Wolfgang Huste Polit- Blog

Wie im Kalten Krieg. Die Existenz der Dokumentationsstätte des Kriegsgefangenenlagers Stalag 326 (IV K) Senne in Schloß Holte-Stukenbrock ist bedroht. Es fehlt an Förderung. Von Hans Daniel

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Titel der Dauerausstellung der (noch bestehenden) »Dokumentationsstätte Stalag 326 Senne« ist »Erinnerung hat einen Ort«. Zu sehen ist sie in der erhalten gebliebenen Arrestzelle auf dem Gelände des in den Jahren von 1941 bis 1945 wohl größten Lagers für sowjetische Kriegsgefangene, des Stammlagers 326 /VI K, im ostwestfälischen Ort Schloß Holte-Stukenbrock. Es ist die einzige Einrichtung dieser Art in Nordrhein-Westfalen, die sich dem völkermordähnlichen Umgang des faschistischen Regimes und speziell dem Schicksal der Insassen des dortigen »Russenlagers« widmet. Jetzt ist der Fortbestand der Gedenkstätte ernsthaft bedroht. Die ehrenamtlichen Mitarbeiter schlagen Alarm.

Die Erinnerung an die vom faschistischen Deutschland an den sowjetischen Kriegsgefangenen begangenen Verbrechen steht im heutigen Deutschland allgemein nicht hoch im Kurs. Vorrang haben derzeit vielmehr tolldreiste Forderungen an die russische Regierung nach »endlicher Rückgabe der Beutekunst«, wie unlängst beim Besuch der Kanzlerin in St. Petersburg. Es paßt in dieses Bild, daß die Bundestagsmehrheit von CDU/CSU und FDP Ende Juni in der letzten Sitzung der abgelaufenen Legislaturperiode abgelehnt hat, ehemaligen sowjetischen Kriegsgefangenen wenigstens eine symbolische Entschädigungszahlung zu gewähren (siehe jW vom 3. Juli, Seite 15).

Entscheidungen dieser Art gehören zu einer Verdrängungsleistung, die in der Tradition des Antikommunismus aus den Jahren des Kalten Krieges steht. Vergessen ist, daß die 3,3 Millionen im deutschen »Gewahrsam« ums Leben gekommenen Kriegsgefangenen nach den europäischen Juden die größte »Opfergruppe« auf dem Mordkonto der »Neuordner Europas« waren. So erklärt sich, daß auch die Forderung nach einer »Intensivierung der Erinnerungskultur« keine Resonanz bei den Koalitionären hat. SPD und Gründe hatten dies zusammen mit dem »Anerkennungsbeitrag« für ehemalige sowjetische Kriegsgefangene beantragt.

Förderung nötig

Die alarmierende Meldung über das drohende Aus für die Gedenkstätte in Schloß Holte-Stukenbrock erschien, wie es der Zufall fügte, am ersten Tag der parlamentarischen Sommerpause, am 29. Juni, im Westfalen-Blatt, der in Bielefeld für Ostwestfalen-Lippe erscheinenden Regionalzeitung. »Wenn es keine dauerhafte Förderung gibt«, zitiert das Blatt den Historiker und Vorsitzenden des 1996 gegründeten Fördervereins Oliver Nickel, der die Dokumentation seit Jahren betreibt, »müssen wir die Gedenkstätte schließen.«

Seit 2006 arbeiten Nickel und seine Mitstreiter ehrenamtlich. Sie haben das ehemalige Arrestgebäude renoviert, das einstige Entlausungsgebäude zum Seminarraum hergerichtet, bieten ein Projekt für Schulklassen mit dem Titel »Mitmachen und Lernen« an, veranstalten Führungen, beantworten Suchanfragen und betreuen Angehörige von auf dem nahegelegenen Friedhof beerdigten Kriegsgefangenen. Entstanden ist ein Totenbuch, in dem 1000 Tote, die auf dem Sennefriedhof liegen, namentlich und mit Angabe ihres Grabes aufgeführt sind. Ehrenamtlich geht das nicht mehr. Schon jetzt mußte die Zahl von Führungen reduziert werden. Mit einem »kleinen fünfstelligen Betrag«, an dem sich Land, Bund und die EU beteiligen könnten, so Oliver Nickel, wären wenigstens eine Halbtagsstelle und die Fortführung der Arbeit möglich.

Der Ort Schloß Holte-Stukenbrock ist untrennbar verbunden mit einem der größten Lager für sowjetischen Kriegsgefangene auf deutschem Boden und dem nahe gelegenen Waldfriedhof, auf dem in 36 Massengräbern von je etwa 110 Meter Länge 65000 sowjetische Kriegsgefangenen beerdigt sind. Sie kamen in diesem Lager ums Leben. Stalag 326 (VI K) Senne war die offizielle Bezeichnung für das Gefangenenlager auf dem früheren Truppenübungsplatz in der Landschaft am Teutoburger Wald. Heute hat hier das Polizeiausbildungsinstituts Erich Klausner seinen Sitz. In der erhalten gebliebenen Arrestzelle hat seit 20 Jahren die Dokumentationsstätte ihren Sitz.

Arbeitssklaven

Im September 1942 wurde Stalag 326 zum »Aufnahme- und Musterungslager« für den Bergbau bestimmt. Von da an wurden hier Arbeitssklaven für die immer größeren Bedarf anmeldenden Bergwerke an der Ruhr aussortiert. Die Reichsvereinigung Kohle, ein Zusammenschluß der Kohleindustrie, hatte im Frühsommer 1942 in »segensreicher Freundschaft« mit dem Oberkommando der Wehrmacht (OKW) eine entsprechende Vereinbarung getroffen. Die nicht mehr arbeitsfähigen Gefangenen kamen, soweit sie nicht an Ort und Stelle starben, zurück in die Senne. Auf dem nahegelegenen Waldfriedhof haben sie und alle die, die an den Folgen der Ausbeutung in den Bergwerken umkamen, im Lager verhungerten oder an den Folgen der völlig unzureichenden medizinischen Versorgung ihr Leben verloren, eine letzte Ruhestätte gefunden.

Die Ausstellung dokumentiert die Geschichte des Lagers, die hetzerischen Artikel der örtlichen Presse zur »Einstimmung« der Anwohner auf die Ankunft der Gefangenen (siehe unten). Zu lesen sind die Befehle der Wehrmacht zum Umgang mit den russischen »Untermenschen«. Zeitgenössische Bilder aus den Archiven des Lagers und aus privatem Besitz zeigen die grauenvolle Verhältnisse im Lager. Die Neue Westfälische, eine weitere Tageszeitung der Region, berichtete am 4. Juli unter der Überschrift: «Gedenkstätte droht Schließung«: «Müßte die Dokumentationsstätte geschlossen werden und wäre der Mietvertrag mit dem Land Nordrhein-Westfalen (!) abgelaufen, bliebe nur noch eins zu tun: Das gesamte historische Material müßte ausgeräumt und irgendwo – wahrscheinlich auf Nimmerwiedersehen – eingelagert werden«.

Erinnerung hätte dann auch hier keinen Ort mehr, er verschwände auf Nimmerwiedersehen.

Quelle: www.jungewelt.de 16.07.13
Dieser Beitrag wurde am Dienstag, 16. Juli 2013 um 13:07 Uhr veröffentlicht und wurde unter der Kategorie Blog abgelegt. Du kannst die Kommentare zu diesen Eintrag durch den RSS-Feed verfolgen.

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