Wolfgang Huste Polit- Blog

Brauner Sumpf. Warum die Entnazifizierung der hessischen CDU bis heute aussteht und selbst offen auftretende Neonazis in der Partei nicht weiter auffallen. Von Achim Kessler

Tags:

Wie schon oft hat die hessische CDU in der vergangenen Woche mit der Forderung nach einem generellen Burka-Verbot mit einer rechtspopulistischen Forderung am äußerst rechten Rand gefischt. »Wer hier lebt, muß auch bereit sein, sein Gesicht zu zeigen«, lautet die fadenscheinige Begründung. Wäre die Forderung nicht grundgesetzwidrig, wäre sie nur skurril. Nach rechtsstaatlichen Prinzipien müßte ein Verbot der Verhüllung für alle Menschen gelten. Bräute müßten auf den Schleier, Karnevalisten auf Masken verzichten. Gerichte müßten demnächst klären, ob mit Halbschleiern verbundene Hüte auch unter das Vermummungsverbot fallen. Eine urkomische Provinzposse? Leider nicht. Das Lachen bleibt einem im Halse stecken, weil sich dahinter ein tief in der hessischen CDU verwurzeltes rassistisches Vorurteil verbirgt. Denn selbstverständlich gilt die Forderung der CDU nicht den Bräuten und Karnevalisten, sondern zielt einzig auf Migrantinnen islamischen Glaubens. Man kann mit einigem Recht bestreiten, daß die Ganzkörperverschleierung mit der Emanzipation von Frauen vereinbar ist. Daß sich die hessische CDU den Kampf für die Frauenemanzipation auf die Fahnen schreibt, glaubt indes niemand: Sie kürzte vor wenigen Jahren die Zuschüsse für Frauenhäuser so drastisch, daß viele schließen mußten.

Die CDU Hessen verfährt angesichts sinkender Umfragewerte immer nach dem gleichen Muster: Durch die Ausgrenzung von Migrantinnen und Migranten mobilisiert sie für sich den äußerst rechten Rand. Mit rassistischen Kampagnen gegen die doppelte Staatsbürgerschaft und gegen straffällige junge Migrantinnen und Migranten hat der ehemalige hessische Ministerpräsident Roland Koch bundesweit eine beschämende Berühmtheit erlangt.

Die gesellschaftlichen Auswirkungen dieser wahltaktisch motivierten Brandstiftung zeigt nicht zuletzt ein Blick auf die hessische CDU selbst. Die rechtspopulistischen Kampagnen machen eine Trennschärfe nach rechts in der Basis der Partei unmöglich. Im Gegenteil fühlen sich viele Basismitglieder ermutigt, mit rassistischen, nationalistischen und rechtsradikalen Äußerungen nach Beifall zu heischen. In der Folge scheinen selbst offen auftretende Neonazis innerhalb der hessischen CDU nicht weiter aufzufallen.

Spektakulärstes Beispiel ist der 25jährige Daniel Budzynski, Vorstandsmitglied des CDU-Stadtverbandes Kassel-Nord, der im Dezember als Mitglied der vom Verfassungsschutz beobachteten Neonaziorganisation »Freier Widerstand Kassel« enttarnt wurde. Seine »Tarnung« bestand beispielsweise darin, daß er in facebook als »Daniel Budze« firmierte. Allein das läßt die Beteuerungen der CDU wenig glaubwürdig erscheinen, von seiner braunen Gesinnung nichts gewußt zu haben. Zumal schon öfter rechtsradikale Mitglieder der hessischen CDU und ihrer Jugendstrukturen aufgefallen sind. So äußerte 2006 Mathias Müller, Mitglied des unionsnahen Studierendenverbandes RCDS und Sprecher der rechtsradikalen Burschenschaft »Dresdenia Rugia«: »Skinheads sind nicht unnatürlich, das sind ganz normale Jugendliche, die sich zu ihrem Volk und ihrer Nation bekennen.«

Kurz nach dem Fall Budzynski trat Sebastian Pella, 29jähriger Riedstädter Stadtverordneter und Mitarbeiter eines Landtagsabgeordneten, aus der CDU aus, nachdem ihm vorgeworfen worden war, für Onlinemagazine der rechten Szene geschrieben und ein Buch über den NS-Rassentheoretiker Ludwig Woltmann veröffentlicht zu haben. Pella selbst wirft der CDU-Führung in dem rechtsextremen Online­magazin »Sezession« vor: »Seitens leitender Parteifunktionäre werden diese wertkonservativen Anschauungen der einfachen Parteimitglieder instrumentalisiert, um Wahlkämpfe, Finanzierung und Organisation zu gewährleisten. Ein Eindringen dieser Vorstellungen oberhalb der Ortsverbandsebene ist jedoch unerwünscht.«
Vielfältige Kontakte
Die Fälle Budzynski, Müller und Pella zeigen, daß braune Gesinnung in der hessischen CDU nicht nur ein Problem ewig gestriger alter Damen und Herren ist, das sich von selbst erledigt. Gerade viele junge CDU-Mitglieder in Hessen scheinen vielfältige Kontakte zu rechtsextremen Organisationen zu haben. Zu diesem Generationensprung rechtsradikaler Gesinnung hat die Führung der Hessen-CDU nicht nur mit ihren rechtspopulistischen Kampagnen beigetragen. Nicht umsonst gilt sie als rechte Kaderschmiede der Partei. Auch führende hessische CDU-Politiker fallen immer wieder durch rassistische, antisemitische, nationalistische und militaristische Positionen auf.

Neben Alfred Dregger und Erika Steinbach, die 1991 gegen die Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze gestimmt hat, ist hier vor allem der hessische Bundestagsabgeordnete Martin Hohmann zu nennen. Nicht auf Initiative der hessischen CDU, sondern erst auf Betreiben von Angela Merkel wurde Hohmann 2003 aus der Partei ausgeschlossen, nachdem er bei einer Rede vor CDU-Parteimitgliedern geäußert hatte, man könne mit der gleichen Berechtigung von Juden und Deutschen als einem »Tätervolk« sprechen, beides sei nämlich gleichermaßen unzutreffend. Unter den Anwesenden löste die Verharmlosung des Holocaust keinerlei Widerspruch aus. Selbst als – auch aus der Bundes-CDU, etwa durch Heiner Geißler oder Jürgen Rüttgers, – ein Proteststurm losbrach, ging die hessische CDU nicht gegen Hohmann vor. Viele führende CDU-Politiker stellten sich schützend vor ihn.

Hans-Jürgen Irmer, stellvertretender Vorsitzender der CDU-Landtagsfraktion, der mit Hetze gegen Migranten wiederholt für Tumulte im hessischen Landtag sorgte, verteidigte Hohmanns antisemitische Äußerungen in einem offenen Brief gegen Merkel.

»Wer nicht pariert, der gehört gegebenenfalls gefesselt und geknebelt, bis der Zielort erreicht ist. Die Humanitätsduselei Menschen gegenüber, die diesen Staat ausbeuten, muß einfach ein Ende haben.« – Diese Äußerung Irmers verdeutlicht die Folgen der bis heute andauernden Weigerung der hessischen CDU, ihre braune Vergangenheit aufzuarbeiten. Irmers Nazijargon von der »Humanitätsduselei« knüpft bruchlos an die NS-Zeit an. So beklagte etwa Heinz Wolf, der 1933 in die NSDAP eintrat und für die CDU von 1962 bis 1966 im hessischen Landtag saß, im Jahr 1935, daß sich viele Richter in der »Judenfrage« noch »von einer gewissen Humanitätsduselei leiten lassen und es noch nicht recht verstehen, der nationalsozialistischen Einstellung zur Rassenfrage bei der Urteilsfindung vollauf gerecht zu werden«. Während des Krieges war Wolf Ankläger beim Sondergericht Danzig. Diese Gerichte verhängten Tausende Todesurteile und gelten als Terrorinstrumente zur Durchsetzung der NS-Herrschaft.

Heinz Wolf ist kein Einzelfall. In seiner Studie »Braunes Erbe – NS-Vergangenheit hessischer Landtagsabgeordneter« kommt Hans-Peter Klausch zu dem Ergebnis, daß 22 von 97 überprüften CDU-Landtagsabgeordneten Mitglieder der NSDAP waren. Der Anteil ehemaliger NSDAP-Mitglieder in der CDU-Fraktion ist mit der Zeit nicht gesunken, sondern von 7,1 Prozent in der Wahlperiode 1946 bis 1950 kontinuierlich bis auf 35,7 Prozent in der Wahlperiode 1962 bis 1966 gestiegen. In den Selbstdarstellungen der Hessen-CDU findet sich dazu kein Wort. Noch im August 2010 wurde die Landeszentrale nach Alfred Dregger benannt, der ebenfalls Mitglied der NSDAP war.
Akzeptanz verschafft
Roland Koch und sein Nachlaßverwalter Volker Bouffier sind Wegbereiter des Rassismus. Mit ihren rechtspopulistischen Kampagnen haben sie aus eiskaltem wahltaktischem Kalkül an rassistische Vorurteile angeknüpft. Sie haben damit »Überzeugungstäter« wie Irmer, die tatsächlich glauben, was sie sagen, bestärkt und rechtsradikalen Positionen zunehmende Akzeptanz verschafft. Die moralische Verantwortung wiegt schwer; Koch und Bouffier mögen sich ihr stellen oder auch nicht. Unumgänglich ist aber die radikale Erneuerung der hessischen CDU. Die Morde der Zwickauer Neonaziterroristen haben all jenen, die es lieber vergessen wollten, die blutigen Folgen neonazistischer Ideologie erneut vor Augen geführt. Auch vor diesem Hintergrund sind wahltaktische Manöver am rechten Rand durch nichts zu rechtfertigen.

Rechtspopulistische Kampagnen aus taktischer Berechnung, rechtsextreme Ausfälle führender Politikerinnen und Politiker und die Weigerung, ihre braune Vergangenheit aufzuarbeiten, haben die Hessen-CDU zu einem Landesverband gemacht, an dessen Basis rechtsextreme Äußerungen offenbar so verbreitet sind, daß selbst ausgewiesene Neonazis nicht weiter aufzufallen scheinen. Es hilft nicht, wenn die hessische CDU-Führung bei jeder neuen »Enttarnung« im Chor »Haltet den Dieb!« schreit. Es ist an der Zeit, daß die hessische CDU ihre Entnazifizierung nachholt, indem sie, beginnend mit der Aufarbeitung ihrer braunen Vergangenheit, klar und deutlich eine Trennschärfe nach rechts herstellt.

Achim Kessler ist Stellvertretender Landesvorsitzender der Partei Die Linke in Hessen, er ist Koautor der Dokumentation »Brauner Sumpf in der hessischen CDU«, die unter www.die-linke-hessen.de heruntergeladen werden kann. Am 4. Februar veranstaltet Die Linke Hessen in Kassel die Konferenz: »Rechte Gefahr aus der ›Mitte‹?«

Quelle: www.jungewelt.de vom 19.01.12

Dieser Beitrag wurde am Donnerstag, 19. Januar 2012 um 11:24 Uhr veröffentlicht und wurde unter der Kategorie Blog abgelegt. Du kannst die Kommentare zu diesen Eintrag durch den RSS-Feed verfolgen.

«  –  »

Keine Kommentare

No comments yet.

Sorry, the comment form is closed at this time.

Kategorien

über mich

antifaschismus

Linke Links

NGO Links

Ökologie

Print Links

Archive

Sonstiges

Meta

 

© Huste – Powered by WordPress – Design: Vlad (aka Perun)