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Pure Demagogie. Deutscher Solar- und Windstrom hilft, Engpässe in Frankreich zu überbrücken. Medienkampagne verdreht Tatsachen. Angebliche Versorgungsengpässe hat es nie gegeben. Von Wolfgang Pomrehn

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Fast wirkt es wie bestellte Begleitmusik. Am vergangenen Freitag traf sich der CDU-Wirtschaftsrat, um mit drastischen Worten und teils dürftiger Logik gegen Wind- und Solarenergie zu wettern. Tags zuvor waren mal wieder Zeitungsenten von angeblichen Versorgungsengpässen im Stromnetz lanciert worden.

Am Mittwoch sei es eng geworden im deutschen Netz, hieß es in verschiedenen Blättern. »Schon zum zweiten Mal in diesem Winter mußten die Netzbetreiber auf Notreserven zurückgreifen und Strom aus Österreich zukaufen«, behauptete zum Beispiel der Hamburger Spiegel in seinem Internetauftritt. Das war schon beim ersten Mal, wie Anfang Januar von junge Welt berichtet, eine Falschmeldung und wird auch durch Wiederholen nicht richtiger.

Richtig ist, daß am Mittwoch Teile der sogenannten Kaltreserve in Anspruch genommen wurden. Dabei handelt es sich um eine Reihe von kleineren Kraftwerken, die für gewöhnlich nicht in Betrieb sind, sondern nur für den Fall besonders hohen Bedarfs bereitgehalten werden. Im Extremfall laufen diese Anlagen nur ein paar Stunden im Jahr oder noch seltener, was natürlich ein relativ teurer Spaß ist. Einige dieser Not-Kraftwerke werden, vertraglich geregelt, in Österreich für den deutschen Bedarf reserviert und können eine Leistung von insgesamt etwa ein Gigawatt (GW) liefern. Das ist etwas weniger als eines der größeren hiesigen Atomkraftwerke.
Ausländische Nachfrage
Doch warum waren am Mittwoch Teile dieser Kaltreserve in Anspruch genommen worden? Die Bundesnetz­agentur gab schon einen Tag später Entwarnung: Von Stromknappheit habe nicht die Rede sein können, wurde eine Sprecherin in der Financial Times Deutschland zitiert. Und tatsächlich sagen die Daten des europäischen Strommarktes, daß Deutschland den ganzen Tag über am fraglichen 8. Februar Nettoexporteur von Strom gewesen ist.

Polen, Österreich, die Schweiz und Frankreich gehörten an diesem Tag zu den Abnehmern. Dänemark und die Tschechische Republik haben hingegen vor allem importiert, aber unterm Strich wurde deutlich mehr elektrische Energie aus- als eingeführt. Zum Teil handelt es sich bei den Im- und Exporten auch um einen Ringtausch. Ein Teil des in Nordostdeutschland erzeugten Stroms fließt über Polen und die Tschechische Republik nach Bayern. Und die Schweiz exportiert eifrig Strom nach Frankreich und Italien, auch wenn sie von hiesigen Netzbetreibern bezieht.

Aber zurück zum vermeintlichen Engpaß, den der Spiegel und einige andere Medien ausgemacht haben wollen. Die Tatsache, daß am Mittwoch so viel Strom exportiert wurde, zeigt, daß Strommangel nicht der Grund für das Anwerfen der Kaltreserve gewesen sein kann. Diese alten Kohle- und Ölkraftwerke können nach den etwas ungenauen Presseberichten maximal eine Leistung von 1,2 GW ins Netz eingespeist haben. Nach Angaben von Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU) wurde aber nicht nur am Mittwoch exportiert, sondern auch an anderen Tagen der vergangenen Woche; im Schnitt 6,5 bis sieben GW.

Wie schon Anfang Dezember wurde die Kaltreserve also in Anspruch genommen, um die Nachfrage im Ausland bedienen zu können. Das ist zwar nicht unbedingt verwerflich, denn gegen nachbarschaftliche Hilfe bei der Überbrückung von Versorgungsengpässen ist nichts zu sagen. Aber das Anwerfen der Not-Kraftwerke als Indiz für Probleme mit der inländischen Versorgung zu verkaufen, ist pure Demagogie. Im übrigen lassen sich die hiesigen Netzbetreiber ihre Lieferungen teuer bezahlen.
Verdienst der Windenergie
In Anspruch genommen hat Frankreich meist mehrere Gigawatt. Daß deutsche Kraftwerke aushelfen konnten, obwohl auch hierzulande der Verbrauch winterbedingt besonders hoch war, ist auch ein Verdienst der Wind- und Solarenergie. Windkraftanlagen hatten am Mittwoch durchgängig mindestens knapp zwei GW geliefert, in den frühen Morgenstunden bis mittags waren es zunächst sogar noch deutlich mehr. Hinzu kam, daß bei strahlend blauem Himmel auch die vielen Solaranlagen zwischen zehn und 14 Uhr, also zur Zeit des höchsten Verbrauchs, um die sechs GW lieferten. Um Mittag herum stieg ihre Leistung gar auf sieben GW, was zu der Zeit etwas mehr als zehn Prozent der deutschen Produktion entsprach.

Die eigentlichen Probleme hatte in der vergangenen Woche hingegen Frankreich. Es erzeugt rund 80 Prozent seines Stroms mit inzwischen recht betagten Atomkraftwerken und hinkt beim Ausbau der erneuerbaren Energieträger weit hinterher. Da AKW Tag und Nacht laufen müssen und nur schwer regelbar sind, ist in früheren Zeiten wie auch in Westdeutschland regelrecht Werbung für Stromverbrauch gemacht worden, insbesondere für das Heizen mit Strom. Das Ergebnis: In der auch in Frankreich bitterkalten letzten Woche war dort der Stromverbrauch zeitweise fast doppelt so hoch wie hierzulande, trotz der knapp 20 Millionen geringeren Bevölkerung. Da stieß die unflexible AKW-Flotte an ihre Grenzen, und an Windrädern und Solaranlagen, die in die Bresche hätten springen können, mangelt es westlich des Rheins noch sehr.

Den nächsten Engpaß könnte es schon im Sommer geben, sollte der mal wieder besonders heiß ausfallen. Dann muß nämlich so manches französische AKW abschalten, weil das Wasser der Flüsse zu warm wird, um es noch als Kühlwasser nutzen zu können. In diesem Zusammenhang ist es amüsant, daß der oben erwähnte CDU-Wirtschaftsrat am Freitag gegen die Solarenergie und einen »überstürzten Ausstieg aus der Kernenergie« wetterte. Den Franzosen kämen die deutschen Solarkapazitäten von inzwischen immerhin rund 25 GW ganz gut zupaß.

Quelle: www.jungewelt.de vom 13.02.12

Dieser Beitrag wurde am Montag, 13. Februar 2012 um 17:12 Uhr veröffentlicht und wurde unter der Kategorie Blog abgelegt. Du kannst die Kommentare zu diesen Eintrag durch den RSS-Feed verfolgen.

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