Wolfgang Huste Polit- Blog

Wer sind die Antideutschen?

Donnerstag, 26. Juli 2012 von Huste

In antifaschistischen Protesten und innerhalb der Antifa oder Linksjugend [’solid] trifft man auf Kräfte, die sich antideutsch nennen oder so bezeichnet werden. Was steckt dahinter? „Antideutsch“ – das klingt radikal und kämpferisch. Man ist nicht nur gegen Staat und Kapital, sondern steht in Totalopposition gegen das Land, das die Nazi-Herrschaft hervorbrachte. Doch in der Realität sind die Positionen der „Antideutschen“ und der Herrschenden in diesem Land nicht weit voneinander entfernt.
„Die Antideutschen“ als bundesweiten Zusammenhang gibt es nicht. Die Szene besteht aus einer Vielzahl von Gruppen mit einer Bandbreite von Inhalten. So tendieren unter anderem die Zeitschriften „Bahamas“, „konkret“ und „jungle world“ in die Richtung. Örtliche Gruppen des Spektrums bezeichnen sich zum Teil als Antifa. Auch in der Linksjugend [’solid] gibt es mit dem „Bundesarbeitskreis Shalom“ einen „antideutschen“ Zusammenhang.

Verachtung der Arbeiterklasse

Am Anfang der „antideutschen“ Ideologie steht die Einschätzung, dass der moderne Antisemitismus erstens den Holocaust als historisch unvergleichliche Katastrophe hervor gebracht hat und zweitens, unter Verwendung der „Kollektivschuldthese“, Produkt des gesamten deutschen Volkes war.
Ausgehend davon wird die Verhinderung eines neuen Holocaust zur obersten Priorität erklärt und daraus die bedingungslose Verteidigung des Staates Israel abgeleitet. Dabei verkennen sie die tatsächlichen Ursachen für die Machtergreifung der Nazis und damit der Ermöglichung des Holocaust. Und sie beantworten nicht die Frage, wie Antisemitismus effektiv bekämpft werden kann.
Die Kollektivschuldthese verschleiert, dass es die deutschen Kapitalisten waren, die Hitler finanziert und ausgerüstet haben. Dass die Nazi-Bewegung an die Macht gebracht wurde, um die organisierte Arbeiterbewegung zu zerschlagen. Die Nazis sollten damit in Zeiten von Wirtschaftskrise und massenhaften Streiks und Protesten von ArbeiterInnen die Gefahr einer sozialistischen Revolution bannen und den Weg zum Krieg bereiten.
Die Faschisten hatten 1933 keine Mehrheit bei freien Wahlen und vor allem keine Massenbasis in der Arbeiterklasse. Der Antisemitismus war der ideologische Klebstoff, um die Massenbasis der NSDAP in anderen Teilen der Bevölkerung zusammen zu halten. Er bot den von Existenzverlust bedrohten Kleinbürgern (Kleinunternehmer, Beamte usw.) die Illusion, sowohl gegen Kapitalismus als auch gegen Sozialismus zu kämpfen. Dabei konnten sich die Nazis auf historisch gewachsene Vorurteile und antisemitischen Rassismus stützen. Erst die brutale Zerstörung der Arbeiterbewegung, der permanente Gestapo-Terror und die ideologische Gleichschaltung der Gesellschaft ließen die Nazis auch in Teile der Arbeiterklasse vordringen.
Die „Antideutschen“ verkennen, dass es die kapitalistische Stufe der Entwicklung von Produktivkräften war, die es ermöglichte, dass die Eroberung eines Staatsapparates durch eine fanatisch-antisemitische Diktatur zur industriellen Massenvernichtung der jüdischen Bevölkerung führte, dem größten und beispiellosen Verbrechen in der Menschheitsgeschichte.
Die Kollektivschuldthese wurde nach Kriegsende genutzt, um die Verantwortung der Kapitalisten für Hitlers Machtergreifung zu verschleiern und den Forderungen nach Verstaatlichung der Industrie und Abschaffung des Kapitalismus abzulenken. Die „Antideutschen“ haben die These vom tendenziell antisemitischen Charakter des deutschen Volkes in die heutige Zeit gerettet und sehen in den heutigen Deutschen die Erben der Nazis. Unterschiede zwischen den Klassen sehen sie nicht.

Der Staat Israel

Das gilt auch für ihre Haltung zum Staat Israel. Sie negieren die Existenz einer Klassengesellschaft in Israel und machen keinen Unterschied zwischen der herrschenden Klasse und der Masse der ArbeiterInnen und Erwerbslosen.
Fast jede ihrer Diskussionen dreht sich um Israel und dessen Bedrohung. Aber sie schweigen zu Streiks und gemeinsamen jüdisch-arabischen Demos gegen Wohnungsnot. Ganz abgesehen davon, dass die Mehrheit der Jüdinnen und Juden auf der Welt nicht in Israel lebt und das auch nicht will, ist Israel alles andere als ein sicherer Ort für sie.
Die SAV tritt für das Recht der jüdisch-israelischen Bevölkerung auf einen eigenen Staat ein und lehnt alle pseudo-linken Positionen ab, die eine „Zerstörung Israels“ fordern. Gleichzeitig ist aber Kritik an der Politik der herrschenden kapitalistischen Klasse in Israel und die Verteidigung des Selbstbestimmungs- und auch des Widerstandsrechts für die PalästinenserInnen nicht mit Antisemitismus gleichzusetzen. Die israelische Schwesterorganisation der SAV, Maavak Sozialisti, die mehrheitlich aus jüdischen AktivistInnen besteht, tritt für die Einheit jüdischer und arabischer ArbeiterInnen und Jugendliche im Kampf gegen Ausbeutung, Unterdrückung und Krieg ein. Nur durch eine solche Politik kann die nationale Spaltung, und damit auch der Antisemitismus, zurück gedrängt werden.

Islamophobie von links

Theoretisch wenden sich die „Antideutschen“ gegen die Herrschenden im eigenen Land. Doch ihr Feindbild ist nicht der deutsche Imperialismus, sondern der Islamismus beziehungsweise die gesamte islamische Religion. Mit der Zuschreibung eines irrationalen, mittelalterlichen „antisemitischen Vernichtungswillens“ islamischer Organisationen und Staaten, haben viele „Antideutsche“ die Massaker der israelischen Armee in Libanon und Gaza gerechtfertigt.
Die „Antideutschen“ machen einen Denkfehler. Sie denken, sie könnten gnadenlos auf die islamische Religion eindreschen und am Ende würde damit nur die „Islam-Kritik“ gestärkt. Tatsächlich führt die aggressive „Islam-Kritik“ zur Ethnisierung der gesamten politischen Debatte und trägt Antisemitismus und Rassismus im Huckepack.

Kapitalismus forever?

Hinter ihrer Unterstützung der Herrschenden in Israel und den USA steckt, dass die „Antideutschen“ die Hoffnung aufgegeben haben, Kapitalismus und Imperialismus abzuschaffen und eine Welt frei von Ausbeutung und Unterdrückung zu erreichen. Daher konstruieren sie einen Gegensatz zwischen den entwickelten kapitalistischen Ländern, allen voran Israel und USA, und den „feudalen“ islamischen Staaten. „Kommunismus“ sei zwar im Prinzip besser als Kapitalismus, aber zurzeit nicht im Angebot. Daher wäre der „aufgeklärte“, „kosmopolitische“ Kapitalismus den islamischen Gesellschaften vorzuziehen.
Staaten mit feudalen Elementen und entwickelte kapitalistische Länder sind aber feste Bestandteile eines globalen Kapitalismus. Die Herausbildung imperialistischer Staaten in Europa und Nordamerika hat zur Aufteilung des Weltmarktes und zur kapitalistischen Durchdringung des Rests der Welt geführt. Den zu spät im Kapitalismus angekommenen Ländern ist der Weg zur Herausbildung einer stabilen bürgerlichen Demokratie versperrt, gerade weil sie von den entwickelten kapitalistischen – imperialistischen – Staaten dominiert, ausgebeutet, unterdrückt werden. Nur durch den Kampf für Sozialismus werden auch die reaktionären feudalen Überreste in diesen Gesellschaften überwunden werden können.

„Regressive“ Kapitalismuskritik?

Viele „Antideutsche“ sehen Massenbewegungen von unten, die soziale Forderungen aufstellen, als reaktionär an. Proteste gegen die Macht der Banken und Konzerne werden als „regressive“ (rückschrittliche) „Kapitalismuskritik“ bezeichnet, angeblich ist jede Benennung einzelner Personen im Kern „antisemitisch“. Soll heißen: Alle, die sagen, dass die Klasse der Kapitalisten aus einzelnen Menschen und Gruppen von Menschen besteht, deren Handeln Folgen für andere Menschen hat, sind „antisemitisch“. Ein typisches Beispiel für die absurde Argumentationsweise der „Antideutschen“.
Die „Antideutschen“ sehen Kapital und Arbeiterklasse nicht als gegensätzliche Klassen, sondern lediglich als notwendige Bestandteile des Kapitalverhältnisses. Eine Auflösung desselben kann demnach nicht durch den Klassenkampf erreicht werden.
Was bleibt, wenn man die „kommunistischen“ Phrasen abzieht? Die „Antideutschen“ halten Massenbewegungen für reaktionär. Zurzeit ist nur Kapitalismus möglich, der US-Kapitalismus ist die fortschrittlichste Variante desselben. Die Massen auf der Welt, Muslime und Deutsche sowieso, andere auch, sind antisemitisch und müssen von den Kräften, die dies erkannt haben, im Zaum gehalten werden.
Unter ihrer dünnen „kommunistischen“ Tarnfarbe sind sie eine spezifisch deutsche Variante von Neokonservativen, die sich für eine Seite im kapitalistischen Konkurrenzkampf entschieden haben und die konsequente militärische Durchsetzung von Herrschaftsinteressen fordern. ■

Quelle: „Stoppt Nazis & Rassisten. Ein Programm für den Kampf gegen Rechts.“, Seite 22 und 23. Herausgeber: www.sozialismus.info

Wr in meinber Nähe wohnt: Diese Info-Broschüre befindet sich mehrfach in meinem Antiquariat. Für 3 Euro kann Mensch sie bei mir kaufen. Das Heft hat 31 Seiten, ist illustriert und ist in DIN-A 4 Größe gedruckt.

ver.di Bezirk Oberpfalz verurteilt Nazi-Angriff auf Gewerkschafter

Donnerstag, 26. Juli 2012 von Huste

„Der ver.di Bezirk Oberpfalz verurteilt aufs Schärfste den neonazistischen Angriff auf einen unserer Kollegen, der sich am Donnerstagmorgen in Regensburg ereignete!“ – so ver.di-Bezirksvorsitzender Manfred Hellwig. Der betroffene Kollege ist aktiver Gewerkschafter und engagiert sich in seiner Funktion als Vorsitzender der ver.di Jugend Oberpfalz seit Jahren gegen Rechts – „dieses Engagement haben wir und werden wir stets aktiv unterstützt“.
„Wir sind schockiert darüber, dass erneut Gewerkschafter, die sich gegen neonazistische Umtriebe engagieren, zum Angriffsziel rechter Schläger werden und hoffen, dass die Täter bald ermittelt werden können und entsprechend bestraft werden!“, unterstreicht ver.di Bezirksgeschäftsführer Alexander Gröbner.

„Wir können und werden es nicht hinnehmen, dass Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter auf offener Straße attackiert werden“.
In diesem Zusammenhang verurteilt der ver.di Bezirk Oberpfalz auch die rechte Hetze, die seit Jahren auf der Homepage des neonazistischen Kameradschaftsnetzwerkes „Freies Netz Süd“ gegen Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter ebenso wie gegen andere Nazigegner betrieben wird.„Auch gegen unseren Kollegen, der sich schon seit längerem für das Verbot des ‚Freien Netz Süd‘ engagiert, wurde auf dieser Website gehetzt“, stellt Gröbner fest. „Glücklicherweise befindet sich unser Kollege auf dem Weg der Besserung“. Gröbner betont, dass weder der ver.di Bezirk Oberpfalz noch der betroffene Kollege sich von neonazistischen Schlägern einschüchtern lassen. „Dieser Angriff ist vielmehr ein Zeichen dafür, dass wir unseren Kampf gegen rechte Gewalt weiterführen müssen“, fordert er auch weiterhin, sich aktiv in den vielen existierenden Bündnissen zu engagieren und gemeinsam Zivil-Courage zu zeigen!“.

Kontakt:
www.oberpfalz.verdi.de
www.gerecht-geht-anders.de

Info vom 25.07.12

Verfassungsschutz als Schutz für Nazis

Donnerstag, 26. Juli 2012 von Huste

„Das NPD-Verbot droht zum zweiten Mal am Verfassungsschutz zu scheitern. Damit erweist sich die Behörde einmal mehr als Schutzschild für militante Neonazis“, erklärt die innenpolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE, Ulla Jelpke, zur Debatte darüber, ob die „Aktenschredderei“ des Verfassungsschutzes ein erneutes NPD – Verbotsverfahren gefährdet. „Einen Verfassungsschutz, der in erster Linie die Funktion erfüllt, die NPD vor einem Verbotsverfahren zu schützen, braucht niemand, außer den Nazis selbst. Solch ein Dienst gehört zum Schutz der Demokratie ein für allemal abgeschafft.“ Jelpke weiter:

„Verfassungsschutzagenten haben Nazigruppen wie den NSU-Vorläufer Thüringer Heimatschutz aufgebaut. Sie haben ihre schützende Hand über die im Untergrund lebenden – und mordenden! – Neonazis des NSU gehalten. Durch ihre V-Leute in der NPD haben die Verfassungsschutzbehörden das erste NPD-Verbotsverfahren zum Scheitern gebracht. Jetzt droht auch der zweite Anlauf zum Verbot der neofaschistischen Partei am Verfassungsschutz zu scheitern. Da stellt sich schondie Frage, von wem die größere Gefahr für die Demokratie ausgeht: von der NPD oder dem unkontrollierbaren Geheimdienst mit seinen vielfältigen Verbindungen in die Naziszene?“

NPD-Provokation

Mittwoch, 25. Juli 2012 von Huste

Zur Diskussion um einen von den Augsburger Behörden genehmigten und gegenüber der demokratischen Öffentlichkeit verschwiegenen Aufmarsch der Neonazis am vergangenen Samstag erklären die Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend (SDAJ) und die Deutsche Kommunistische Partei (DKP):

»Wir sind empört darüber, daß Ordnungsreferent Dr. Volker Ullrich durch das Verschweigen der NPD-Provokation Proteste gegen diese Zusammenrottung verhindert hat.«

Ullrich hatte erklärt, die Stadt tue sich schwer damit, eine Veranstaltung zu verbieten. »Damit macht er es uns schwer, die schönen Worte von Oberbürgermeister Dr. Kurt Gribl beim Aktionstag im Februar ernst zu nehmen, der Augsburg für die Zivilcourage gegen rechts gelobt hatte«, erklärten Sprecher der beiden Organisationen und fragen: »Ist Herrn Ullrich bewußt, daß er durch sein Tun zerstört, was in langer Arbeit aufgebaut wurde: das gemeinsame Entgegentreten der Kommune gegen rechts?« Es sei ein Skandal, eine Zusammenrottung der Neofaschisten ausgerechnet zum Jahrestag des Attentats auf Adolf Hitler am 20. Juli sowie des an diesem Wochenende begangenen Jahrestags des Massakers eines norwegischen Neofaschisten in Oslo und Utøya zu genehmigen und dann auch noch Proteste zu hintertreiben. »Was ist das für ein Oberbürgermeister, der sich zeitgleich seelenruhig die Parade des Karnevals der Kulturen betrachtet, während Nazis seine Innenstadt heimsuchen, nur wenige Meter vom friedlichen Familienfest entfernt?«

»Auch die Polizei, müsse sich nun zu den Veranstaltungen äußern, « forderte ein Sprecher der SDAJ. »Es ist fraglich, warum die Polizei wenigstens die Kundgebungen in Augsburg und Bobingen nicht kurzfristig absagte, da es bereits in Landsberg zu körperlichen Auseinandersetzungen seitens der Rechten kam.«

SDAJ und DKP Augsburg fordern die Augsburger Stadtverwaltung auf, zu ihrem bewährten antifaschistischen Verhalten zurückzukehren. »Bislang konnten wir davon ausgehen, daß wir in OB Gribl und der Stadtverwaltung trotz politischer Differenzen in anderen Bereichen Verbündete hatten, wenn es um den Kampf gegen die Neofaschisten ging. Wir würden es bedauern, wenn die Augsburger CSU und ihre Koalitionspartner nichts aus dem NSU-Skandal gelernt hätten und aus der breiten Koalition der Antifaschisten ausscheren«, erklären die beiden Organisationen.

Die Stadtratsgruppe der Partei Die Linke in Augsburg nahm zu dem Thema in einer Pressemitteilung Stellung:

Faschismus darf man nicht ignorieren! Die Linke verurteilt das Vorgehen des Ordnungsreferenten und der Stadt Augsburg bei der Kundgebung von Neofaschisten am Samstag, dem 21.Juli, in der Augsburger Innenstadt. Wir sind empört über das Vorgehen von Ordnungsreferent Volker Ulrich und der Stadt Augsburg. Es wurde der Zivilgesellschaft in Augsburg bewußt eine Kundgebung von Neofaschisten verheimlicht. Damit sollte möglichst wenig »Aufsehen« erregt werden. Wir halten dieses Vorgehen für völlig falsch. Faschisten darf man nicht ignorieren, sondern man muß ihnen mit allen Mitteln des demokratischen Staates und der Zivilgesellschaft entgegentreten! (…) Die Linke beantragt die Behandlung des Vorfalls am Donnerstag im Stadtrat. (…)

Quelle: www.jungewelt.de vom 26.07.12

»Unser Camp ist richtig herausgeputzt«. Stadt Frankfurt am Main droht mit Räumung von Occupy-Lager – angeblich wegen mangelnder Hygiene. Ein Gespräch mit Jule S. Interview: Gitta Düperthal. Jule S. ist Aktivistin von Occupy Frankfurt/M.

Mittwoch, 25. Juli 2012 von Huste

Der Frankfurter Ordnungsdezernent Markus Frank, CDU, hat beschlossen, das Occupy-Camp der Kapitalismuskritiker vor der Europäischen Zentralbank, EZB, in der Mainmetropole am kommenden Dienstag zu räumen. Als Grund hat er mangelnde Hygiene angegeben …
Wir finden das höchst unglaubwürdig. Denn nicht nur das Frankfurter Occupy-Camp soll am 31. Juli geräumt werden, sondern auch die Camps der Bewegung in Düsseldorf und Kiel – alles unter dem Deckmantel vermeintlicher Hygienemängel. Bei Verhandlungen zwischen Occupy und dem Ordnungsdezernenten in den vergangenen Wochen hatte Frank noch zugesagt, daß das Camp bleiben kann. Plötzlich droht er zu räumen.

Wir halten das für einen Wortbruch und sagen: Er lügt. Wir gehen davon aus, daß es sich bei den geplanten Räumungen der Occupy-Camps um eine konzertierte bundesweite Aktion handelt. Ziel ist es, die Städte frei von sozialen und politischen Protesten zu halten. Hygienemängel sind nur vorgeschoben. Auch das New Yorker Camp wurde seinerzeit unter diesem Vorwand geräumt.

Außerdem haben wir an der Sauberkeit gearbeitet. Unser Camp ist richtig herausgeputzt. Der Müll ist längst beseitigt, obgleich die Frankfurter Entsorgungs- und Service GmbH uns dafür horrende Kosten von 10500 Euro berechnet hat. Wir finden es skandalös, daß eine politische Versammlung wie Occupy Spendengelder dafür aufwenden muß. Bei einer Vergnügungsveranstaltung im Frankfurter Nordend, wo Bürger sich wöchentlich zum Feiern treffen, übernimmt die Stadt ganz selbstverständlich die Entsorgung des Mülls. Die Ordnungshüter sollten lieber die Banken räumen, deren Finanzgebaren zum Himmel stinkt und die Verarmung großer Teile der Bevölkerung zur Folge hat.

Eine regelrechte Schmutzkampagne hat Bild gestartet. Was hat das Blatt geschrieben?
Bild hat beispielsweise getitelt »Ekel-Alarm: Ratten besetzen Occupy-Camp« oder »Rumänen übernehmen das Camp«. Hinter der Parallelität des Sprachduktus in beiden Schlagzeilen steckt aus unserer Sicht Rassismus: mal die Ratten, mal die Rumänen.

Außerdem sind die Ratten nicht von der Occupy-Bewegung geschaffen, auch an anderer Stelle der Stadt gibt es dieses Problem. Die Kampagne lag offensichtlich im Interesse des Ordnungsdezernenten. Als Bild obendrein das Thema Müll aufgeblasen hat, haben wir ihnen Säcke mit Müll vor die Redaktionstür gestellt – und dort ein Transparent aufgehängt: »Müll zur Müllpresse«.

Wendet sich die Bevölkerung nach dem Feldzug von Bild und der Frankfurter CDU von Occupy ab?
Wir hoffen nicht, daß sich die Menschen vom Schmierenjournalismus beeinflussen lassen. Touristen und Anwohner, die uns besuchen, verstehen gar nicht, wovon der Ordnungsdezernent spricht. Wer kommt, sieht ein buntes aufgeräumtes Camp. Viele machen kopfschüttelnd Fotos davon.

Im Zeltlager gibt es Obdachlose und soziale Probleme. Konnten sich die politischen Aktivisten weniger dem Widerstand gegen das Finanzkapital widmen, weil sie Sozialarbeit leisten mußten?
Es fahren eben nicht alle Ferrari. Die Obdachlosen, die zu uns ins Camp kommen, zeigen die gesellschaftlichen Probleme auf. Sie sind bei uns, weil sie sich hier wohlfühlen können, wir grenzen niemanden aus. Uns sind Banker und Obdachlose willkommen, sie können mitmachen und sich politisch engagieren. Natürlich gibt es Probleme mit Leuten, die Alkohol trinken und ihre Aggressionen nicht im Griff haben. Viele gehen an diesem System seelisch kaputt, in dem es nur um Leistung, Konkurrenz und Profit geht.

Wie werden die Aktivisten auf den Affront des Ordnungsdezernenten reagieren?
Wir werden am Samstag für die Versammlungsfreiheit und gegen die Diktatur der Finanzindustrie demonstrieren. Sie mögen das Camp räumen können – aber unsere Idee können sie nicht beseitigen. Es wird weiterhin öffentliche Plätze geben, und dort werden wir uns auch versammeln.

* Samstag, 28. Juli, 12 Uhr, Rathenauplatz, Frankfurt am Main. Demonstration der Occupy-Bewegung

Quelle: www.jungewelt.de vom 26.07.12

Andalusischer Aufstand. Von André Scheer

Mittwoch, 25. Juli 2012 von Huste

Im Süden Spaniens halten seit Dienstag rund 100 landlose Bauern ein 1200 Hektar großes Grundstück besetzt, das dem Verteidigungsministerium des Landes gehört. Da das spanische Militär nur etwa 20 Hektar der Finca »Las Turquillas« nutzt und die übrigen Flächen weitgehend brachliegen, fordern die in der Andalusischen Arbeitergewerkschaft (SAT) zusammengeschlossenen Besetzer, ihnen das ungenutzte Land, knapp 100 Kilometer von Sevilla entfernt, zur Bestellung zu übergeben.

Am Dienstag morgen waren insgesamt rund 1000 Landarbeiter unter der sengenden Sonne Andalusiens den rund einen Kilometer langen Feldweg von der Straße zur Finca marschiert, unter ihnen der Bürgermeister des nur gut 30 Kilometer entfernten »kommunistischen Dorfes« Marinaleda, Juan Manuel Sánchez Gordillo, der für die Vereinigte Linke auch im andalusischen Regionalparlament sitzt. Am Ziel ihres Marsches angekommen, ließen sich die Demonstranten nicht von den großformatigen Warnschildern beirren, auf denen der Beginn des militärischen Sperrgebiets verkündet wird, und überkletterten die Absperrungen. Im inneren und besonders umzäunten Bereich des Landguts wartete ein Großaufgebot von Aufstandsbekämpfungseinheiten der paramilitärischen Guardia Civil. Die Landarbeiter verzichteten jedoch darauf, gewaltsam in dieses Sperrgebiet einzudringen. Statt dessen ließen sie sich auf den umliegenden Ländereien nieder, errichteten aus Planen und Zelten erste provisorische Unterkünfte und begannen, das Gebiet für einen längeren Aufenthalt vorzubereiten. Eine Delegation der Gewerkschaft suchte unterdessen das Gespräch mit den Befehlshabern der dort stationierten Militärs.

Der Generalsekretär der SAT, Die­go Cañamero, kritisierte gegenüber Journalisten, daß die Gemeindeverwaltung von Osuna lediglich 300 Hektar bebauen dürfe, was ihr Anfang 2009 auch erst nach langen Auseinandersetzungen mit den Militärbehörden eingeräumt worden war. Die übrigen Ländereien sind bis heute ungenutzt. Zugleich leide die landwirtschaftlich geprägte Region jedoch unter einer »deprimierenden wirtschaftlichen Situation«, deren markantestes Merkmal eine Arbeitslosenquote von rund 40 Prozent sei, so Cañamero. Ziel der Besetzung sei deshalb, daß Grund und Boden den Arbeitern übergeben werden und die Finca, die den Streitkräften bislang in erster Linie zur Aufzucht von Pferden dient, zu einer Kooperative der Beschäftigten wird. »Wir wollen das Land nicht als Eigentum, sondern zur Nutzung«, unterstrich der Gewerkschafter, »damit der Boden Arbeit gibt und Wohlstand schafft«. An »Subventionen aus Europa« seien seine Kollegen hingegen nicht interessiert.

Es ist nicht das erste Mal, daß die SAT zu einer solchen Aktion greift. Bereits seit dem 4. März halten Landarbeiter die Finca Somonte, rund 65 Kilometer von Córdoba entfernt, okkupiert, um dadurch den Verkauf des bislang im Staatsbesitz der Junta de Andalucía befindlichen Gebiets an Großgrundbesitzer und Konzerne zu verhindern. Nach einer Räumung durch die Polizei am 26. April kehrten sie am folgenden Tag direkt wieder auf die Finca zurück. Erfolgreich: Vor wenigen Tagen kündigte die Regionalregierung an, auf eine Veräußerung des Gebiets zu verzichten. Das sei bereits ein großer Erfolg, so Cañamero, jedoch erst das halbe Ziel. Nun müsse die von den Bauern gegründete Kooperative von den Behörden anerkannt werden.

Quelle: www.jungewelt.de vom 26.07.12

Hände weg von der Privatisierung der Schwimmbäder in Königswinter! Von Wolfgang Huste

Mittwoch, 25. Juli 2012 von Huste

Mit großem Interesse las ich in der Rhein-Zeitung vom 25.07.12 den Beitrag: „Wie geht’s mit den Bädern weiter?“. Als ich vor einigen Jahren noch in Bad Honnef wohnte und Mitglied im Sprecherrat der Bürgerinitiative „Rettet das Lemmertz – Freibad“ war, warnte ich schon damals sehr eindinglich vor einem möglichen PPP – Modell (Public-Private-Partnership = Öffentliches-Privates-Partnerschafts-Modell). Ich empfehle den Bürgern, insbesondere den Ratsvertretern und der Stadtverwaltung Königswinter, folgendes Buch zu lesen:
„Privatisierung in Deutschland. Eine Bilanz. Von der Treuhand zu Private Partnership“. Von Werner Rügemer. Der Autor ist ein international anerkannter Experte auf dem Gebiet der Privatisierung des öffentlichen Eigentums und ein scharfer Kritiker von PPP-Modellen. Damals prägte ich den Satz: „Die Privatisierung des öffentlichen Eigentums ist eine modifizierte Form einer freiwilligen Enteignung der Kommunen und damit auch der Bürgerinnen und Bürger!“. Rügemer stellt nüchtern fest, dass bei PPP-Verträgen weder etwas öffentlich noch partnerschaftlich, noch demokratisch formuliert wird.

Die Vertragsinhalte bleiben für die Öffentlichkeit geheim und dadurch völlig intransparent. Das Recht auf Einrede, also die Möglichkeit, als Bürger oder als einfacher Ratsvertreter Einfluss auf die Vertragsgestaltung zu nehmen, wird durch entsprechende Klauseln im jeweiligen Vertragswerk verunmöglicht. Die Praxis in Gegenwart und Vergangenheit zeigt, dass die Ratsvertreter, die Stadtverwaltung und letztendlich die Bürger von den Privaten regelmäßig über den Tisch gezogen werden. Da die Verträge in der Regel auf 15 bis 35 Jahre angelegt sind, kann weder die Ratsvertretung, noch die Verwaltung oder die Bürger zukünftig auf die Gestaltung der Eintrittspreise oder die Qualität der Arbeitsplätze und deren Entlohnung oder auf die Ausstattung des Schwimmbades Einfluss nehmen. Mögliche Gewinne kommen dann nicht mehr der Allgemeinheit zugute, sondern nur noch den Privaten. Oftmals wird bestehendes Personal entlassen und – wenn überhaupt – zu deutlich schlechteren Bedingungen wieder eingestellt. Letztendlich führen solche und ähnliche Modelle immer (!) zu höheren Eintrittspreisen, zu einem schlechteren Service und zu einem hohen Renovierungsstau, da aus Erfahrung Renovierungsarbeiten von den Privaten nur schleppend oder gar nicht ausgeführt werden, um den (privatisierten!) Gewinn nicht zu schmälern. Die gesamten Entgeltzahlungen an die privaten Eigentümer machen im Laufe der langen Vertragszeit oftmals mehr als das Doppelte von dem aus, was ein möglicher Ankauf des Schwimmbads durch die Stadt Königswinter gekostet hätte. Eine Finanzierung über eine Regional- oder Kommunalbank (mittels eines langfristigen, günstigen Darlehens) oder mit Hilfe einer Landesbank oder durch entsprechende Finanzierungsfonds von der europäischen Ebene, die insbesondere strukturschwachen Regionen zugute kommen (sollen), wäre für die Kommune deutlich günstiger. Bei der Vertragsgestaltung werden oftmals sehr hohe „Beraterhonorare“ gezahlt. Sie machen in der Regel rund 10% der Gesamtinvestitionssumme aus. Da können schnell einige Hunderttausend Euro hinzukommen. Im Fall der Schwimmbäder in Königswinter sind dafür „nur“ 21 000 Euro vorgesehen. Wer garantiert den Bürgern schriftlich, dass die Berater letztendlich nicht doch noch mehr Geld verlangen und letztendlich auch bekommen? Das Ansinnen der Stadtverwaltung, externe Berater zu Rate zu ziehen, ist ein Armutszeugnis für die Stadtverwaltung Königswinter! Hat die Stadtverwaltung keine geeigneten Juristen oder andere stadteigene Experten zur Hand, die in der Lage sind, ein entsprechendes Vertragswerk zu formulieren, ein solches Projekt fachlich zu begleiten? Für wen oder was zahlen dann die Bürger ihre Steuern? Für unfähige Verwaltungsangestellte, die sich die Gestaltung eines solchen Projektes nicht selbst zutrauen und deshalb auf „externe Hilfe“ hoffen? Es ist eine kluge, bürgerfreundliche Entscheidung, wenn der Stadtrat die finanziellen Mittel für dieses Projekt nicht freigibt. Hoffentlich wird da kein Ratsvertreter „umkippen“- warum und wodurch auch immer. Sicherlich nicht nur für mich befrendlich wirkt die Tatsache, dass die Tochter von Bürgermeister Wirtz bei einem der Bewerber jobbt und dass auch der Beigeordnete Sridharan sich in dieser Angelegenheit für befangen erklärt, weil er mit dem Geschäftsführer einer Firma befreundet ist, die sich ebenfalls um den Auftrag bewarb. Für mich hat das ein „Geschmäckle“.
Ich appelliere an alle Bürger in Königswinter und anderswo: Verhindert die Privatisierung der Schwimmbäder! Öffentliches Eigentum muss in öffentlicher Hand verbleiben! Ansonsten wird sich ein finanzielles Desaster anbahnen, davon bin ich überzeugt! Wenn Private Geld in ihre Hände nehmen (in der Regel öffentliches Geld, weil der Eigenkapitalanteil von Privaten oftmals sehr gering ist), um damit zum Beispiel öffentliche Schwimmbäder zu privatisieren, dann wollen sie selbstverständlich ein Geschäft machen. Als Bürger frage ich mich sogleich: Warum soll der Gewinn nicht der Kommune zugute kommen, und damit allen Bürgern?
Es wäre also, wie schon von mir gesagt, weitaus sinnvoller, wenn die Stadt Königswinter entsprechend selbst die Verfügungsgewalt über das öffentliche Eigentum behält. Und niemals vergessen: Kommunen sind nicht dazu da, Gewinne zu erzielen! Sie sollen vielmehr (möglichst!) kostendeckend arbeiten. Öffentliche Einrichtungen wie zum Beispiel kommunale Schwimmbäder oder öffentliche Bibliotheken müssen bei Bedarf entsprechend subventioniert werden, denn dafür zahlen wir Steuern, damit sich auch Menschen mit einem geringen Einkommen, mit einer geringen Rente, die Eintrittspreise leisten können. Und falls eine Kommune dennoch einmal hier oder da einen „Gewinn“ macht, dann muß das allen Bürgern zugute kommen.

Mord aus Konsens. Führt eine Spur von der staatlich verordneten Entwürdigung von Flüchtlingen zu der Mordserie des »Nationalsozialistischen Untergrundes«? Von Wolf Wetzel

Dienstag, 24. Juli 2012 von Huste

Am 18. Juli 2012 erklärte das Bundesverfassungsgericht (BVG), daß das Asylbewerberleistungsgesetz aus dem Jahr 1993 verfassungswidrig ist. An diesem Gesetz hatten alle »Volksparteien«, von CSU/CDU, FDP bis SPD mitgewirkt. Mehr noch: Welche Regierung auch seither an der Macht war, sie verschärfte die Regelungen. Als Begründung für diese fortgesetzte, parteiübergreifende, verfassungswidrige Praxis wurde angegeben, daß man alles dafür tun wolle, um einen »Bleibewunsch« der Flüchtlinge nicht zu befördern.

Den Gesetzentwurf hatte 1992, also kurz nach dem Pogrom von Rostock-Lichtenhagen, die CSU/CDU-Frak­tion eingebracht: »Der wirtschaftliche Anreiz, nach Deutschland zu kommen, muß gemindert werden«, sagte Ex-CSU-Generalsekretär Bernd Protzner damals im Bundestag. Von der Beschränkung auf Sachleistungen erhoffte sich seine Fraktion eine »Eindämmung des ungebremsten Einwandererzustroms« (taz vom 18. Juli). Dieses Ziel verfolgten in der Praxis – entsprechend ihrem rassistischen und neonazistischen Weltbild – die führenden Mitglieder des »Thüringer Heimatschutzes«, die fünf Jahre später in den Untergrund gingen, um ihre mörderischen Absichten in die Tat umzusetzen.
Pogrome
Selbstverständlich ist es nicht dasselbe, ob man das Leben der hier schutzsuchenden Flüchtlinge zur Qual macht oder ob man sie umbringt. Gemeinsam ist diesen Handlungen jedoch die Matrix, daß Menschen, die nicht deutsch genug sind, minderwertig sind, also weder die gleichen Rechte, geschweige denn die gleiche Menschenwürde haben dürfen. Daß hier Menschen leben, die »zu viel« sind, »hier nichts zu suchen haben«, ist keine neonazistische Erfindung, sondern der breite Konsens, aus dem das Asylbewerberleistungsgesetz schöpft.

Anfang der 90er Jahre wurde generalstabsmäßig eine »Asyldebatte« entfacht. Die dabei beschworene »Asylflut« führte geradewegs zu der Schlußfolgerung »Das Boot ist voll« (Der Spiegel). Allgegenwärtigkeit und Medienpräsenz dieser Kampagne lagen nicht in den Händen neonazistischer Organisationen. Sie wurde von etablierten Parteien, von der großen Koalition aus CSU/CDU/FDP/SPD und fast allen bürgerlichen Medien ins Leben gerufen – auf deren rassistischen Gehalt sich immer wieder lächelnd neonazistische Kader bezogen, wenn ihnen Anstiftung, Mordaufrufe und Pogrome zur Last gelegt wurden.

Viele politische Enttäuschungen und soziale Unzufriedenheiten, aber auch der von allen Parteien wieder aufpolierte Stolz, ein Deutscher zu sein, bekamen ein staatlich zugewiesenes, rassistisch markiertes Opfer: Die Ausländer, die Flüchtlinge, die »Scheinasylanten« und die Juden, die in allen stecken, hinter allem stehen. Eine ungeheure Pogromwelle zog durch das vereinte Deutschland, eine Mordwelle, die bereits in den ersten beiden Jahren nach 1990 über dreißig Menschen das Leben kostete und denen, die gemeint waren, das Leben zur Hölle machte.
Einzelfälle
Inbegriff dieser mörderischen Allianz wurde Rostock-Lichtenhagen 1992. Dort wurde ein Flüchtlingsheim tagelang belagert. Als es lichterloh brannte, machten bereitstehende Hundertschaften »Pause« bzw. »Schichtwechsel«. Die (außerparlamentarische) Linke war diesem Bündnis aus Regierungspolitik und deutschnationaler Pogromstimmung nicht gewachsen. Wenn sie intervenierte, Schutz von Flüchtlingsheimen organisierte, stand sie regelmäßig einem Großteil der Bevölkerung, Lokalpolitikern und aus dem Boden schießenden neonazistischen Schlägertrupps gegenüber. Diese konnten in erschreckend kurzer Zeit »national befreite Zonen« schaffen, in denen linke »Zecken« und alles, was nicht »deutsch aussieht und fühlt«, bedroht waren.

Zwei Jahre lang – bis zum Mordanschlag in Mölln am 22. November 1992 – galt als Regierungsstil die Beileidsbekundung: Zuerst bedauerte man den neuesten »ausländerfeindlichen Übergriff«, je nach Verletzungsgrad, auch mit Entsetzen, um im zweiten Halbsatz die Dringlichkeit einer Grundgesetzänderung, die Abschaffung des Asylrechts ins Zentrum der eigentlichen Aussage zu rücken.

1993 war es dann soweit: Was Neonazis und »anständige« Deutsche, mit Springerstiefeln und im Anzug, mit Haß und »verständlicher« Sorge jahrelang, unter Schirmherrschaft einer großen Koalition im »Einzelfall« betrieben, wurde systematisiert, verstaatlicht, verrechtlicht: Am 26. Mai 1993 verabschiedete der Deutsche Bundesstag mit einer satten Zweidrittelmehrheit die de facto Abschaffung des Asylrechts (Grundgesetzartikel 16). Fortan war Deutschland von erfundenen »sicheren Drittstaaten« umgeben, in die Flüchtlinge sofort abgeschoben werden konnten. Für sie war Deutschland auf dem Landweg nicht mehr erreichbar. Schafften sie es dennoch per Flugzeug, erwartete sie eine bis auf 98 Prozent ansteigende Ablehnungsquote von Asylanträgen – die sichere Rückkehr in Hunger, Folter und Tod.
Zweidrittelmehrheit
Aufgrund extrem hoher Zahlen von »Straftaten mit rechtsextremem Hintergrund« wurde in Sachsen-Anhalt eine landesweite Kampagne gegen neonazistische Gewalt gestartet, unter dem Motto: »Nicht weggucken«. Was darunter der Polizeichef in Dessau, Hans-Christoph Glombitza verstand, hielten Beamte in einem Gesprächs­protokoll vom 5. Februar 2007 fest: »Das ist doch nur für die Galerie.« Anschließend gab er seinen Untergebenen Anweisungen, wie man zumindest die Statistik aufs unauffällige Mittelmaß drücken und damit das Ansehen des Bundeslandes wieder liften könne: Erstens gäbe es die Möglichkeit, »daß man nicht alles sehen müsse« und zweitens könne man einen Bericht »auch langsamer schreiben«. Selbstverständlich handelt es sich dabei, laut Innenminister Holger Hövelmann (SPD) um einen bedauerlichen Einzelfall. Am 8. Juni 2007 wurde im selben Bundesland, in Halberstadt, eine Theatergruppe von einer Horde Neonazis zusammengeschlagen. Die gerufene Polizei befolgte geradezu vorbildlich das oben beschriebene Drehbuch: Man hielt so lange die Personalien der Opfer fest, bis die Täter ausnahmslos geflüchtet waren. Ist das nicht das Drehbuch, nach dem auch die NSU-Morde »aufgeklärt« werden?

Ist es ein Zufall, daß der »Thüringer Heimatschutz«, aus dem der NSU hervorging, seine Wurzeln in jener Zeit hat, wo kaum ein Tag verging, wo nicht ein Flüchtling, ein Mensch, der nicht deutsch genug aussah, bedroht bzw. angegriffen wurde? Ist es richtig, daß die Evakuierung des Flüchtlingsheimes in Hoyerswerda 1991 nach tagelanger Belagerung als ein Sieg derer zu verstehen ist, die Flüchtlinge zum Teufel wünschten? Was sollten neonazistische Gruppierungen für einen Schluß ziehen, wenn Flüchtlingsheime belagert, angegriffen und niedergebrannt wurden und die Polizei zuschaute, nicht eingriff? Welchen Schluß sollten neonazistische Gruppen aus dem Fakt ziehen, daß alle Parteien (mit Ausnahme der Grünen und der PDS) die Flüchtlinge als ein Problem definierten? Welchen Schluß sollten neonazistische Gruppen aus dem Umstand ziehen, daß nach den zahlreichen Pogromen, denen Dutzende zum Opfer fielen, eine Zweidrittelmehrheit im Bundestag die Abschaffung des Asylrechts beschloß?

Bestätigt die Tatsache, daß Flüchtlinge bewußt menschenunwürdigen Umständen ausgesetzt werden, kaserniert, der Residenzpflicht unterworfen werden (ein besserer Hausarrest), statt mit Geld mit Sachgutscheinen an der Kasse bezahlen müssen, neonazistische Gruppen nicht in ihrer Überzeugung, daß Nicht-Deutsche Menschen zweiter Klasse sind?

Welchen Schluß sollten neonazistische Gruppen aus der Erfahrung ziehen, daß nicht sie verfolgt und kriminalisiert wurden, sondern antifaschistische und antirassistische Gruppen, die versuchten, gegen diese Pogromstimmung Widerstand zu leisten? Gibt es irgendeinen Grund, nicht anzunehmen, daß die Abschaffung des Asylrechts, die Institutionalisierung rassistischer Grundannahmen, die systematische Entwürdigung von Flüchtlingen, die Denunziation der Schutzsuchenden als »Wirtschaftsflüchtlinge« neonazistische Gruppen beflügelt, getragen, bestätigt hat, weiterzumachen, bis das Wirklichkeit wird, was sie schon immer forderten: Deutschland den Deutschen?

Könnte es sein, daß die Zweidrittelmehrheit, die sich für die Abschaffung des Grundrechts auf Asyl, für die Verabschiedung und Verschärfung des Asylbewerberleistungsgesetzes eingesetzt hat, daß diese Zweidrittelmehrheit auch in den staatlichen Verfolgungsbehörden zu finden ist, die dafür gesorgt haben, daß der neonazistische Terror des NSU nicht verhindert, nicht gestoppt werden konnte? Also alles andere war als eine Aneinanderreihung von individuellen Unzulänglichkeiten und Pannen, sondern Ausdruck einer komfortablen Mehrheit – auch in den Verfolgungsorganen?

Wolf Wetzel ist Autor des Buches: Geschichte, Rassismus und das Boot. Edition ID-Archiv, Berlin 1992. Einige Texte aus dem Buch im Internet: wolfwetzel.wordpress.com/

Quelle: www.jungewelt.de vom 24.07.12

Grausames Exempel

Montag, 23. Juli 2012 von Huste

Der Chefredakteur der Süddeutschen Zeitung Heribert Prantl kommentierte am Sonnabend für den Deutschlandfunk das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu den Leistungen für Asylbewerber:

Europa schützt die Grenzen, aber nicht die Flüchtlinge. Die toten Flüchtlinge im Mittelmeer sind ein grausames Exempel. Das Mittelmeer ist ein Massengrab geworden: Jedes Jahr werden dort ein- bis zweitausend Tote gezählt. Sie waren Bootsflüchtlinge auf dem Weg nach Europa; sie sind verdurstet auf dem Wasser, sie sind ertrunken auf hoher See oder vor Lampedusa, sie sind erfroren in der Kälte der europäischen Flüchtlingspolitik. (…) Europa nimmt den Tod in dem Meer, das die Römer Mare Nostrum nannten, fatalistisch hin, weil man fürchtet, daß Hilfe mehr Flüchtlinge locken könnte. Auch der Tod der Flüchtlinge ist Teil einer Abschreckungsstrategie. Die allerwenigsten Flüchtlinge erreichen Europa. Dort wird von einem Flüchtlingsstrom geredet. Aber das ist lächerlich. Es handelt sich nur um ein dünnes Rinnsal. Die allermeisten Flüchtlinge bleiben in Afrika, in den Nachbarstaaten ihres Heimatstaats. Allenfalls zwei Prozent kommen bisher nach Europa. Der am besten funktionierende Teil der EU-Flüchtlingspolitik ist nämlich die Rückführungspolitik. Wenn mit neuen Regierungen in Nordafrika wieder die alten Abkommen geschlossen werden können, beglückwünschen sich die Außen- und Innenminister der EU-Länder. (…) Es gäbe schon ein Mittel, um die Verhältnisse in den Herkunftsländern zu verbessern: Fair Play. Solange europäische Butter in Marokko billiger ist als die einheimische, solange französisches Geflügel in Niger weniger kostet als das dortige, solange schwimmende Fischfabriken alles wegfangen, was zappelt – so lange muß man sich über den Exodus aus Afrika nicht wundern. (…) Der Kaiser, der in Max Frischs gleichnamigem Stück »Die chinesische Mauer« bauen läßt, tut dies, »um die Zukunft zu verhindern«. Dieser Kaiser hat in Europa seine Kommissare. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts ist deshalb leider nur ein Tropfen auf dem heißen Stein.

Quelle: www.jungewelt.de vom 23.07.12

Hungern für die Banken. Von Carmela Negrete

Montag, 23. Juli 2012 von Huste

In Spanien gehen die Proteste gegen die Kürzungspolitik der Regierung von Ministerpräsident Mariano Rajoy unvermindert weiter. Am Samstag erreichten mehrere Demonstrationszüge von Erwerbslosen aus ganz Spanien nach mehrwöchigen Fußmärschen über Hunderte Kilometer die Hauptstadt Madrid, um von der Regierung den Einsatz der von der EU bewilligten Gelder zur Schaffung von Arbeitsplätzen und nicht zur Subventionierung der Banken einzufordern. Tausende Madrilenen begrüßten die Teilnehmer des »Marsches der Würde« und zogen mit ihnen unter Parolen wie »Hände hoch, das ist ein Überfall!« oder »Sie pinkeln auf uns und sagen, es regnet« durch die Straßen der Metropole zum Arbeitsministerium.

Während die rechte Regierung mit dem jüngsten Kürzungspaket rund 65 Milliarden Euro einsparen will, zugleich jedoch an Steuergeschenken für die Großkonzerne festhält, sind inzwischen bereits rund zwei Millionen Spanier auf Lebensmittelspenden angewiesen. Einer Meldung der Tageszeitung El Mundo zufolge hat die EU-Kommission Madrid 80,4 Millionen Euro überwiesen, damit die Regierung 67 Millionen Kilogramm Grundnahrungsmittel an die Betroffenen verteilen kann. Die darin enthaltenen sechs Millionen Kilogramm Hülsenfrüchte entsprechen etwa 13 Prozent der gesamten spanischen Jahresproduktion. Ein Ende der Krise ist unterdessen nicht in Sicht. Die Regierung kündigte bereits an, daß die Rezession das gesamte Jahr 2013 über anhalten werde.

Doch nicht nur die Notwendigkeit von Lebensmittelhilfe wird in Spanien als Zeichen dafür gewertet, daß das Land auf dem Weg »zurück in die Unterentwicklung« sei. So berichtete der Journalist Juan Castromil von der Tageszeitung 20 minutos, er sei am Donnerstag bei der Großkundgebung in Madrid festgenommen und gemeinsam mit 15 weiteren Demonstranten von der Polizei gefoltert worden. »Es hat mich überrascht, feststellen zu müssen, daß sich in diesem Land im Jahr 2012 Dinge ereignen, die ich eher in Staaten der Dritten Welt erwartet hätte«, schrieb er.

Bei der Kinderarmut liegt Spa­nien inzwischen im europäischen Verhältnis gleichauf mit Rumänien und Griechenland. Das Armutsrisiko für Minderjährige liegt der EU-Statistikbehörde Eurostat zufolge inzwischen bei 29 Prozent. Insgesamt sind bereits elf Millionen Menschen in Spanien von Armut bedroht – jeder vierte Einwohner. Entsprechend steigt die Zahl der Auswanderer. Allein im ersten Quartal 2012 verließen 40000 Spa­nier zumeist aus wirtschaftlichen Gründen ihr Heimatland – ein Anstieg um 44 Prozent gegenüber dem Vorjahr.

Die Vereinigte Linke (IU) hat die Bevölkerung inzwischen zu einem »demokratischen Aufstand« zum Sturz der Regierung aufgerufen, um die Krise von »ihren Verursachern, den Spekulanten und den von den antidemokratischen Eliten in der EU geförderten Finanzbetrügern« bezahlen zu lassen. In Santiago de Compostela demonstrierten am Samstag ehemalige Kunden des Bankhauses Nova Galicia (NGB) gegen die millionenschweren Entschädigungszahlungen für die Manager des Instituts. Während diese für den Verlust der Ersparnisse ihrer Kunden auch noch belohnt werden, sollen die Geprellten leer ausgehen. In Asturien wurden unterdessen die Proteste der Bergleute gegen die Kürzung der staatlichen Kohlebeihilfen um mehr als 60 Prozent fortgesetzt. Dabei kam es zu schweren Auseinandersetzungen zwischen den streikenden Kumpeln und der Polizei.

Quelle: www.jungewelt.de vom 23.07.12

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