Ich bekomme gerade viele Mails und auch hier auf FB viele Kommentare zu meiner Pressemitteilung und dem Bericht in der Süddeutschen über „die Kofferträger“ in Schäbisch Gmünd. Ich nehme die Gedanken und Einwürfe zu meiner Position ernst. Da ich in der Tagespresse nur sehr knapp wiedergegeben worden bin, möchte ich gerne ausführlicher darlegen, was genau mich an der Gmünder Initiative abstößt.
Einige meinen, mir nahelegen zu müssen, einmal persönlich mit Flüchtlingen zu sprechen. Hier sei vorweggenommen, dass ich seit Jahrzehnten genau dies tue, in Berlin, in meinem Wahlkreis in Nordrhein-Westfalen, in Aufnahmezentren, Abschiebeknästen, in etlichen Herkunftsländern. Was die Nöte von Flüchtlingen angeht, habe ich einen tiefen Einblick aus den vielen, vielen Gesprächen, die ich mit ihnen geführt habe.
Elende Situation wird ausgenutzt
Durch mein jahrzehntelanges Engagement in der Flüchtlingsarbeit weiß ich, wie sehr sich Flüchtlinge ihre Integration in die Gesellschaft wünschen. Ich weiß auch durch zahllose Gespräche mit Flüchtlingen, wie verzweifelt sie sind, wenn sie immer wieder auf Ablehnung, Ausgrenzung und Feindseligkeit stoßen. Und ich weiß, dass das Arbeitsverbot eines der größten Integrationshindernisse ist.
Ich bitte diejenigen, die meine Ablehnung der „Kofferträger“-Initiative empört, sich einmal zu fragen: Was sagt es über den Zustand einer Gesellschaft aus, wenn Flüchtlinge froh darüber sind, für einen Euro pro Stunde Koffer schleppen zu dürfen? Was sagt es aus, wenn dieses Kofferschleppen zum Maßstab von „Integration“ wird?
Ich weiß, dass viele Langzeitarbeitslose sich nach einer regelmäßigen Tätigkeit sehnen, und sei sie noch so schlecht bezahlt. Und ich weiß, dass Häftlinge im Knast lieber arbeiten, als in der Zelle die Zeit totzuschlagen. Aber sollten wir deshalb Unternehmer ermuntern, im Namen der Integration die Produktion in Knäste zu verlagern?
Es ist doch so: Flüchtlinge leiden in Deutschland unter einer solchen Vielzahl von Schikanen, dass sie systematisch in einen Zustand der Hoffnungslosigkeit und Depression getrieben werden.
Sie unterliegen der Residenzpflicht, auch wenn diese in der Mehrzahl der Bundesländer lockerer gehandhabt wird – noch immer ist es Flüchtlingen verboten, sich im Bundesgebiet frei zu bewegen. Teilweise werden sie in Sammelunterkünften untergebracht und bekommen Lebensmittelpakete statt Bargeld. So nimmt man ihnen die Möglichkeit, ihre Nahrung selbst einzukaufen, und damit nimmt man ihnen auch noch das letzte Stückchen Selbstständigkeit. Es ist ihnen im ersten Jahr ihres Aufenthaltes komplett verboten, arbeiten zu gehen, danach können sie nur arbeiten, wenn keine Deutschen oder EU-Bürger für die Arbeit gewonnen werden. Von rassistischen Vorurteilen, denen sie im Alltag begegnen, will ich jetzt gar nicht reden.
Jedenfalls werden Flüchtlinge nach allen Regeln der Kunst fertig gemacht, und dann wird ihnen das Koffertragen als „Ausweg“ angeboten. Hier von „Freiwilligkeit“ zu reden, verkennt, dass die Bereitschaft der Kofferträger aus ihrer Not heraus erzwungen wurde. Oder würden sie bei Leuten, die Flaschen sammeln, weil die Rente nicht reicht, oder Lebensmittelabfälle aus dem Container fischen, weil sie sonst nichts zu essen haben, auch sagen, sie handelten ja „freiwillig“? Flüchtlinge stehen in Deutschland nicht vor dem Hungertod, aber sie befinden sich in einer existenziellen und existenzbedrohenden, sozialen und psychologischen Zwangslage. Aus der muss man versuchen, ihnen rauszuhelfen, durch ernsthafte Integrationsangebote.
Aber: Integration ist eine Aufgabe, die die nicht nur Flüchtlinge bewältigen „müssen“, sondern ebenso die Mehrheitsgesellschaft. Es geht nur gemeinsam. Integration findet auf Augenhöhe statt, sie lässt sich nicht auf Ausbeutung, dem Ausnutzen von Zwangslagen und dem rassistischen Asylbewerberleistungsgesetz aufbauen.
Schwäbisch Gmünd, wurde mir mitgeteilt, habe eine hohe Bereitschaft, Flüchtlinge zu integrieren. Das wird sich ja hoffentlich nicht darin erschöpfen, sich von ihnen die Koffer tragen zu lassen. Die Gemeinde, kommunale Kulturprojekte, Sport- und Musikvereine, die Feuerwehr, Nachbarschaftsinitiativen usw. können ganz praktische Integrationsarbeit leisten, ohne jeden rassistischen und ausbeuterischen Beigeschmack. Das würde ich sehr begrüßen. Was gesetzgeberischen Änderungsbedarf auf Bundesebene angeht, habe ich schon seit langem Forderungen etwa nach Abschaffung des Asylbewerberleistungsgesetzes aufgestellt, die leider von der Partei des Herrn Bürgermeisters Arnold blockiert werden.
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