Nach über einem Jahr Arbeit hat der Thüringer Untersuchungsausschuß zum »Nationalsozialistischen Untergrund« (NSU) am Montag in Erfurt seinen Zwischenbericht an die Landtagspräsidentin Birgit Diezel (CDU) übergeben. Auf über 550 Seiten bündelt das Papier den derzeitigen Kenntnisstand – den jährlichen Zwischenbericht hat sich das Gremium selbst auferlegt, vorgeschrieben ist eine solche Veröffentlichung nicht. Doch aus Thüringen stammen Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe, die mutmaßlichen Gründer des NSU. Hier befand sich der Nährboden aus rechten »Kameradschaften«, aus dem eine Terrorzelle erwachsen konnte. Der Bericht lege Zeugnis über eine Zeit ab, in der Thüringen die »ungeteilte Verantwortung« trage, sagte die Ausschußvorsitzende Dorothea Marx (SPD) gestern.Der Bericht faßt die bisherigen Erkenntnisse des Gremiums zusammen: Das Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) habe mit Tino Brandt unzulässig eine Führungsperson als sogenannten V-Mann angeworben. Rechte Gewährsleute seien vor Strafverfolgung geschützt worden. Schließlich bemängelt das Gremium die Auflösung der Sonderkommission Rechtsextremismus (Soko REX) der Thüringer Polizei Mitte der 1990er Jahre. Es sei »nicht mehr aufzuklären«, »wann, durch wen und aus welchem Grund« die Soko zerschlagen worden sei. Die Ermittlungen in der neonazistischen Szene seien durch diesen Schritt deutlich erschwert worden. Kritik findet auch die Arbeit des LfV: Bereits in der Anfangsphase der 1991 gegründeten Behörde sei »durch das Innenministerium massiv auf die Personalbesetzung Einfluß genommen« worden. Bei »mindestens zwei dieser veranlaßten Personalentscheidungen« hätten »erhebliche Sicherheitsbedenken« bestanden.
Der Ausschuß hatte den Bericht in der vergangenen Woche mit sechs Ja-Stimmen verabschiedet (jW berichtete). Die Obleute der Linken, Martina Renner und Katharina König, hatten sich enthalten. Sie stellten dem Papier ein Sondervotum zur Seite, in dem sie darauf verwiesen, daß die Versäumnisse beim LfV keine »Pannen« gewesen seien, sondern im System begründete Ursachen gehabt hätten. Renner warf dem Inlandsgeheimdienst kriminelles Agieren, moralloses Handeln und das Vernichten von Beweismitteln vor. »Beim Verfassungsschutz sehen wir keine Pannen, da sehen wir Schuld«, sagte sie.
Der Ansicht des als Sachverständigen gehörten Dokumentarfilmers Konrad Weiß, nach der »stalinistischer Terror« in der DDR »den Antifaschismus nachhaltig diskreditiert« habe, wird im Bericht ausführlich Platz zugebilligt. Nach ihm hätten »Defizite des ›SED-Staates‹ die Auferstehung der nationalsozialistischen Ideologie begünstigt«; die rechte Gefahr sei jedoch ignoriert worden. Zeugen hatten dieser Ansicht deutlich widersprochen: Rechtsradikale Strukturen hätten für die Kriminalpolizei erst nach der »Wende« eine Rolle gespielt, sagte beispielsweise Hauptkommissar Jürgen Dressler.
Einig sind sich die Obleute der Linken und der anderen Parteien darin, daß die Honorare, die über V-Mann Brandt in den »Thüringer Heimatschutz«, eine Vorläuferorganisation des NSU, flossen, einer »mittelbaren Unterstützung des rechten Milieus« gleichgekommen seien. Dem »staatlich verordneten Antifaschismus« der DDR folgte also ein staatlich finanzierter Anti-Antifaschismus in der Bundesrepublik. Nur auf den ersten Blick bizarr nimmt sich daher eine weitere Passage im Bericht aus, nach der seitens des Thüringer Innenministeriums Einfluß auf die Abfassung der Verfassungsschutzberichte genommen worden sei, um »nachwirkenden Strukturen der DDR und des MfS breiten Raum« zu geben. Das zumindest war keine Panne, es war Regierungsauftrag.
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