Polizisten weisen knapp 1000 Neonazis ein geschütztes Aufmarschgebiet am Stadtrand zu. Sie lassen sie mit Sonderzügen der Deutschen Bahn dorthin chauffieren (jW berichtete). Gegendemonstranten hält die Polizei mit Wasserwerfern, Reiterstaffeln, Pfefferspray, Knüppeln, sogar mit Kettensägen und Rammböcken in Schach. So geschehen am 12. Januar 2013 in Magdeburg. Nur zwei Wochen später fährt die Polizei in Sachsen-Anhalts Landeshauptstadt eine ähnliche Taktik. Protestrufe oder Pfeifkonzerte in Hörweite der Rechten, die Sprüche wie »Nationaler Widerstand« oder »Wem es in Deutschland nicht gefällt, kann es verlassen« skandieren, verbietet die Polizei. Erlaubt sind auch keine Transparente mit Friedenssymbolen. Es hagelt Platzverweise. Ein Polizist nennt das gegenüber junge Welt »präventiven Schutz der rechten Klientel vor linken Angreifern«. Einer Demonstrantin, die nach dem Grund fragt, antwortet ein anderer Beamter: »Das ist nicht meine Sache. Das ist Sache der Politik.«
Sache der Politik? Genau, Sachsen-Anhalts Innenminister Holger Stahlknecht (CDU) hatte schon im Vorfeld empfohlen, den Aufmarsch zu ignorieren, und mehrfach vor »gewalttätigen linken Krawalldemonstranten« gewarnt. Bekannterweise bekommt man seine Gewalttäter auch, wenn man will. Die Polizei muß nur ausreichend provozieren. Etwa links Aussehende vorsorglich aus öffentlichen Verkehrsmitteln werfen. Oder einen friedlichen Protestzug ohne Vorwarnung mit Pfefferspray und Polizeiknüppeln angreifen. Oder Demonstranten stundenlang einkesseln und immer wieder Personen ohne ersichtlichen Grund herausziehen. Oder wegschauen, wenn Neonazis ungehindert ihre Gegner oder sogar deren Klingelschilder an Wohnhäusern abfotografieren.
Hinterher rätselten einige Medien: Haben mehrere rechte Straftaten im Anschluß an die »Nazi-Events« vielleicht irgendetwas mit den freundlichen Aufmarschgenehmigungen zu tun? Man weiß es nicht. So verprügelten etwa zwei Dutzend bekannte Neofaschisten am Abend des 12. Januar eine Gruppe Linker in Burg bei Magdeburg. Einen Tag später schändeten Unbekannte die nahegelegene Holocaust-Gedenkstätte Isenschnibber Feldscheune – übrigens zum zweiten Mal innerhalb eines Vierteljahres. Und am vergangenen Sonntag, einen Tag nach dem zweiten Aufmarsch, griffen Unbekannte mit Pyrotechnik ein alternatives Jugendzentrum an.
Nicht nur für Stahlknecht, auch für andere Magdeburger Politiker ist ziviler Ungehorsam gegen rechte Umtriebe jedoch »linke Gewalt«. Dies machte jüngst etwa der städtische Beigeordnete Holger Platz (SPD) deutlich. Kurioserweise ist er auch Mitglied im Bündnis gegen rechts, welches im Januar die »Meile der Demokratie« veranstaltet. In der Magdeburger Volksstimme forderte er am vergangenen Freitag von seinen Mitstreitern »eine deutliche Distanzierung von Gewalttätern«. Platz sagt auch, wo er diese wähnt: Im Umfeld des Bündnisses »Magdeburg nazifrei«. Während sein »Herz für die Meile glüht« und er stolz darauf ist, mit dem »Meilefest« die Rechten an den Stadtrand verbannt zu haben, erwartet er von »Magdeburg nazifrei« »gar nichts mehr«. Da kann das Bündnis betonen, so oft es will, daß es nur friedliche Blockaden billigt. Auch sein Parteikollege, der Magdeburger SPD-Stadtrat und Bundestagsabgeordnete Burkhard Lischka, findet das direkte Blockieren von Neonazis »nicht legitim«, wie er im Internet monierte. Für ihn marschieren die Nazis jetzt dank der Demokratiemeile »dort, wo sie hingehören: am Stadtrand«.
Quelle: www.jungewelt.de vom 30.01.13
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