Wolfgang Huste Polit- Blog

Umnachtete Ermittler. Neonaziterror: Polizeibeamte von BKA und LKA geben sich vor Untersuchungsausschuß im Bundestag völlig inkompetent. Die Alternative dazu wäre Vorsatz. Von Sebastian Carlens

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Wenn all das stimmen sollte, was der Untersuchungsausschuß zum »Nationalsozialistischen Untergrund« (NSU) in letzter Zeit im Bundestag erfuhr, dann müssen sich Verbrecher nicht mehr fürchten – die Ermittler des Bundeskriminalamtes (BKA) und diverser Landesämter werden sie kaum fangen. »Die können sogar ihr Adreßbuch vergessen, die Polizei wird es nicht nutzen«, ätzte der Ausschußvorsitzende Sebastian Edathy (SPD) am Freitag in Berlin. Er spielte auf den jüngsten Skandal an, mit dem sich sein Gremium befassen muß: Eine verschlampte Spur aus der Jenaer Garage, in der die späteren NSU-Gründer Rohrbomben gebastelt hatten. Im Jahr 1998 waren dort mehrere Listen mit Namen und Nummern von Neonazis entdeckt worden. Auch der frühere V-Mann des Berliner Landeskriminalamtes, Thomas Starke, stand darauf: Er beschaffte dem seit Januar 1998 flüchtigen NSU-Trio die erste konspirative Absteige. Auch eine Handynummer, die von Thomas Dienel (»V-Mann Küche«) benutzt worden sein soll, steht auf den Zetteln, zudem ein Kontakt zu Holger Gerlach – die Bundesanwaltschaft klagt ihn als NSU-Unterstützer an. All diese Dokumente waren von den Ermittlern zwar gefunden worden, doch dann begann ein Muster, das der Ausschuß zur Genüge kennt: Nichts soll geschehen sein. Eine Liste geriet in die Hände des BKA-Mannes Michael Brümmendorf, der mit zwei Kollegen nach Thüringen abgeordnet war, um dort das augenscheinlich überforderte LKA zu »unterstützen«. Brümmendorf will sich das Papier angesehen haben, ein Asservatenaufkleber belegt dies. Nach seiner Version wäre nun der Leiter der Ermittlungsgruppe »Terrorismus/Extremismus« beim Erfurter LKA, Jürgen Dressler, für die weitere Bearbeitung zuständig gewesen. Dressler kann sich zwar an so gut wie nichts mehr erinnern, aber auch Brümmendorfs Version wird nicht durch Unterlagen gestützt. »Ich habe mich auf die mündliche Absprache verlassen«, sagte Brümmendorf am Freitag bei der Gegenüberstellung mit Dressler. Wie auch immer, die Zielfahndung erhielt die Daten nicht. »Aus heutiger Sicht ein Fehler«, räumte Dressler ein.

Eine »richtige« Zielfahndung gab es auch gar nicht – sie wurde nur so genannt, weil die Einheit des LKA, die sich mit unklarem Auftrag und ohne Daten auf die Suche nach dem Trio machte, zufällig die gleiche Bezeichnung trug. Brümmendorf hätte die Ermittlungen durch das BKA übernehmen lassen müssen, wenn ihm die länderübergreifende Dimension des NSU-Umfeldes klar gewesen wäre, kritisierten die Obleute. Doch der Beamte, obwohl gerade ein Jahr zuvor selbst mit Ermittlungen gegen Personen befaßt, die sich dann auf der von ihm ausgewerteten Liste wiederfanden, reiste unverrichteter Dinge wieder ab. Auch warum sich das BKA in Thüringen einschaltete, konnte nicht geklärt werden: Ob eine Anforderung aus Erfurt kam oder »wir proaktiv tätig wurden«, ließe sich »leider nicht mehr nachvollziehen«.

Eine zweite Liste wie auch ein Adreßverzeichnis, ebenfalls aus der Garage, sind schließlich gar nicht ausgewertet worden – sie gammelten, in einer Einkaufstüte von Rewe verpackt, mehr als zehn Jahre in einem Pappkarton vor sich hin, neben Teilen von Rohrbomben. Erst das BKA stieß im Jahr 2012 auf die brisanten Papiere in der Asservatenkammer. Dem Ausschuß wurden sie erst am letzten Donnerstag zur Verfügung gestellt. Wären nicht Dressler und Brümmendorf außerplanmäßig zur Gegenüberstellung geladen worden, die Abgeordneten hätten den Fund zu spät bekommen, um ihn verwerten zu können.

Die Experten der deutschen Kriminalämter machten am Donnerstag und am Freitag keine gute Figur vor dem Ausschuß. Der täppische Umgang mit wichtigen Spuren, der Wirrwarr um Zuständigkeiten, die ewigen Erinnerungslücken – scheinbar ist es das kleinere Übel, sich als völlig inkompetent zu inszenieren. Die Alternative dazu wäre nämlich noch schockierender: Wenn nicht Unfähigkeit, dann war es Vorsatz. Und hier wäre die gleiche Frage angebracht, die auch an die Inlandsgeheimdienste zu richten ist: Wer deckt da eigentlich wen? Immerhin, zwischen all den Anfällen von Amnesie kommen im Ausschuß immer wieder Details ans Licht, die zweifeln lassen. Im Rahmen der obskuren »Operation Rennsteig«, die in den neunziger Jahren von Bundesverfassungsschützern gemeinsam mit ihren Thüringer Kollegen im Umfeld des NSU-Nährbodens »Thüringer Heimatschutz« (THS) durchgeführt wurde, bespitzelten die Geheimen wohl ihre eigenen Leute: Von der V-Mann-Tätigkeit des THS-Kopfes Tino Brandt, der im Sold des Thüringer Verfassungsschutzes stand, will das Bundesamt eigentlich nichts gewußt haben. Am Donnerstag wurde während der Befragung Reiner Bodes, des einstigen V-Mann-Führers von Brandt, bekannt, daß der Wagen des Spitzels ausgerechnet vom Bundesamt verwanzt worden war, direkt vor der »Operation Rennsteig«. »Ich gehe davon aus, daß sie von Brandts Tätigkeit für uns wußten«, so Bode.

Bei der nichtöffentlichen Befragung eines brandenburgischen Verfassungsschützers am Donnerstag abend im Ausschuß ging es um den V-Mann Carsten Szczepanski alias »Piato«, der wegen versuchten Mordes an einem Nigerianer zu acht Jahren Haft verurteilt wurde – und und womöglich mit Hilfe des Verfassungsschutzes früher freikam. Auch dieser Beamte konnte sich nach Angaben von Teilnehmern an nichts erinnern und ließ die Befragung nach einer Stunde wegen Erschöpfung abbrechen.

Quelle:  www.jungewelt.de vom 04.03.13
Dieser Beitrag wurde am Montag, 04. März 2013 um 11:40 Uhr veröffentlicht und wurde unter der Kategorie Blog abgelegt. Du kannst die Kommentare zu diesen Eintrag durch den RSS-Feed verfolgen.

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