Ein eingefleischter Republikfeind an der Spitze der Republik verhilft den Nazis zur Macht. Reichspräsident Paul von Hindenburg nach Abgabe seiner Stimme zu den Preußischen Landtagswahlen am 24. April 1932
Vor 80 Jahren wurde ausgerechnet am 30. Januar in Hamburg eine an sich harmlose Operette von Jacques Offenbach aufgeführt. Ihr Titel: »Die Banditen«. Ihr Finale: Ein Fürst, der bestohlen werden sollte, begnadigt am Ende die Räuber und ernennt sie zu Polizisten seines Landes. Gewiß, da hatte der Zufall seine Hand im Spiel. Anders als beim Geschehen in Berlin: Reichspräsident Hindenburg – mancherorts noch heute Ehrenbürger – bescherte den Deutschen eine »Regierung der nationalen Konzentration«, geleitet von einem Mann, dessen Wahl nach Vorhersage kommunistischer Antifaschisten neuen Krieg bedeutete, den der sozialdemokratische Vorwärts als »Bandenführer gegen die deutsche Arbeiterbewegung« charakterisierte, dessen Gewaltverherrlichung allen bekannt war und der keine sechs Monate zuvor allen Ernstes erklärt hatte, die Freiheit der brutalen SA-Mörder von Potempa sei eine Frage seiner Ehre (Anm. d. Red.: In der Nacht vom 9. zum 10. August 1932 drangen in dem oberschlesischen Dorf Potempa fünf uniformierte SA-Leute in die Wohnung des Arbeiters und Gewerkschafters Konrad Pietrzuch ein und prügelten ihn in Anwesenheit seiner Mutter zu Tode; vgl. jW vom 4.8.2012). Man konnte wissen, wohin die Reise gehen würde …
Was jener Tag bewirkt hat, ist bekannt: Es entstand in Deutschland eine terroristische Diktatur sondergleichen, gerichtet gegen alle Andersdenkenden, gegen alle Menschen anderer Herkunft oder Hautfarbe, gegen andere Völker, denen im geplanten Großgermanischen Reich Vertreibung oder Ermordung, allenfalls eine Existenz als auszubeutende Arbeitssklaven zugedacht worden war. Die Großverbrechen Zweiter Weltkrieg und der Genozid an den europäischen Juden markieren den absoluten Tiefpunkt eines Zeitalters, das der kürzlich verstorbene marxistische Historiker Eric Hobsbawm insgesamt als ein »Jahrhundert der Extreme« bezeichnete. Darüber besteht im negativen Urteil der Völker nahezu Einhelligkeit, weitgehend auch innerhalb der Geschichtsschreiberzunft. Zumeist werden auch die Versuche alter und neuer Nazis abgelehnt, faschistische Regimes zu rechtfertigen oder gar deren Erneuerung anzustreben – von den dennoch sorgenvoll zu beachtenden Ausnahmen natürlich abgesehen.
Was dem 30. Januar 1933 vorausging, ist hinlänglich bekannt. Alles darf als gründlich erforscht und vielfach dargestellt gelten. Neue Quellen werden kaum noch zu erschließen sein. Und dennoch unterscheiden sich die Meinungen über die Ursachen von Entstehung und Aufstieg des Nationalsozialismus – die deutsche Variante des Faschismus im damaligen Europa. Gestritten wird sogar in außerordentlich hohem Maße. Heftig wird nach wie vor die Frage debattiert, wer eigentlich verantwortlich war und weshalb es geschehen konnte. Außerordentlich hoch ist die Zahl der Erklärungs- und Interpretationsversuche. Die der Streitpunkte ebenfalls. Einige Debatten scheinen sich schier endlos um sich selbst zu drehen und auch, so sie unter deutschen Linken geführt werden, das zu klärende Anliegen eines Antifaschismus im 21. Jahrhundert zu belasten.
Umfangreich nimmt sich die Palette der Themen und Probleme aus. Wie auch immer im einzelnen – die Auseinandersetzungen gelten vorwiegend folgenden Komplexen:
– Wer betrieb die Zerstörung der Weimarer Republik und weshalb? Welche Rolle spielten die herrschenden bourgeoisen Eliten, welche deren unterschiedlichen Strömungen und Gruppen für die Entwicklungsmöglichkeiten faschistischer Bewegungen und Parteien?
– Vollendete der deutsche Faschismus, der sich selbst mit dem tarnenden »Firmenschild« Nationalsozialismus versah, die von national-konservativen Kräften angestrebte Zerstörung der Weimarer Republik? Oder scheiterte Weimar, wie oft und gern behauptet wird, sowohl am rechten wie am linken »Extremismus«?
– Welchen Platz nahmen die direkten finanziellen und alle indirekten Förderungen der NSDAP durch Großindustrielle, Großagrarier, Militärs und Staatsbürokratie in deren generell vorhandener und am Ende der Weimarer Republik ausgebauter Einflußnahme auf die Politik bürgerlicher Parteien ein?
– Konnte die NSDAP dank ihres Bündnisses mit konservativen Parteien aufsteigen und erfolgreich an die Macht gebracht werden, oder hat sie die Macht hauptsächlich aus eigener Kraft erobert, so daß die gern verwendete Vokabel »Machtergreifung« gerechtfertigt wäre?
– Sind die Bemühungen, seit 1930 mit autoritären Präsidialregimes zu herrschen, als Wegbereitung des 30. Januar 1933 zu verurteilen oder als wenn auch mißlungene Verteidigung der Weimarer Republik einzuschätzen?
– In welchem Zusammenhang standen die imperialen Großmachtbestrebungen deutscher Eliten mit der von den Nazis angestrebten »Ausrottung des Marxismus« und ihrem völkisch-rassistischen Antisemitismus?
Es existieren also auch 80 Jahre danach hinreichend Gründe, den Weg zu beschreiben und in Erinnerung zu rufen, der zum Ende von Weimar und zur Errichtung der hitlerfaschistischen Diktatur geführt hat. Ohne diesen Tag kann weder der 1. September 1939 noch der 8. Mai 1945 erfaßt werden. Dennoch wird in den großen Medien hauptsächlich das schlimme Ende thematisiert – man denke beispielsweise an das fortwährende Hervorheben der Opfer unter den Deutschen in den großen Medien, an das Leiden unter Bombenkrieg, Zerstörung, Flucht, Vertreibung usw. Dagegen wäre an und für sich gar nichts einzuwenden, bliebe nicht allzuoft ausgeklammert, wann und wie dafür die entscheidenden Weichen gestellt worden sind und wer die Inthronisierung der NSDAP zur Regierungspartei zu verantworten hatte. Gegen denjenigen, der für die alte Bundesrepublik 1985 erstmalig diesen Zusammenhang benannte und den 8. Mai 1945 als Tag der Befreiung bezeichnete, brachte sich jüngst die Junge Freiheit (13.10.2012) in Stellung: Der damalige Bundespräsident Richard von Weizsäcker habe damit »die These einer moralischen Kollektivschuld der Deutschen […] zur offiziellen Staatsmeinung« erhoben. Von solch einem sehr zweckdienlich erhobenen Vorwurf fällt dann der Schritt hin zur deutlichen Infragestellung, ja sogar zur Ablehnung des Urteils gegen die deutschen Hauptkriegsverbrecher im Nürnberger Prozeß leicht. Und gegen dessen Rechtsspruch richtet sich im Kern alle landläufige Geschichtspolitik: Wer wieder »wer sein« will in der Welt, wer erneut Kriege führt oder unterstützt, der will wohl auch vom Makel des Schiedsspruchs über den deutschen Faschismus reingewaschen erscheinen …
Große Lösung« erreicht: Adolf Hitler wird zum Reichskanzler ernannt. Die »nationalen Verbände« SA, SS und Stahlhelm (Foto) zelebrieren per Fackelzug durch das Brandenburger Tor die »Machtergreifung« der
Zwischen 1919 und 1932 wechselte in Deutschland mehrfach das Personal auf den Regierungsstühlen. Elf Politiker unterschiedlicher Parteien standen 23 Kabinetten als Reichskanzler vor. Den letzten, General Kurt von Schleicher, jagte am 28. Januar 1933 jener Reichspräsident aus dem Amt, der ihn acht Wochen zuvor berufen hatte, um Hitler das Amt zu übertragen. Zwar hatte er auf die Verfassung geschworen, doch hinderte ihn dies nicht, der in der Novemberrevolution aus der Taufe gehobenen parlamentarischen Republik den Todesstoß zu versetzen.
Nein, ein »normaler« Regierungswechsel war es keineswegs, was da am 30. Januar 1933 über die politische Bühne ging. Völlig zu Recht nannte es Franz von Papen – im Januar 1933 die zentrale Figur im Schacher um Hitlers Kanzlerschaft und sonstige Regierungspositionen – eine »große« Lösung, die unbedingt anzustreben sei, weil es höchstens noch eine »kleine«, auf keinen Fall aber irgendeine andere geben dürfe. Koste es, was es wolle! Groß – das bedeutete nichts anderes, als endlich dem Führer der faschistischen Partei zur Macht zu verhelfen. Klein – das wäre ein Kabinett unter seiner, Papens, Führung und mit Ministern aus den Reihen der NSDAP gewesen. So groß und verhängnisvoll war dann die Lösung, daß sich dieses Datum unauslöschlich ins Gedächtnis vieler Zeitgenossen und Nachgeborenen eingrub.
Manche Antwort auf die Frage, wie dies möglich war, läßt sich in der Tiefe der deutschen Geschichte finden. Kontinuität wirkte von Kaiserreich und Erstem Weltkrieg her, vom imperialistischen Ringen um den deutschen »Platz an der Sonne« sowie um ein Reich, dessen Grenzen nicht allein von der Maas bis zur Memel, von der Etsch bis an den Belt, sondern weit darüber hinaus reichen sollten. 1918 hatte Deutschland zwar den Krieg verloren, doch ihre Großmachtpläne aufzugeben waren seine konservativen Eliten in Industrie- und Finanzkapital sowie unter den Großagrariern, Militärs und bürgerlichen Parteipolitikern nicht bereit. Da kamen Kräfte sehr gelegen, die nationalistische und völkisch-rassistische Parolen aller Art verbreiteten, die gegen den »Versailler Schmachfrieden«, ebenso gegen die »Novemberverbrecher« und die »jüdisch-bolschewistische Gefahr« wetterten, was das Zeug hielt. »Ausrottung des Marxismus«, so lautete einer ihrer wichtigsten Appelle. Von den Repräsentanten der Weimarer Republik nahezu ungehindert, grölten die Nazis »Deutschland erwache«, und jeder konnte »Juda verrecke« hören, das hinzugefügt wurde, um das von der Revolution im November 1918 erzwungene parlamentarisch-demokratische »System« von Weimar ausnahmslos und durchgängig zu diskreditieren.
Bereits in den ersten Jahren der Republik war jener Weg eingeschlagen worden, der zum schmählichen Ende der Republik von Weimar führen sollte. Schon damals begannen die ersten Vorstöße gegen jene parlamentarische Demokratie, welche nach der Novemberrevolution Eingang in zahlreiche Bestimmungen der Verfassung gefunden hatte; letzteres übrigens gegen den erbitterten Widerstand der konservativ-protestantischen Deutschnationalen Volkspartei, der Deutschen Volkspartei und auch einer Reihe von Politikern der katholischen Zentrumspartei. Keineswegs zufällig hatte sich während der Vorbereitung und im Verlauf des Kapp-Putsches vom März 1920 eine neue politische Strömung bemerkbar gemacht: Erstmals waren da faschistische Organisationen und alldeutsch-völkische Politiker in Erscheinung getreten. Diese gingen in ihren Forderungen und Wünschen noch viel weiter als die konservativen Kräfte, deren reaktionäres Gedankengut sie ins Extrem wendeten und deren taktierende Vorsicht – außenpolitischen Gegebenheiten geschuldet – sie vermieden. Nach ihren Vorstellungen sollte künftig Politik in erster Linie auf eine terroristisch-präventive Ausschaltung der organisierten Arbeiterbewegung, auf eine demagogisch-chauvinistische Unterordnung möglichst vieler Deutscher unter alle Maßnahmen hin zu einem neuen Krieg zielen und eine völkisch-rassistische Unmenschlichkeit zur Alltagsnorm erheben.
Eine merkwürdige Übereinstimmung oder vielmehr Orientierung findet sich bei Kapitalrepräsentanten und Faschisten: Der Vorsitzende des Reichsverbandes der Deutschen Industrie (RDI), Carl Duisberg, forderte 1926: »Es darf nicht halbe, es muß ganze Arbeit sein, die gemacht wird. Kompromisse helfen nicht mehr. Es geht ums Prinzip, ums ganze System.« Erinnern wir uns: Bei den Nazis hieß es konform: »Alles oder nichts«! Und wenn bei ihnen »Großdeutschland« bzw. »Lebensraum« im Programm stand, dann kann parallel dazu gelesen werden, daß dieser heutzutage in seiner Wirkmächtigkeit mitunter arg unterschätzte Verband in seinen Veröffentlichungen vom Oktober 1929, also vor dem New Yorker »Schwarzen Freitag«, die Politik aufforderte, ein »Großraum-Wirtschaftsgebiet« zu schaffen, denn nur so sei »etwaigen Wirtschaftskrisen und sozialen Erschütterungen wirksam zu begegnen.«
Fleißig und sorgsam bemühten sich Politiker bürgerlicher Parteien umzusetzen, was die Verfasser der Denkschrift des Reichsverbandes der Deutschen Industrie vom 2. Dezember 1929 gefordert hatten. Diese trug den Entscheidung heischenden Titel »Aufstieg oder Niedergang?«. Der Titel, eine suggestiv Alternativlosigkeit vortäuschende Floskel, wurde übrigens erst jüngst wieder verwendet, und zwar von dem stramm konservativen Politikwissenschaftler Arnulf Baring in einem seiner Auftritte vor einem Verein mit dem beschönigenden Namen »Vorwärtsdenker«. Allein ein kurzer Blick in das Dokument aus dem Jahre 1929 genügt, um die außerordentliche Aktualität der damals formulierten Forderungen deutscher Wirtschaftsgrößen zu erfassen.
Die Arbeit an dieser Denkschrift war von den führenden Herren des RDI schon lange vor dem die Weltwirtschaftskrise auslösenden »schwarzen Freitag« veranlaßt worden. Ihr Konzept zur Bewältigung der Krise stellte insofern eine Fortschreibung generell existierender Machtkonzepte unter veränderten Bedingungen bzw. zur Vorbereitung auf erwarteten Wandel der Verhältnisse dar. Es richtete sich wie stets in erster Linie nach innen, doch ging es – ebenfalls wie immer – Hand in Hand mit Versuchen, die im nationalstaatlichen Rahmen bestehenden Probleme durch wirtschaftliche und politische Expansion nach außen, also in einer verschärften Konkurrenz zu anderen Staaten lösen zu wollen, einschließlich militärischer Mittel. Und eine auf Expansion bedachte, selbstverständlich neue Kriegsgefahren heraufbeschwörende Politik verlangte nach rigorosem Abbau von Demokratie und Parlamentarismus. Franz von Papen formulierte es in seiner bekannten Rundfunkrede vom 12. September 1932 so: »Die Reichsregierung ist der Ansicht, daß das System der formalen Demokratie (sic!) im Urteil der Geschichte und in den Augen der deutschen Nation abgewirtschaftet hat und daß es nicht zu neuem Leben erweckt werden kann.«
Darüber hinaus lassen sich mittelfristig und kurzfristig wirkende Faktoren vor allem in den Jahren der Weltwirtschaftskrise sowie in den letzten Monaten vor dem 30. Januar 1933 erkennen. Einer der wichtigsten bestand in der vielgestaltigen direkten oder indirekten Unterstützung und Förderung der NSDAP durch Großindustrielle, Großagrarier, Reichswehrgenerale, Richter, hohe Staatsbeamte und Führer bürgerlicher Parteien. Beispiele für das verhängnisvolle Zusammengehen von konservativ-deutschnationalen und völkischen Kräften finden sich zuhauf. Alle indirekte Begünstigung vollzog sich nach dem Modell, das 1924 vom Münchner Volksgericht geliefert worden war: Es bedachte bekanntlich den putschenden Hochverräter Hitler mit einem Urteil, in dem selbst bei bestem Willen keine Strafe zu erkennen war.
Dann kam 1929 die von den Deutschnationalen eingefädelte, gegen den Young-Plan gerichtete Kooperation mit der NSDAP. Sie brachte dieser Hof- und Salonfähigkeit ein und half ihr, rasch über den Status eines »Juniorpartners« hinauszukommen. Man denke schließlich an das Konzept, das unter den Stichworten »Einrahmung« und »Zähmung« in die Geschichte rechtskonservativ-nationalsozialistischer Bündnispolitik einging und auch heute von manchen Historikern als Alternative der Demokratie zu Hitler und einzige Möglichkeit erfolgversprechenden Kampfes gegen ihn dargestellt wird. Im Gegenteil: Insbesondere diese Duldung und faktische Unterstützung chauvinistischer und rassistischer Forderungen sowie der Versuch, die Nazis hoffähig zu machen und – je nach Möglichkeit und Erfordernis – für eigene Zwecke zu instrumentalisieren, erhoben den braun gefärbten Rand der Gesellschaft in den Rang von Normalität. Ihre Träger machten die tagespolitische Einträglichkeit zum obersten politischen Prinzip und lieferten schließlich die ungeliebte, weil in einer Revolution erkämpfte Weimarer Republik deren schlimmsten Gegnern aus.
Alle Reichskanzler von Hindenburgs Gnaden – Heinrich Brüning, Franz von Papen und Kurt von Schleicher – scheiterten in ihrem Bemühen, autoritär zu regieren und eine sie selbst im Amt belassende Übereinkunft mit den Nazis zu finden. Was auch immer sie unternahmen, bewirkte eine Stärkung der faschistischen Partei. Selbst wenn in mancher Situation zur Wahrung eigener Interessen und in deutlich ausgetragener Machtkonkurrenz starke Worte gegen Terroraktionen der Faschisten fielen oder selbst Verbote ausgesprochen wurden – immer blieben Hintertüren offen. Niemals riß der Gesprächsfaden ab, mit deren Hilfe um gemeinsame Positionen gegen die Arbeiterbewegung sowie für die Erhaltung und den Ausbau des Einflusses der Nazis auf das Geschehen gerungen wurde.
Nicht erst mit dem Bruch der Großen Koalition und mit dem Übergang zur Präsidialherrschaft Hindenburgs und Brünings im März 1930 hatte eine intensive Suche nach anderen, von parlamentarischen Mehrheiten unabhängigen Regierungsmöglichkeiten begonnen. Artikel 48 der Weimarer Verfassung bot dafür zwar manche Möglichkeiten autoritären Regierens, doch wurden diese mehr und mehr als unzureichend angesehen. Schon 1928 gab es Kampagnen der Deutschnationalen Volkspartei, gemeinsam mit dem Stahlhelm (Bund deutscher Frontsoldaten)betrieben, dem Reichspräsidenten noch mehr Befugnisse zuzubilligen und den Verfassungsartikel 54 zu streichen, der da besagte, daß Reichskanzler und Reichsminister des Vertrauens einer parlamentarischen Mehrheit bedürfen.
Für ihren Rechtskurs hieß es bei den meisten bürgerlichen Parteien nicht etwa, die Verfassung sei abzuschaffen. Deren schrittweise Beschränkung und faktische Aushöhlung wurde, die Realität verschleiernd, »Verfassungsreform« benannt. Die radikalsten Pläne trug Papens Innenminister Freiherr von Gayl ausgerechnet am Verfassungstag des Jahres 1932 vor. Parallel dazu wurde auch eine Reichsreform angestrebt, die zu mehr Zentralismus geführt haben würde, wäre dies nicht – wie auch der 1928 ins Leben gerufene und nach einem »Dritten Reich« strebende Bund zur Erneuerung des Reiches – kläglich an den Länderegoismen gescheitert. Ständig wurden neue, autoritäre Herrschaftsmechanismen gesucht, auf Teilgebieten gefunden und erprobt, mitunter verworfen oder variiert. Man könnte sogar vom Testen der Kompatibilität eigener zu den weiter reichenden Vorstellungen der NSDAP sprechen. Das fand u.a. statt in der von Konservativen zielorientiert herbeigeführten Beteiligung der Nazis an einigen Landesregierungen. Als letztere im Januar 1930 erstmals in eine Landesregierung eingetreten waren, schrieb die von einem Konsortium aus Schwerindustriellen, Großreedern und Bankiers herausgegebene Deutsche Allgemeine Zeitung am 29. Januar 1930: »In praktischer Hinsicht hat das thüringische Beispiel bewiesen, daß die Nationalsozialisten den Unterschied zwischen Opposition und Verantwortung durchaus begreifen. Sie haben dort zugestimmt einer Kopfsteuer ohne Staffelung, der Erhöhung des Schulgeldes, erheblichen Ersparnissen im Wohlfahrtswesen und im Schuletat. In der Frage der Unterstützung der Erwerbslosen, Kleinrentner und Sozialrentner haben sie ihre von der Sozialdemokratie wörtlich aufgenommenen früheren Oppositionsanträge mit den übrigen Rechtsparteien zusammen niedergestimmt […] Bei der Lektüre des Völkischen Beobachters und des Wirtschaftsprogramms des Herrn Abgeordneten Feder sträuben sich einem die Haare. In der praktischen Zusammenarbeit würden sich die Probleme des Tages wohl anders darstellen.« Dieser Kompatibilitätstest erfuhr durchaus auch eine theoretische Fundierung in den Betätigungsfeldern solcher Vereine wie der Gesellschaft zum Studium des Faschismus oder konservativer Rechtsgelehrter wie Carl Schmitt, von dem zu sagen bleibt, daß ihm heute sicher nicht zufällig so etwas wie eine Renaissance widerfährt.
Politiker der bürgerlichen Parteien wußten damals durchaus, was kommen wird: So meinte der zur Deutschen Staatspartei gehörende Theodor Heuss damals zu einem Bekannten: »Das wird für euch Juden eine schlimme Zeit werden«. Indessen: Bei seiner Zustimmung zum Ermächtigungsgesetz am 23. März 1933 schien er diese Warnung vergessen zu haben! Und dieser Mann jubelte, als die Nazis 1938 den Anschluß Österreichs vollzogen: »Großdeutschland entsteht«. Er schrieb auch von der »seelischen Taktlosigkeit einer Handvoll entwurzelter jüdischer Literaten«. 1948 las man aus seiner Feder: »Es ist allerhöchste Zeit, daß die Epoche der Spruchkammer-Weltanschauung zu Ende geht.« Ein Jahr darauf wurde er erster Präsident der Bundesrepublik. Heute urteilt sein Biograf Peter Merseburger, Heuss sei zwar wie alle »mitgeschwommen«, habe aber entscheidend dazu beigetragen, »das solide Fundament für die zweite deutsche Demokratie zu legen.«
Quelle: www.jungewelt.de vom 30.01.13
« Vertraulich. Nicht zu publizieren. EU-Kommissarin Malmström will mit Internetfiltern, Klarnamen-Pflicht und Alarmknöpfen gegen Terrorismus rüsten. Von Holger Elias – »Eine Sache der Politik«. Sachsen-Anhalt im Januar: Neofaschisten unter Polizeischutz. Gegendemonstranten pauschal als Randalierer diffamiert. Großes Erstaunen über neue Fälle von Neonazigewalt. Von Susan Bonath »
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Der Vorsitzende des Reichsverbandes der Deutschen Industrie (RDI), Carl Duisberg, forderte 1926: »Es darf nicht halbe, es muß ganze Arbeit sein, die gemacht wird. Kompromisse helfen nicht mehr. Es geht ums Prinzip, ums ganze System.«
Die Jahresangabe stimmt nicht, es war auf der RDI-Tagung vom 12.12.1929, als Duisberg das sagte, und es bezieht sich auf die Abwälzung der Krisenlasten der Weltwirtschaftskrise auf die werktätige Bevölkerung, um die Profite der Monopolunternehmen zu sichern.
Comment: Thomas Mehner – 26. August 2017 @ 19:11