Am 28. September 2013 konnte man in Istanbul an einer eher ungewöhnlichen Modenschau teilnehmen. Eher ungewöhnlich deshalb, weil hier weder abgemagerte Topmodels, noch steinreiche Modezaren, keine Glamourreporter oder Fashion-Yuppies zu sehen waren. Statt dessen gab es Streiktransparente, eine Demonstration und die populäre kommunistische Band Grup Yorum. Im Unterschied zu einer Modenschau der Bourgeoisie handle es sich um eine proletarische, und deren Mode sei »Besetzung, Widerstand und Produktion«, so der Journalist Metin Yegin auf der Veranstaltung.
Geladen hatten die Arbeiterinnen und Arbeiter von Kazova Tekstil, einer seit Monaten besetzten und von der Belegschaft selbst verwalteten Fabrik im Istanbuler Stadtteil Sisli. Noch vergangenes Jahr war Kazova ein durchschnittlicher Betrieb mittlerer Größe, mit schlechten Arbeitsbedingungen, niedrigem Lohn und erzwungenen Überstunden. Eine Klimaanlage hatte nur das Stockwerk des Managements, die Arbeiter mußten bei bis zu 60 Grad schuften. Einen Aufzug gab es in dem fünfstöckigen Gebäude nicht, es war billiger, die Angestellten die Waren hinauf- und hinunter schleppen zu lassen.
Nachdem die Eigentümer, die den damals 94 Beschäftigten noch vier Monate Lohn schuldeten, im Januar 2013 die Produktion einstellen wollten, gingen die Arbeiter in die Offensive. Im Februar begannen sie, sich zu organisieren, von April an kampierten sie in einem Zelt vor der Fabrik, um zu verhindern, daß die Eigentümer, Ümit Somuncu und Mustafa Umut Somuncu, die Maschinen abtransportieren lassen. Ende Juni war es dann soweit: Kazova Tekstil wurde besetzt.
Die Beschäftigten gingen nun daran, notwendige Reparaturen durchzuführen, um so bald wie möglich die Produktion wieder aufnehmen zu können. »Am 28. Juni besetzten wir die Fabrik und begannen, die kaputten Maschinen wieder tauglich zu machen. Wir brauchen keine Diebe und Blutsauger, die uns ausbeuten. Es ist der erste Widerstand dieser Art in der Türkei«, zitiert die linke Zeitschrift Yürüyüs (8. Oktober 2013) einen Arbeiter.
Die Belegschaft will nun für jeden bezahlbare hochwertige Sweater und Pullover herstellen. Die Kleidungsstücke kosteten, als noch die Profitgier der Bosse zu bedienen war, zwischen 150 und 300 Lira bei Produktionskosten von 20 Lira (rund sieben Euro). Heute verkauft die Belegschaft sie für 30 Lira, bei 200 Sweater am Tag liegt die derzeitige Produktionskapazität. Allerdings läuft die Wiederaufnahme des Arbeitsprozesses nicht ohne Probleme ab. Lohn gibt es immer noch keinen, das Erwirtschaftete wird reinvestiert. Und es sind nur noch ein Dutzend Kollegen, die hier tätig sind. Die anderen hielten den langen Lohnausfall nicht durch und mußten sich einen neuen Job suchen. Um die Maschinen gab es eine lange juristische Auseinandersetzung, die vergangene Woche mit einem Gerichtsurteil endete, das den Arbeitern die Maschinen im Ausgleich für ihren Lohnausfall zusprach. Sie wurden nun von den Arbeitern in ein neues Gebäude im Istanbuler Stadtteil Kagithane verbracht, dort soll die Arbeit wieder aufgenommen werden. »Das ist der Sieg des Widerstandes, der seit Januar läuft«, kommentierte der Anwalt der Beschäftigten, Behic Asci von der linken Anwaltsvereinigung Halkin Hukuk Bürosu.
Die großen Bewegungen, die in den vergangenen Jahren weltweit von sich Hören machten, spielten sich nicht direkt in den Fabriken ab. Es waren urbane Bewegungen, deren Symbole die Plätze und Parks wurden: Puerta del Sol in Madrid, Syntagma in Athen, Taksim und Gezi in Istanbul. Obwohl hier zu einem großen Teil Menschen aus der Arbeiterklasse aktiv beteiligt war, haben sie es noch nicht vermocht, den Kampf in die Produktionsstätten zu tragen.
Allerdings gab und gibt es erste Ansätze: Bekannt wurde die Baustofffabrik Vio.Me in Thessaloniki, die, nachdem der Eigentümer die Produktion einstellen und die Maschinen verscherbeln wollte, von der Belegschaft übernommen und unter die Kontrolle eines Arbeiterrats gestellt wurde. Ohne die Solidarität der außerparlamentarischen Bewegung in Griechenland, die bei der Finanzierung half, Konzerte und Öffentlichkeitsarbeit organisierte, wäre diese Übernahme womöglich nicht gelungen.
Bei Kazova Tekstil ist es ähnlich. Der irische Europaabgeordnete Paul Murphy erzählt von einem Besuch in der Fabrik: »Die Arbeiter verkauften ihre Produkte auch in jenen Versammlungen, die aus den Gezi-Protesten entstanden waren. Sie treffen sich nach wie vor in den Stadtteilen Istanbuls, um die Lehren und Herausforderungen der Bewegung zu diskutieren. ›Wir waren Teil der Gezi-Park-Bewegung‹, erklärt ein Arbeiter.« Platz und Fabrik beginnen immer mehr sich aufeinander zu beziehen.
« (Unvollständige) Chronik der jüngsten Brandanschläge gegen von Migrant_innen bewohnte Häuser: – Bad Neuenahr: Der Fall „Huste“ geht wohl in die nächste Runde. Koblenz/Bad Neuenahr – Der Bad Neuenahrer Linkenpolitiker Wolfgang Huste (58) wurde nun vom Koblenzer Landgericht zu einer Geldstrafe von 300 Euro (zehn Tagessätze à 30 Euro) verurteilt (wir berichteten). »
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Was besseres als die Erwerbslosigkeit und Massenentlassungen gibt es überall. Hier und da kann die Übernahme des jeweiligen Betriebes durch die Belegschaft die bessere Option zur Erwerbslosigkeit sein. Heruntergewirtschaftete Betriebe in die Hände der Belegschaft legen- das ist ein gutes, sozialistisches Ziel.
Comment: Huste – 02. November 2013 @ 10:00