Christian Wulff ist vom Amt des Bundespräsidenten zurückgetreten, und alle atmen auf. Eigentlich fehlte am Freitag nur, daß einer sagte: »Es ist vollbracht.« Denn als Passionsgeschichte wurden die letzten zwei Monate der Amtszeit des Präsidenten Wulff inszeniert und erzählt, als Leidensdrama eines ganzen Landes. Das Leid über Land und Leute aber brachte Christian Wulff, denn er beschädigte das, was der Republik am teuersten ist: »die Würde des Amtes«. Wie konnte er das nur tun? In Schmerzen wanden sich Politiker und Kommentatoren, die es aus Sorge um Deutschland einfach nicht mehr ertragen konnten, daß der von Angela Merkel protegierte Präsident nicht zurücktreten wollte.
Dabei legten sie es ihm doch so nahe, auch im Kasernenton. »Rücktritt, Herr Präsident!« schnarrte Bild-Vizechefredakteur Nikolaus Blome, »Der nächste, bitte!« sekundierte taz-Chefredakteurin Ines Pohl, die noch ein bißchen Religionsunterricht nachstammelte: »Wulff also wird nun wohl gehen. Weil die Immunität aufgehoben wird. Die Immunität eines Mannes, der selbst immun ist gegen das Empfinden von Schuld und Scham.« Irgendwo zwischen den Zeilen schluchzte ein Kind. Und die Vertreter unserer Qualitätsmedien wie FAZ, Spiegel online oder SZ müssen damit leben, sich in ihrer Berichterstattung von Bild abhängig und mit Kai Dieckmann gemein gemacht zu haben.
Nicht von der »Würde«, sondern von der »Autorität dieses Amtes«, das »eine hohe Bedeutung in unserer Gesellschaft und unserem Staat« habe, sprach die Grünen-Vorsitzende Claudia Roth und meldete Ambitionen an: Ein Nachfolger Wulffs müsse »eine Bindewirkung in die gesamte Gesellschaft haben«. Ein Schuft, wer da an Saugwirkung denkt. Es geht um Klebrigkeit, und die ist vorhanden.
Auf Wulffs Rücktrittserklärung folgten ein paar Worte von Angela Merkel, der eigentlichen Präsidentin des Landes, der aber die Befugnisse eines Kanzleramtes wichtiger sind. Den Abgang ihrer Schachfigur mußte sie hinnehmen und tat es professionell wie immer; anschließend bot sie der SPD und den Grünen an, bei der Bestimmung eines Nachfolgers mitzutun. Sollte es auch beim dritten Mal in Folge schiefgehen, könnte sie die Verantwortung schön abwälzen.
Das gefiel allen, nur die Linken waren beleidigt und depeschierten wie wild. Bodo Ramelow sieht »das Amt des Bundespräsidenten durch zwei Amtsinhaber, die Merkels Vertrauen hatten«, nicht nur beschädigt, sondern, wie es die Sprachmode gebietet, »nachhaltig beschädigt«. Den Fraktionsvorsitzenden der Linken im Thüringer Landtag empört vor allem der Versuch, »parteipolitischen Honig« aus einer supergroßen Koalition unter Ausschluß der Linken zu saugen; Merkels Verhalten erklärt er als »endgültig dem Amt unwürdig« und wünscht sich »Mut und Kraft, das Ansehen des Amtes zu stärken«.
Da wollten auch die Vorsitzenden von Partei und Bundestagsfraktion nicht zurückstehen. Gesine Lötzsch, Klaus Ernst und Gregor Gysi erklärten: »Das Amt des Bundespräsidenten ist beschädigt. Um das Vertrauen in das Amt wiederherzustellen, sollte diesmal kein Parteiengezänk stattfinden, sondern der Versuch unternommen werden, daß sich alle Parteien und Fraktionen im Deutschen Bundestag auf eine gemeinsame Kandidatin bzw. einen gemeinsamen Kandidaten verständigen. Nur so kann das Vertrauen der Bevölkerung auch in eine Person, die dieses Amt ausübt und ausfüllt, wirksam wieder hergestellt werden. Dazu gehört sehr viel Vernunft, und wir wissen, daß diese in den Parteien eher begrenzt ist. Die Bundeskanzlerin hat versäumt, uns als Gesprächspartner zu benennen, aber sie kann sich ja noch korrigieren.«
So schmeißt man sich ran als Vertreter der begrenzten Vernunft: Das Vertrauen der Bevölkerung stärken heißt in diesem Fall ja nichts anderes, als die vorhandene Intelligenz auf Null zu drosseln.
Wer aber wird Präsidentin oder Präsident, wer folgt dem stolzen Eigenheimbesitzer Wulff nach? Markus Lanz und Günther Jauch arbeiten nicht mehr für Kleingeld, Beckenbauer muß Golf spielen, und Jürgen Klopp hat noch einen Vertrag bis 2016. Die Ablöse für Berlusconi kann sich Deutschland nicht leisten, Sarkozy ist selbst noch im Amt, gegen Merkels heimlichen Wunschkandidaten Assad hat Guido Westerwelle »erbitterten Widerstand« angedroht.
Ein As hat Merkel noch im Ärmel. Der abgewählte Duisburger Oberbürgermeister Adolf »Love Parade« Sauerland hat seinen Rückzug aus der Politik erklärt. Der 56jährige CDU-Mann gab an, er wolle sich jetzt vor allem »der Erziehung seiner vier schulpflichtigen Kinder widmen« und auch »seine Ehefrau stärker unterstützen«, die in Duisburg ein Reisebüro betreibt. Frau und Kinder reagierten mit einem Notruf bei Merkel; die Kanzlerin müsse aus humanitären Gründen einschreiten. Für die Wahl Sauerlands zum Bundespräsidenten spricht vor allem eins: Anders als Christian Wulff ist er kein Mann für große Partys.
Quelle: www.jungewelt.de vom 18.02.12
« Antifaschisten kriminalisiert. Erklärung des Sekretariats des Parteivorstandes der DKP: – Präsident Gauck – der Prediger der verrohenden Mittelschicht. Von Jutta Ditfurth »
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An Gysi’s Stelle und die der Bundesfraktion würde ich mich in einem Liegestuhl bequem zurücklehnen und mir das Schauspiel was die anderen da bieten anschauen, meine spitzen Kommentare dazu abgeben und hätte wahrscheinlich die Lacher auf meiner Seite. Die wollen DIE LINKE nicht dabei haben und wir müssen auch nicht dabei sein.
Ansonsten war das doch voll das Schmierentheater. Und, komischerweise, immer wenn Merkel sagt, ich steh voll hinter ihm/ihr, dreht er/sie irgendwann ab.
Sie kann halt keine zweite Sonne in ihrem Universum haben. Jeder, der in der CDU Chance gehabt hätte, irgendwann ihr Nachfolger zu werden, ist wech.
Und Wulff ? Naja, wenn er vielleicht 8 Jahre Bundespräsident gewesen wäre, hätte er immer noch Kanzler werden können. Er war ja noch relativ jung. Aber mit dieser Demontage wird er höchstens noch Bürgermeister in Cochem. Die nehmen echt jeden :D.
Thomas
Comment: Thomas Knopp – 19. Februar 2012 @ 19:39
Präsident Gauck – der Prediger der verrohenden Mittelschicht. Von Jutta Ditfurth
Mit Christian Wulff hat sich die politische Klasse eines lästig geworden kleinbürgerlichen korrupten Aufsteigers entledigt, während die viel größeren Geschäftemacher der Parteien weiter ungestört ihren Interessen nachgehen können.
Um die Peinlichkeit zu übertünchen, wurde nun Joachim Gauck, der Prediger für die verrohende Mittelschicht gerufen. Dass CDU/SPD/FDP und Grüne ihn gemeinsam aufstellen verrät uns, dass uns noch mehr Sozialstaatszerstörung, noch mehr Kriege und noch weniger Demokratie drohen. Einen wie ihn holt man, um den Leuten die Ohren vollzuquatschen.
Gaucks neoliberales Verständnis von Freiheit als Freiheit des Bourgeois, schließt soziale Menschenrechte aus. Von sozialer Gleichheit als Bedingung wirklicher Freiheit versteht er nichts. Mit der Agenda 2010 und ihren brutalen Folgen ist er sehr einverstanden, für die Betroffenen und ihre Proteste hat er stets nur Verachtung. Kritik am Kapitalismus findet Gauck lächerlich. Die Entscheidung zur Begrenzung der Laufzeit von AKWs gefühlsduselig.
Dem Krieg in Afghanistan hat Gauck die Treue gehalten, denn auch dieser Christ ist ein Krieger. In der Vertriebenfrage ist der künftige Bundespräsident ein Kumpan von Erika Steinbach und hat Probleme mit der polnischen Westgrenze. Was er von Demokratie und Humanismus hält, verrät er, indem er für die Verfassungsschutzüberwachung der Linkspartei eintritt und den Ideologen des Rassismus der Mitte, Thilo Sarrazin, „mutig“ findet. Hat jemand je eine scharfe und überzeugende Kritik an Nazis von ihm gehört? Fremdenfeindlichkeit kann er verstehen, aber er schätzt es nicht, »wenn das Geschehen des deutschen Judenmordes in eine Einzigartigkeit überhöht wird«.
Gauck ist ein Anhänger der Totalitarismusideologie, der Gleichsetzung von Kommunismus und Faschismus. Mit seiner Aufstellung als Kandidat bekennen sich CDU/SPD/Grüne und FDP zu dieser unerträglichen reaktionären Weltsicht. Der Kandidat und die vier ihn aufstellenden Parteien passen zu einander.
P.S.: Das Amt des Bundespräsidenten ist überflüssig, ein feudales Relikt für obrigkeitsgläubige Deutsche.
Jutta Ditfurth, Autorin und Soziologin
Comment: Wolfgang Huste – 21. Februar 2012 @ 11:10
Solche Leserbriefe sollten bundesweit unterwegs sein:
Joachim Gauck, der von SPD, Grünen, FDP und letztlich von CDU und Kanzlerin für ihre Zwecke instrumentalisierte Kandidat für das Amt des Bundespräsidenten, darf nicht in Schloss Bellevue einziehen. Zu oft hat er in der Vergangenheit gezeigt, dass es ihm an sozialem Verantwortungsgefühl fehlt. Er lehnt die von Millionen getragene Occupy-Bewegung ab, er ist für das Bespitzelungsinstrument der Vorratsdatenspeicherung, er ist entgegen der überwältigenden Mehrheit für das Eingreifen in Afghanistan, er verteidigt den jetzigen menschenverachtenden Zustand des Finanzmarktes, er hat Politikern geraten, sich mit dem volksverhetzenden Buch von Thilo Sarrazin zu beschäftigen, er lehnt eine Staatsveranstaltung für die Opfer der NSU-Terrorbande ab. Und er setzt sich ein für die Überwachung der drittgrößten Partei in Deutschland, der LINKEN, durch den Verfassungsschutz. Und was seine Rolle als Bürgerrechtler und der Freiheit beraubter DDR-Bürger angeht: Gauck konnte immer in den Westen ausreisen, seine Kinder siedelten bereits in den 80er Jahren in die Bundesrepublik über, er genoss sämtliche Privilegien (zum Beispiel einen VW-Bus als Westauto), die es in der DDR nur geben konnte.
Joachim Gauck merkt in seiner an Hybris grenzenden Eitelkeit nicht mal, dass er Millionen Hartz-IV-Empfänger verhöhnt, wenn er dieses Erpressungsinstrument des Arbeitsmarkts befürwortet. Wenn er am 18. März als Präsident gewählt wird, steht dieser Tag für den Super-GAUck in unserem Land. Ich schäme mich schon jetzt dafür, dass die Wahl auf ihn gefallen ist. Wenn es ihm wirklich um das Land geht, sollte er seinen Verzicht auf die Kandidatur erklären. Alles andere ebnet den Weg hin zu einer Republik, von der sich immer mehr Menschen ausgeschlossen fühlen.
Comment: Wolfgang Huste – 21. Februar 2012 @ 14:41