Am Rosenmontag wurde gerettet. Unter dem Beifall einiger Claqueure rollte von Brüssel aus ein weiterer Hilfszug Richtung Athen. »Griechenland ist unabsteigbar«, skandierte ein handverlesenes Publikum und dessen Dirigenten hofften auf einen Marketingeffekt. Vergeblich. Am Dienstag kamen die Zweifel. Und obwohl deren materielle Ursachen bereits vor dem Verpacken der neuen Wundertüte bekannt waren, spielten die Beteiligten die Farce Zug um Zug durch. Hauptanlaß für die »plötzlich« aufkommenden Bedenken waren aktuellen Zahlenspiele zur Wirtschaftslage Griechenlands.
Die Einsatzgruppe der Troika aus EU-Kommission, Internationalem Währungsfonds und Europäischer Zentralbank hatte aus Athen Daten gemeldet, deren Analyse nur einen Schluß zuläßt – an der Pleite führt kein Weg vorbei. Hauptgrund: Die griechische Wirtschaftsleistung verringerte sich mit rasantem Tempo, weitaus stärker als bisher angenommen. Im Oktober hatten die Troika-Prüfer ihre Prognose für den Rückgang des Bruttoinlandsprodukts (BIP) im selben Jahr von 2,8 auf 5,5 Prozent korrigiert. Inzwischen rechnen sie mit 6,1 Prozent, wie die Nachrichtenagentur dapd aus der vorläufigen Schuldentragfähigkeitsanalyse zitierte. Für 2012 wird ein Schrumpfen des BIP um 4,3 Prozent statt wie bisher angenommen um drei Prozent erwartet, noch im letzten Sommer hatten die Fachleute von 0,7 Prozent Wachstum geträumt.
In den kommenden Jahren dürfte demnach die anhaltende Rezession alle Hoffnungen auf ein Gelingen des »Rettungsplanes« zunichte machen. Der basiert nämlich auf der Annahme, daß die Wirtschaftsleistung ab 2013 wieder wachsen wird und der Staat im Jahr 2020 seine Verbindlichkeiten auf dann vermeintlich »tragbare« 120,5 Prozent des BIP reduziert haben könnte. Statt dessen wird Griechenlands Wirtschaftsleistung nach aktuellen Annahmen 2013 allenfalls stagnieren. Unter derartigen Voraussetztungen erübrigt sich die Kommentierung der Prognose, die jetzt für 2014 ein Wachstum von 2,3 Prozent unterstellt.
Wie in einer verknüpften Excel-Tabelle verschlechtern sich damit auch alle anderen Zahlen in der aktuellen Wirtschaftsprognose für Athen: Die Neuverschuldung des Staates steigt, eine Reduzierung auf etwa 120 Prozent in acht Jahren ist Illusion. Erhöhen wird sich vor allem die Summe der notwendigen Hilfszahlungen, woher auch immer sie kommen mögen.
Dabei ist nicht die Rede von Unterstützung für die Mehrzahl der griechischen Bürger. Denen kommt in den Planspielen der Eurokraten allenfalls die Rolle von Versuchskaninchen zu. Lohnkürzungen werden diktiert – ohne Einfluß auf die Preise zu haben. Auch beim Rentenklau hält sich die Obrigkeit strikt an die Grundregeln des Klassenkampfes von oben. Hohe Pensionen werden gering, niedrige stark gekürzt. Wer will auch einem verdienten Admiral die Hälfte der Altersbezüge wegnehmen, wo er sich doch immer für den Kauf deutscher U-Boote eingesetzt hat? Selbst die bekennenden Soziopathen in Brüssel und Washington (IWF) mußten Druck machen, damit Athens Oligarchen ihre Paladine in Regierung, Justiz und Militär nicht komplett von den Kürzungen ausnehmen.
Griechenlands Gewerkschaften und Linke Parteien wären schlecht beraten, wenn sie die Schuldigen an ihrer Misere ausschließlich in Berlin, Brüssel oder Paris suchten. Es gehört zum Kalkül der Herrschenden, in Krisensituationen die Völker gegeneinander aufzuhetzen. Daß ihnen dies trotz erwiesenem Können bei der Herbeiführung dieser Krisen und legendärer Unfähigkeit bei deren Lösung immer wieder gelingt, kann schon fast als Makel unserer Art angesehen werden.
Beispiel für kalkulierte Verantwortungslosigkeit ist der vom Europa der Konzerne geplante Ölboykott gegen Iran. Da wird dem potentiellen persischen Atomaufsteiger angekündigt, dessen Öl nicht mehr kaufen zu wollen. Doch die großsprecherisch inszenierte Aktion ist allenfalls ein Hungerstreik, für Griechenland aber womöglich ein »Todesfasten«. Athen nimmt Teheran mehr als ein Drittel des nach Europa gehenden Erdöls ab. Sollen die Griechen den dringend benötigten Energieträger dann am »freien Markt« kaufen? Schon jetzt wird der Preis des Petroleums von Spekulanten in neue Rekordhöhen getrieben. Es ist kaum auszudenken was geschieht, wenn das Land mit der Hälfte oder weniger des bisher verbrauchten Öls auskommen müßte.
Europas Herrscher dürften das als Kollateralschaden akzeptieren. Sie und ihre Helfer haben derzeit alle Hände voll zu tun, damit ihnen nicht der ganze Laden um die Ohren fliegt. Die Schuldenkrise ist, trotz zahlreicher Facetten, hauptsächlich ein transatlantischer Wirtschaftskrieg, ein Kampf um eines der wichtigsten Werkzeuge beim Ausplündern der Welt – um eine dominante globale Währung. Washington und Wall Street, assistiert von ihren Komplizen im Londoner Ausguck, üben gewaltigen Druck aus, um den Euro als Konkurrenten auszuschalten. Das könnte gelingen. Obwohl Dollar und Pfund mindestens ebenso marode daherkommen wie der Euro, die Schulden beider Kontrahenten einander in nichts nachstehen, kann die Dollar-Fraktion auf den Vorteil bauen, jahrzehntelang beherrschend zu sein. Den spielt sie derzeit aus – nicht ohne gleichzeitig am Ast zu sägen, auf dem sie selbst hockt.
Quelle: www.jungewelt.de vom 23.02.12
« »Wirkliche Straßenschlacht«. Im Süden Chiles eskalieren die Proteste gegen hohe Lebensmittelpreise. Polizei schießt auf Demonstranten – Nein zu Iran-Sanktionen. Von Florian Möllendorf »
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