Konnten in Deutschland Neonazis morden, weil der Datenschutz zu ernst genommen wurde? Die Suche nach den Ursachen der Terrorwelle des »Nationalsozialistischen Untergrundes« (NSU) treibt mitunter sonderbare Blüten. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) nahm am Montag vor der Bundespressekonferenz in Berlin Bezug auf Vorwürfe, daß dem Untersuchungsausschuß des Bundestages immer wieder Informationen vorenthalten worden seien. An »vielen Stellen« sehe sie »Verbesserungsbedarf«, auch bei den Löschfristen von Akten, sagte Merkel. Etliche Dokumente, in denen verschiedene Inlandsgeheimdienste Erkenntnisse zu den späteren NSU-Terroristen gesammelt hatten, sind unterdessen vernichtet worden – teilweise nach Datenschutzregelungen, teilweise aber auch ohne entsprechenden Verweis. Der Bundestagsausschuß geht mittlerweile von gezielten Vertuschungen beim Bundesverfassungsschutz aus.
Nachdem in der vergangenen Woche bekannt geworden war, daß ein mutmaßlicher NSU-Unterstützer mehr als zehn Jahre lang als Spitzel für das Berliner Landeskriminalamt (LKA) tätig war, steht der Berliner Innensenator Frank Henkel (CDU) weiter unter Druck. Erst im März war die Bundesanwaltschaft vom LKA informiert worden, daß der Neonazi Thomas Starke, der den NSU-Terroristen bereits 1998 rund ein Kilogramm des Sprengstoffes TNT verschafft haben soll, über zehn Jahre lang als »Vertrauensmann« der Berliner Polizei tätig war. Henkel soll bereits vorher von den Vorgängen gewußt haben; der Bundestagsausschuß wurde nicht unterrichtet. Am heutigen Dienstag soll der Innensenator deshalb vor dem Innenausschuß im Berliner Abgeordnetenhaus Rede und Antwort stehen. Henkels Amtsvorgänger, der SPD-Politiker Ehrhart Körting, hat unterdessen seinen Rückzug aus der vierköpfigen Bund-Länder-Kommission, die Versäumnisse bei der Aufklärung der NSU-Verbrechen untersuchen soll, angekündigt. In Körtings Amtszeit war Starke als V-Mann angeworben worden. Er wolle angesichts der Affäre »nicht den Anschein von Befangenheit erwecken«, meldet der Berliner Tagesspiegel (Dienstagausgabe). Henkel hatte am Wochenende den Einsatz eines Sonderermittlers in Aussicht gestellt. Dieser solle prüfen, ob die Polizei korrekt gehandelt habe. Petra Pau, Obfrau der Linken im Untersuchungsausschuß, erhob am Montag schwere Vorwürfe gegen den amtierenden Innensenator. Wer die Aufklärung der NSU-Mordserie blockiere, »düpiert den Bundestag und verhöhnt die Opfer«. Anstatt über Sonderermittler zu sinnieren, solle sich der Innensenator »die fehlenden Akten unter den Arm klemmen und sie höchstselbst zum Bundestag tragen«, regte Pau an: »Das dauert zu Fuß 20 Minuten«.
Den Untersuchungsausschüssen in Bund und Ländern bescheinigte Bundeskanzlerin Merkel am Montag eine »sehr verdienstvolle Arbeit«. Das muß den Obleuten wie Hohn in den Ohren klingen: Beinahe sämtliche Enthüllungen fanden gegen den zähen Widerstand der Ämter statt. Auch die Erkenntnis, daß der mutmaßliche Terrorhelfer Starke, der vom sächsischen Verfassungsschutz gar der Mitgliedschaft im NSU verdächtigt wird (jW berichtete), als V-Mann für das LKA arbeitete, kam erst durch eine Anfrage des Abgeordneten Hans-Christian Ströbele (Grüne) ans Licht. Unbegrenztes Datenspeichern würde genau diesen Behörden zu noch mehr Macht verhelfen – und obendrein auch nicht verhindern können, daß hochrangiges Personal gezielt und planvoll vertuscht, wie dies im Juli 2012 bekannt wurde. Hier sind nicht Datenschutzbeauftragte, hier sind die Gerichte gefragt. Selbstherrliche Beamte, Senatoren und Minister, die einen vom Parlament eingesetzten Ausschuß immer wieder aufs neue vorführen, sind ein Fall fürs Strafrecht.
Qiuelle: www.jungewelt.de vom 19.09.12
« Kumpanei mit Konturen. Neonazi-Informant gibt LKA Hinweise. Sicherheitsüberprüfung: unbedenklich – „Eine öffentliche Aufführung des antimuslimischen Films ,Die Unschuld der Muslime‘ kann und muss untersagt werden“, fordert die innenpolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE, Ulla Jelpke. Sie fährt fort: »
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