestehen der Bundesrepublik gehörten ein aggressiver Antikommunismus und die gegen linke politische Bewegungen gerichtete Repression zur westdeutschen Staatsdoktrin. Im Jahr 2000 wurden allerdings Nazigegner beim vom damaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) ausgerufenen »Aufstand der Anständigen« Opfer der Umarmungsstrategie selbsternannter Demokraten, derzeit aber werden sie wieder einmal per »Extremismustheorie« mit Neofaschisten gleichgesetzt: Rot gleich Braun.
Eine besonders einflußreiche pressure group für die Propagierung dieser Formel ist der »Veldensteiner Kreis zur Geschichte und Gegenwart von Extremismus und Demokratie«, dessen Anhänger sich seit 1990 zweimal im Jahr treffen. Angeblich fühlt man sich dort dem Einsatz für die Demokratie verpflichtet. Organisiert werden die Tagungen von den Professoren Eckhard Jesse (Technische Universität Chemnitz), Uwe Backes (Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung Dresden) und Werner Müller (Universität Rostock). Als »Ort wissenschaftlicher Diskussion« hat sich das unter anderem aus Zeithistorikern, Politik- und Sozialwissenschaftlern bestehende Netzwerk – eigenen Angaben zufolge – dem Ziel verschrieben, die »vergleichende Extremismusforschung« zu fördern. Dieses Ziel verbinde der »Veldensteiner Kreis« mit »dem Engagement für den demokratischen Verfassungsstaat«, heißt es auf der Internetseite der Vereinigung. Bei ihren Tagungen treten unter anderem so prominente Referenten wie der ehemalige Leiter der Stasi-Unterlagenbehörde Joachim Gauck, der Leiter der Stasi-Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen Hubertus Knabe oder auch der deutsch-französische Parteienforscher Patrick Moreau auf. Seine wissenschaftliche Reputation litt allerdings etwas, als herauskam, daß er in Pamphleten gegen die damalige PDS in Thüringen eigene Pseudonyme (Peter Christian Segall, Hermann Gleumes) nutzte, um sich selbst zu zitieren.
Moreau trat mehrfach auf Veranstaltungen des Thüringer Landesamtes für Verfassungsschutz (LfV) auf und veröffentlichte in der Heron-Verlagsgesellschaft, einem Tarnunternehmen der Spitzelbehörde, die 1997 vom damaligen Thüringer Verfassungsschutzpräsidenten Helmut Roewer unter dem Decknamen Stephan Seeberg gegründet worden war. Roewer gilt als eine der Schlüsselfiguren im größten Geheimdienstskandal der deutschen Nachkriegsgeschichte. Fest steht: Die Mitglieder des neofaschistischen Terrornetzwerkes »Nationalsozialistischer Untergrund« (NSU), vor allem Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe, wurden von den Inlandsgeheimdiensten zum Teil finanziert, beobachtet, aber nicht behelligt. Sie konnten untertauchen, mehrere Banken ausrauben, neun Migranten und die Polizistin Michèle Kiesewetter ermorden sowie 2004 in Köln einen Nagelbombenanschlag 2004 verüben.
Der ehemalige Bundeswehr-Panzeroffizier Roewer, der heute im als rechtsextrem eingestuften Ares-Verlag Graz publiziert, war von 1994 bis Herbst 2000 Präsident des Thüringer Verfassungsschutzes. Unter seiner Leitung produzierte das Landesamt im Jahr 2000 einen für den Schulunterricht vorgesehenen Film über »jugendlichen Extremismus in der Mitte Deutschlands«, der im Auftrag von Heron entstanden ist.
Während autonome Antifaschisten in dem Film als gewaltbereit diffamiert wurden, konnte ausgerechnet der V-Mann Tino Brandt als Kopf des neofaschistischen »Thüringer Heimatschutzes«, aus dem die Terrorgruppe NSU hervorging, darin ein Bekennntis zu prinzipieller Gewaltlosigkeit der Rechten abgeben.
Auch Helmut Roewer soll bereits als Referent beim »Veldensteiner Kreis« aufgetreten sein. Gelegenheit zu einem neuerlichen Auftritt hätte er bald wieder: Die Herrschaften tagen vom 13. bis 15. April im Schloß Wendgräben bei Magdeburg, das von der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung betrieben wird.
www.jungewelt.de vom 02.12.11
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