An der Charité wird es ernst. Die ver.di-Tarifkommission hat dem Vorstand von Europas größtem Uniklinikum ein letztes Ultimatum gesetzt: Sollten bis zum 21. Juli keine ernsthaften und verbindlichen Verhandlungen über personelle Mindestbesetzungen und Gesundheitsschutz begonnen haben, will die Gewerkschaft zu Arbeitskampfmaßnahmen aufrufen. »Seit einem Jahr hält uns der Vorstand hin«, kritisiert ver.di-Verhandlungsführerin Meike Jäger. Lediglich zu unverbindlichen Gesprächsrunden und kleineren Pilotprojekten habe sich die Klinikleitung bislang bereit erklärt. »Wenn sich der Vorstand weiterhin verweigert, drohen Streiks an der Charité«, so Jäger.
Schon vor Monaten hatte ver.di seine Forderung vorgebracht, Mindestquoten von Pflegepersonal für die verschiedenen Bereiche des Universitätsklinikums tarifvertraglich festzuschreiben (siehe jW vom 12.11.2012). Die Charité-Spitze reagierte mit einer Verzögerungstaktik. Zwar wurden Gespräche aufgenommen, reguläre Tarifverhandlungen jedoch bis zum heutigen Tage verweigert. Begründung: Die Einteilung des Personals sei Aufgabe des Managements, ein Tarifvertrag in dieser Frage ein Eingriff in die »unternehmerische Freiheit«. Daher seien auch Arbeitsniederlegungen für eine solche Forderung nicht erlaubt.
Ver.di hat diese Frage eingehend juristisch geprüft. Das Ergebnis: »Ein Tarifvertrag zur Mindestbesetzung ist zulässig und streikfähig«. Zu dem gleichen Resultat kommt ein jW vorliegendes Gutachten des wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags. Der Autor zitiert darin eine Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts (BAG), wonach »Arbeitgeber derartige Eingriffe in ihre Organisationsgewalt hinzunehmen« haben. »Die Berufsfreiheit des Arbeitgebers sei tarifvertraglich gesetzten Einschränkungen unterworfen, wann immer die Unternehmensführung die rechtlichen, sozialen oder wirtschaftlichen Belange der Arbeitnehmer in ihrer Eigenschaft als abhängig Beschäftigte berühre. Daher müsse der Arbeitgeber auch tarifvertragliche Vorgaben über die Personalbemessung akzeptieren, da Personalstärke und Arbeitsbedingungen nicht zu trennen seien.«
»Nachdem diese rechtliche Frage nun endlich geklärt ist, wollen wir uns nicht länger hinhalten lassen«, betont ver.di-Betriebsgruppensprecher Carsten Becker gegenüber junge Welt. »Der Handlungsbedarf ist enorm.« Nach Angaben des Personalrats werden an der Charité jeden Monat rund 1000 Beschäftigte außerhalb des Dienstplans zur Arbeit gerufen, um Lücken zu stopfen. Würden sie das verweigern, wäre der Betrieb de facto nicht mehr aufrechtzuerhalten. Neueinstellungen sind dringend erforderlich. Allein um die laufend anfallenden Überstunden auszugleichen, wären 80 Vollzeitkräfte zusätzlich erforderlich. Notdürftig kompensiert wird die Personalnot durch Leihbeschäftigte. Allein für Juli waren 1800 Einsätze von Leasingkräften geplant.
»Ver.di will bei der Charité – wie auch in vielen anderen Krankenhäusern in der Bundesrepublik – nicht erst auf eine gesetzliche Regelung zur Personalbemessung warten«, heißt es in einer Pressemitteilung der Gewerkschaft. »Die Entlastung für das Personal ist jetzt notwendig.« Kürzlich hatte auch die ver.di-Tarifkommission im Uniklinikum Gießen und Marburg (UKGM) angekündigt, über einen Tarifvertrag zu personellen Mindeststandards und Gesundheitsschutz verhandeln zu wollen (siehe jW vom 14.6.2013). Andernorts konzentriert sich ver.di bislang darauf, die Parteien im Rahmen des Bundestagswahlkampfs mit der Forderung nach einer gesetzlichen Regelung zu konfrontieren.
Die Bundesregierung hat dem allerdings kürzlich eine Absage erteilt. In einer Antwort auf eine kleine Anfrage der Linksfraktion erklärte sie, die Verantwortung für eine ausreichende Personalausstattung müsse bei den Krankenhäusern bleiben, »denn nur sie können auf ihre jeweilige Situation zugeschnittene Lösungen finden«. Die »zugeschnittenen Lösungen« sehen allerdings fast überall gleich aus: Leistungsverdichtung, Arbeitseinsatz außerhalb der regulären Dienstzeiten, Überstunden und in der Konsequenz eine verschlechterte Patientenversorgung. Der Tarifkonflikt an der Charité könnte den Druck nicht nur auf die Klinikleitung, sondern auch auf die Politik erhöhen, diese Situation zu ändern.
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