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Keine Zeit für Hygiene. Gefährliche Keime auf Frühchenstation: Rationalisierung im Klinikum Bremen-Mitte führte zur Katastrophe. Personalknappheit war politisch gewollt. Von Sönke Hundt, Bremen

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Nach dem erneuten Auftauchen eines gefährlichen Darmkeims auf der Frühgeborenenstation im Klinikum Bremen-Mitte Ende Februar ist die Ursache dafür weiterhin ungeklärt. Die Ergebnisse der Untersuchungen in den Räumlichkeiten und des Personals werden erst für Anfang dieser Woche erwartet, erklärte eine Sprecherin des Klinikverbunds Gesundheit Nord (Geno) am Freitag.

Bremens Gesundheitssenatorin Renate Jürgens-Pieper (SPD) hatte den Geschäftsführer Diethelm Hansen sowie den zuständigen Chefhygieniker der Geno am 29. Februar mit sofortiger Wirkung beurlaubt. Die Geno ist die Holding-Gesellschaft für die vier großen kommunalen Bremer Kliniken. Einen Tag vorher wurde die Intensivstation für Frühgeborene und die gesamte Gynäkologie im Klinikum Bremen-Mitte, dem größten Bremer Krankenhaus, geschlossen. Dem verantwortlichen Chefarzt der Neonatologie, Professor Hans-Iko Ruppert, war schon vorher fristlos gekündigt worden. Die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen des Todes von sechs frühgeborenen Babys. Ein seit letzten Dezember arbeitender parlamentarischer Untersuchungsausschuß der Bremer Bürgerschaft versucht aufzuklären, sieht sich aber komplett blockiert, da sowohl die vorgeladenen drei verantwortlichen Geschäftsführer des Klinikums sowie die als weitere Zeugen geladenen Oberärzte aus der Neonatologie als auch die Leiterin der Krankenhaushygiene und eine Hygienefachkraft sich weigerten, vor dem Untersuchungsausschuß auszusagen. Dies auf Anraten ihrer Anwälte und aus Angst, sich selbst zu belasten.

Seit April 2011 sind auf der betroffenen Station 30 Frühchen mit dem multiresistenten Darmkeim ESBL-Klebsiella infiziert worden. Im August und Oktober starben drei Babys an den Folgen. Danach wurde die Station zunächst geschlossen, nach einer kompletten Renovierung und Desinfektion aber wieder geöffnet. Am 29. Februar mußte nun die Gesundheitssenatorin bekanntgeben, daß auf dieser Station zwei weitere Frühchen gestorben waren, daß sie sich wieder mit dem gleichen Keim infiziert hatten und daß neue Funde von Akten und von Proben aus dem Jahre 2009 aufgetaucht seien. Es gebe so den Nachweis, daß der gefährliche Keim schon seit mehr als drei Jahren immer wieder dokumentiert worden sei. Die neuen Ereignisse haben in Bremen für Entsetzen gesorgt.

Über den parlamentarischen Untersuchungsausschuß wurden inzwischen alarmierende Tatsachen bekannt. Der entlassene Chefarzt der Frühchenstation habe sich in einem Brandbrief bei der Geno-Geschäftsführung über die schlechte Personalsituation beschwert. Der Ausschußvorsitzende Björn Fecker (Grüne) zitierte aus Briefen und E-Mails, in denen sich Oberärzte und Mitarbeiter immer wieder über fehlendes Personal beklagt hätten. Mangels Zeugen aus Bremen wurde Anfang Februar Klaus-Dieter Zastrow von der Deutschen Gesellschaft für Krankenhaushygiene geladen. Die Hygienesituation sei generell mangelhaft gewesen, so der Experte. Die Personalausstattung speziell auf einer Frühchenstation sei der entscheidende Faktor, um ein Infektionsrisiko zu vermindern. Pro Schicht würden Frühgeborene etwa 80 mal berührt. Wenn eine Pflegekraft ein Frühgeborenes betreut, sind das etwa fünf Minuten, die für jeden Kontakt zur Verfügung stünden. Wenn eine Beschäftigte dagegen rechnerisch 4,5 Babys zu betreuen hat – und das war im Herbst 2011 auf der betroffenen Station der Fall – dann blieben für jeden Kontakt nur noch 65 Sekunden – von denen allein für die Händedesinfektion 30 Sekunden benötigt würden. Das, so Zastrow, könne nicht gutgehen.

Als Claudia Bernhard, die Abgeordnete der Linken im Untersuchungsausschuß, nachfragte, ob alles gut wäre, wenn man nur genügend Personal eingesetzt hätte, antwortete Zastrow: »Ja, genau so einfach ist das.« Der Zusammenhang zwischen personeller Unterbesetzung und höherem Infektionsrisiko sei evident. Und: »Die Versuchung, bei der Hygiene zu sparen, ist riesengroß.«

Wie in jW schon mehrfach berichtet, hatte der SPD-Grünen-Senat der Hansestadt 2008 für den kommunalen Klinikverbund einen Sanierungsplan beschlossen, der den Abbau von 800 Vollzeitstellen vorsah. Mit den »Einsparungen« sollten Zins- und Tilgungszahlungen für einen Kredit erwirtschaftet werden, mit dem die Kosten des Neubaus im Klinikum Bremen-Mitte von 230 Millionen Euro finanziert werden. Der jetzt mit sofortiger Wirkung beurlaubte Geschäftsführer Diethelm Hansen war eingestellt worden, weil er versprochen hatte, daß er dieses gewaltige Rationalisierungsvolumen ohne Verlust der medizinischen Versorgungsqualität »stemmen« würde. Einige Betriebsräte der betroffenen Kliniken haben das seinerzeit als unmöglich bezeichnet. Sie haben recht behalten. Es war richtig, so Peter Erlanson von der Fraktion Die Linke in der Bremischen Bürgerschaft, den Geschäftsführer Diethelm Hansen als den Hauptverantwortlichen sofort zu beurlauben. Was allerdings aus dem Sanierungsplan für die kommunalen Krankenhäuser wird, ist so noch überhaupt nicht geklärt.

Quelle: www.jungewelt.de vom 05.03.12

Dieser Beitrag wurde am Sonntag, 04. März 2012 um 20:02 Uhr veröffentlicht und wurde unter der Kategorie Blog abgelegt. Du kannst die Kommentare zu diesen Eintrag durch den RSS-Feed verfolgen.

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