Am Montag wird der Prozeß zum Feuertod von Oury Jalloh in der Zelle Nummer fünf im Dessauer Polizeigewahrsam im Jahr 2005 vorm Landgericht Magdeburg in zweiter Instanz fortgesetzt. Nach sieben Jahren wird nun gegen den Dienstgruppenleiter des Reviers, Andreas Schubert, wegen »fahrlässiger Tötung« verhandelt. Die Initiative Oury Jalloh ist der Ansicht, daß der Fall noch immer nicht aufgeklärt wird – wie sehen Sie das?
In den vergangenen Monaten sind neue Widersprüche in Zeugenaussagen und im Brandgutachten aufgetaucht. Diese stehen der Hypothese deutlich entgegen, Oury Jalloh habe sich in der Zelle – an Händen und Füßen gefesselt und auf einer feuerfesten Matratze! – selber angezündet. Von daher müßten andere Wege gegangen werden, beispielsweise durch ein neues Brandgutachten oder eine härtere Befragung der Polizisten. Es ist kaum mehr zu übersehen, wie es im Prozeß läuft: Alles, was die These einer vermeintlichen Selbstentzündung des Asylbewerbers aus Sierra Leone unterstützt, läßt man durchgehen, was dem entgegensteht, wird abgebogen.
Wie läuft das praktisch ab?
Das Gutachten, das zeigen sollte, wie Oury Jalloh sich selber angezündet haben könnte, ist nicht nachvollziehbar. Versuchsfilme zeigen, daß es so nicht gewesen sein kann: An einer Stelle ist zu sehen, wie ein Polizist in die schwerentzündbare Matratze hineinpusten muß, um sie in Brand zu stecken; an anderer Stelle wie einer die Matratze hochhebt, mit dem Fuß darauf tritt, und das Futter auseinander reißt, um sie zu entzünden. Daß der an Händen und Füßen gefesselte Oury Jalloh das so gemacht haben soll, kann nicht sein. Obendrein hat der Brandgutachter zugegeben, sein Gutachten auf Anordnung der Polizei erstellt zu haben.
Der Fall, daß das Feuer von Polizisten angezündet worden sein könnte, wurde nicht durchgespielt?
Nein, sobald ein Versuch der vermeintlichen Selbstentzündung nicht geklappt hat, ordnete das Gericht an: »Wir brauchen einen neuen«. All das wirft bei den schwarzen Freunden der Initiative Oury Jalloh verständlicherweise Zweifel auf.
Nach Auskunft der Initiative Oury Jalloh haben Polizisten den Anmelder der Kundgebung, Mouctar Bah, in seinem Internetcafé aufgesucht und unter Druck gesetzt. Demnach soll der Slogan verboten sein: »Oury Jalloh, das war Mord«. Stimmt das?
Das kann die Polizei nicht als Demonstrationsauflage machen: Es handelt sich um eine allgemeine Aussage, die niemanden beleidigt. Bürgerinnen und Bürger äußern sich so: »Wir haben eine andere Vorstellung davon, was in diesem Polizeirevier passiert ist.« Und dieses Grundrecht auf freie Meinungsäußerung kann man ihnen nicht nehmen. Das Gut der Rede- und Versammlungsfreiheit muß geschützt werden. Es ist doch klar, daß keiner der Aktivisten sagen wird: Ich demonstriere seit sieben Jahren unter dieser Parole, aber heute nicht! Und deshalb bin ich überzeugt, daß alle wieder sagen, daß es Mord in der Polizeizelle war.
Am Samstag wollen unter anderem der evangelische Kirchenkreis Dessau, der Ausländerbeirat und die Beratungsstelle für Opfer rechter Straf- und Gewalttaten und die Stadt Dessau bei einer Mahnwache vor dem Polizeirevier »ein Licht für Oury Jalloh« anzünden. Können Sie nachvollziehen, warum die schwarzen Aktivisten das nicht ausreichend finden?
Ich kann die schwarze Community gut verstehen. Sie wollen, daß dieses Verbrechen endlich aufgeklärt wird. Jetzt läuft alles auf »fahrlässige Tötung« hinaus, aber was tatsächlich am 7. Januar vor sieben Jahren in dieser Zelle in Dessau geschehen ist, bleibt im dunkeln. Es muß doch jeden Bürger erschrecken: Da stirbt jemand an Händen und Füßen gefesselt im Polizeigewahrsam – und es ist nicht annähernd herauszufinden, wie das genau passiert ist. Da genügt es nicht, eine Kerze anzuzünden.
Samstag: Kundgebung der Initiative Oury Jalloh, 13 Uhr, Hauptbahnhof Dessau; Montag: Prozeß, 9.30 Uhr, Landgericht Magdeburg, Saal A 23
Quelle: www.jungewelt.de vom 07.01.12
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