Von dieser Mitgliederkartei existiert eine Mikrofilmkopie in Washington. Was bisher nicht bekannt war: Im dortigen US-Nationalarchiv liegen auch die Verwaltungsakten des »Berlin Document Center«, in dem die amerikanische Besatzungsmacht fast ein halbes Jahrhundert lang die erbeutete NSDAP-Zentralkartei und andere Naziakten aufbewahrt hatte. Dort fand ich Depeschen der US-Gesandtschaft in Berlin aus den 1980er Jahren, in denen sich die Amerikaner darüber beschweren, daß Bonn die Akten nicht zurückhaben wolle. Man fürchte, so hieß es, peinliche Enthüllungen über die NS-Vergangenheit deutscher Spitzenpolitiker.
Die USA wollten die Kartei schon 1967 zurückgeben. Ich habe in Washington aber eine Depesche vom Oktober 1989 gefunden, in der es sinngemäß heißt: »Die Bundesregierung steht unter dem Druck des Parlaments. Um das öffentliche Interesse zu befrieden, wird sie von uns wieder einmal die unverzügliche Rückgabe fordern. Tatsächlich erwartet Bonn aber von uns, daß wir das strikt ablehnen.«
Es gab eine lange Liste mit den Namen deutscher Spitzenpolitiker, die vor 1945 Mitglied der NSDAP gewesen waren, die lag gut verschlossen im Safe des Direktors des Document Center. Es war klar, daß es mit dieser Art Sicherheitsverwahrung vorbei wäre, sobald sich die Akten in deutschem Besitz befänden. Und so kam es ja auch. Es dauerte nach der feierlichen Übergabe nur wenige Wochen, bis der erste prominente Name publik wurde: Genscher.Sie haben ihn dazu persönlich befragt – was sagt er?
Als ich auf die NSDAP zu sprechen kam, beendete Genscher das Gespräch ziemlich rasch. Er sagte nur, er habe nie einen Antrag auf Aufnahme in die Partei gestellt. Anfang der 70er Jahre habe ihm ein Fraktionskollege berichtet, es gebe eine NSDAP-Mitgliedskarte mit seinem Namen. Diese Information hat Genscher über 20 Jahre für sich behalten, er war lange genug im politischen Geschäft, um zu wissen, daß das nicht geheim bleiben konnte, solbald deutsche Journalisten Aktenzugang haben würden. Übrigens wußte auch die Stasi seit 1970 von Genschers NSDAP-Mitgliedschaft.Wie glaubwürdig ist seine Erklärung?
Die Legende von den unwissentlichen Mitgliedschaften kursierte bereits unmittelbar nach dem Krieg. Was sagt es über unser Geschichtsverständnis aus, wenn heute noch immer die gleichen Ausflüchte zur Beteiligung am Nationalsozialismus gemacht werden?
Ich halte es für ausgeschlossen, daß man ohne eigenes Wissen Mitglied der NSDAP werden konnte. Eine Voraussetzung, die bis zuletzt penibel geprüft wurde, war ein Aufnahmeantrag mit eigenhändiger Unterschrift. Wir wissen inzwischen alles über Hitlers Hund und Eva Brauns Armbanduhr, aber wenn heute noch behauptet wird, daß man ohne eigenes Wissen Mitglied der NSDAP werden konnte, dann sind 65 Jahre Aufklärung wirkungslos geblieben.Kurz zu Ihrem Buch: Sind weitere Enthüllungen in Sachen Geheimdiplomatie und Täuschung der Öffentlichkeit zu erwarten?
Ich war, wie wir alle, völlig überrascht, als Günter Grass 2006 erklärte, in der Waffen-SS gewesen zu sein. Ich habe mich gefragt, ob wir Zeitzeugen wie Grass vielleicht nie die richtigen Fragen gestellt haben, weil wir einfach nicht darauf kamen, daß da etwas sein könnte. Staatlicherseits wurden von oben – zu Recht! – Buße und Wiedergutmachung verordnet, während die betroffenen Politiker alles dafür taten, eine »neue Entnazifizierung« zu verhindern. Im Klartext: Schuld und Mitschuld einzelner im »Dritten Reich« waren kein Thema. Die ersten Studien über den hessischen Landtag belegen, daß die Zahl ehemaliger NSDAP-Mitglieder in deutschen Parlamenten viel größer war als offiziell zugegeben. Da wird noch einiges rauskommen.
« Noch mehr Nazis im Justizministerium – Protest gegen »Pro NRW«. Ebenfalls am Montag zog das Bündnis »Bonn stellt sich quer« in einer Pressemitteilung eine positive Bilanz der Proteste gegen die rassistische Vereinigung »Pro NRW«, die am selben Tag in Bad Godesberg demonstrierte: »
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