Wolfgang Huste Polit- Blog

Die Zukunftsvision des neuen Bundespräsidenten: „Ob wir den Kindern und Enkeln dieses Landes Geld oder Gut vererben werden, das wissen wir nicht“. Von Gabriele Motzenfeld

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Der „mit überwältigender Mehrheit“ (in Wirklichkeit: von zehn Personen) gewählte  neue Präsident ist vereidigt worden.  In  dem von ihm geleisteten Eid hat er geschworen, seine Kraft dem  Wohl des deutschen Volkes zu widmen, seinen Nutzen zu mehren, Schaden von ihm abzuwenden und Gerechtigkeit gegenüber jedem Mann (und Frau?) zu üben. Anschließend  bat er das deutsche Volk um das Vertrauen.

Vom Vertrauen spricht er sehr viel, der neue Bundespräsident, der es nicht für nötig hält,  zu dementieren, wenn man ihn öffentlich „Bürgerrechtler“ nennt (in einem Fernsehinterview hat er es – an die Wand gedrückt –  übrigens getan),  und der  immer wieder beteuert,  kein Superman und  kein fehlerloser Mensch zu sein. Das haben wir bereits festgestellt. Gefragt   nach seinen bereits geleisteten „Fehlern“, hatte er voller Demut  eingeräumt, er wäre lernfähig. In welchem Sinne, hat er nicht gesagt. Will er seinen Standpunkt ändern oder  seine Sprache  besser beherrschen? Sicher, die   Occupy-Bewegung, die  Kapitalismus-Debatte  und den Widerstand gegen die Macht der Banken als „unsäglich albern“ zu bezeichnen, ist kein guter politischer Zug,  Sarrazin „mutig“ zu nennen  ebenfalls nicht,  und  Demonstrationen gegen Agenda 2010 „albern und geschichtslos“ zu  bezeichnen ist auch so eine Sache. Und jetzt der letzte Patzer: Gauck hat in seiner Rede von  „Vertriebenen“ gesprochen –  ist das nicht ein Begriff aus der Zeit des Kalten Krieges? Ein  Bundespräsident, der im Jahre 2012  von „Vertriebenen“ spricht?  Wie hieß es noch, „ich bin lernfähig“? Wollen wir es hoffen!

Gauck will ein Präsident werden, der polarisiert und aneckt, der sich nicht dem Mainstream anschließt.  Doch was ist Mainstream?  Die Meinung der Mehrheit, des Volkes, wenn man so will. Für Gauck ist es der  (alberne?) „doktrinäre Zeitgeist“, dem er – der Repräsentant des Volkes (oder habe ich da etwas  von dem Eid falsch verstanden?) – sich nicht beugen will.

Er wolle keine Angst verbreiten, sagt er,  und predigt den Menschen die Freiheit. Welche Freiheit? Freiheit ist ein Begriff, der oft genug missbraucht wurde. Gauck, der in der DDR aufgewachsen ist und dessen Vater NSDAP Mitglied war, wird am besten wissen, wie man Worte manipulieren kann. Früher gab es auch so einen Spruch, da hieß es : „Arbeit macht frei“.  Also wäre es nötig, zunächst einmal die Freiheit zu definieren, bevor man  sich  zum „Apostel der Freiheit“ stilisiert. Bis jetzt scheint es, dass Gauck unter Freiheit die  Freiheit der Finanzmärkte versteht, die  der Bundeskanzler Köhler seinerzeit als „Monster“ bezeichnet hat, denen schleunigst  Einhalt zu gebieten sei (zitiert nach: Spiegel 19.3.2012).  Köhler hat mit dieser Äußerung den Nerv der Zeit  getroffen, Gauk will keine Nerven der Zeit treffen, er will der „Macht des modischen Zeitgeistes widerstehen.“ Mutig?

Was dem Gauck vorschwebt, ist ein freier Bürger. Diese Idee taucht  auch im Gedankengut der Rosenkreuzer und  der Illuminati auf, die sich   ebenfalls zum Ziel gesetzt haben, die Welt umzuwandeln  und  eine Epoche geistiger Freiheit einzuleiten, in der sich der Mensch seiner Fesseln entledigen und sein eigenes Geschick bestimmen wird. Solche Propheten einer neuen Weltordnung, Apostel der Freiheit, tauchen immer wieder auf.  Einer von ihnen, der sich 1945 das Leben genommen hatte, wollte zum Beispiel bei der deutschen Jugend „Tausende von Jahren der Domestikation ausmerzen“.  Gauck  formuliert es vorsichtiger: er finde es falsch, dass „der Hunger nach Gerechtigkeit“ „schon immer stärker ausgeprägt war als der Durst nach Freiheit“. Aua!

Stellen wir  unsere Frage noch einmal: was versteht unser neuer Bundeskanzler unter der „Freiheit“? Und für wessen Freiheit setzt er sich eigentlich ein?  Wer die Agenda 2010 verteidigt, verteidigt  den Zwang, jede Stelle annehmen zu müssen, 1-Euro-Jobs zu verrichten, sich mit Aushilfstätigkeiten im Niedriglohnbereich abzufinden, entwürdigt zu werden. Ein Apostel der Freiheit, der sich für Zwangsarbeit  in Fremdberufen einsetzt?  Im Jahre 2003 haben 400 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler einen Aufruf unterzeichnet, in dem sie  die Reformierung des Sozialstaates und nicht seinen Abbau forderten. „Albern“,  sagt zu solchen  Ideen Gauck.

Verantwortung ist auch so ein großes Wort, das Gauck gern in den Mund nimmt.  Warum fühlen sich die Menschen für  Deutschland nicht verantwortlich?  Gauck gibt zu, dass die Menschen in diesem Land ihr Vertrauen in den Staat verloren haben.  Indem er gesteht, dass die  Distanz zwischen den Regierenden und den Regierte immer mehr wächst und dass Politiker  „offen und klar reden“ müssen,   damit „das verloren  gegangene Vertrauen wieder gewonnen werden kann“,  suggeriert er, dass   er der Mann sein wird, der diesen Anspruch erfüllen kann. Sein Ziel: Ein neues Deutschland,  das „unsere Enkel“   als „unser Land“ bezeichnen werden können.  Müssen wir Sarrazin lesen, um diesen Spruch zu verstehen?

Dieses  Deutschland der Zukunft, wie soll es konkret aussehen? Demokratisch, frei und gerecht. Ist das heutige Deutschland  es nicht? Wohl nicht. Wenn man die Rede des Bundespräsidenten hört, erfährt man, dass  das heutige Deutschland ein Land ist, in dem Menschen  von Ängsten geplagt werden,  sich Sorgen machen, das Gefühl haben, dass Leistung  sich nicht lohnen würde, dass vielen von ihnen der Aufstieg verwehrt wird, dass sie sich ins Private flüchten und dass sie  das Vertrauen in sich und  in die Politiker verloren haben, die aus „Ignoranz  und falscher Korrektheit“  ihre Augen vor akuten Problemen verschließen. „Ich verstehe es nicht“, hat er nicht gerade gesagt, er habe „nie zuvor ein besseres Land gesehen“? Wie dem auch sei.  Das  soll nun im Deutschland der Zukunft anders werden, lässt er uns hoffen. Das  Einzige, das mir dabei Sorgen macht,  ist  seine Vermutung, „unsere Kinder“ werden  womöglich „kein Geld oder Gut vererben“.  Was haben Sie mit uns vor,  Herr Bundespräsident?

Dieser Beitrag wurde am Freitag, 23. März 2012 um 21:53 Uhr veröffentlicht und wurde unter der Kategorie Blog abgelegt. Du kannst die Kommentare zu diesen Eintrag durch den RSS-Feed verfolgen.

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Ein Kommentar

  1. Wie heist es so schön? Freiheit ist die Freiheit der Andersdenkenden.
    Als ich ihn reden hörte, dass die Menschen in der DDR sich als Heimatlose fühlten, ist´s mir schlecht geworden. Ich habe mich nie als Heimatlose gefühlt.
    Seine Reden kann man sich wirklich nicht anhören.

    Comment: Eva Tille – 23. März 2012 @ 22:07

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