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Kein Thema. Gastkommentar. Die große Koalition und die Armut. Von Christoph Butterwegge

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Sowohl die letzte große Koalition (2005–2009) als auch die ihr folgende, von CDU, CSU und FDP gebildete Regierung (2009–2013) haben erheblich zur Spaltung unserer Gesellschaft in Arm und Reich beigetragen. Auch die neue Bundesregierung zeigt wenig Sensibilität für das Thema. Vielmehr kommt das Wort »Reichtum« in dem 185 Seiten umfassenden Koalitionsvertrag nur als »Ideen-« bzw. »Naturreichtum« vor und der Begriff »Vermögen« nur als »Durchhaltevermögen« bzw. im Zusammenhang mit der Vermögensabschöpfung bei Kriminellen.

»Armut« taucht häufiger, jedoch ausschließlich in fragwürdiger Weise auf. Während von Kinder- und Jugendarmut nicht die Rede ist, erscheint »Bildungsarmut«, mit dem die Alphabetisierungsbemühungen von Bund und Ländern begründet werden, insofern mißverständlich, als der Begriff zur Verwechslung von Ursache und Wirkung einlädt. Menschen sind nicht wegen mangelnder Bildung arm, sondern wegen ihrer Armut bildungsbenachteiligt. Wenn jemand vermögend ist oder Kapital besitzt, beeinträchtigt ein schlechter oder fehlender Schulabschluß kaum seinen Wohlstand.

»Altersarmut verhindern – Lebensleistung würdigen« lautet zwar eine Zwischenüberschrift zur Rentenpolitik. Darunter heißt es, die sozialen Sicherungssysteme, auf die sich die Menschen in unserem Land verlassen können müßten, schützten vor Armut und seien Ausdruck des Zusammenhalts unserer Gesellschaft. Beide Formulierungen legen den Schluß nahe, daß Altersarmut in Deutschland nicht existiert, denn von der Notwendigkeit ihrer Bekämpfung, Verringerung oder Beseitigung ist nirgends die Rede.

Dem hierzulande dominierenden Verständnis von Armut gemäß wird diese nicht weniger als viermal im Zusammenhang mit der »Dritten Welt« erwähnt. Gleich dreimal wird das Wort »Armutswanderung« bzw. »Armutsmigration« verwendet, gemünzt auf Bulgaren und Rumänen, denen man eine »ungerechtfertigte Inanspruchnahme von Sozialleistungen« vorwirft. Auch wenn die sozialen Problemlagen einzelner Städte bei der Unterbringung, Existenzsicherung, Gesundheitsversorgung und Integration der Zuwanderer vom Balkan treffend beschrieben werden, leistet der Koalitionsvertrag rassistischen Ressentiments dadurch Vorschub, daß er der »Migration in die sozialen Sicherungssysteme« entgegentritt, ohne Not und Elend der Herkunftsländer zu erwähnen und zu berücksichtigen, daß die Mehrheit der Zuwanderer
qualifizierte und hochmotivierte Arbeitskräfte sind. Armut, suggeriert die große Koalition, gibt es in Deutschland gar nicht. Vielmehr existiert sie offenbar nur außerhalb unserer Wohlstandsinsel, es sei denn, sie wird durch Zuwanderer rechtswidrig importiert.

Prof. Dr. Christoph Butterwegge lehrt Politikwissenschaft an der Universität zu Köln. Kürzlich ist die 5., aktualisierte Auflage seines Standardwerkes »Krise und Zukunft des Sozialstaates« bei Springer VS (Wiesbaden 2013) ­erschienen

Quelle: www.jungewelt.de vom 10.01.14

Dieser Beitrag wurde am Donnerstag, 09. Januar 2014 um 20:27 Uhr veröffentlicht und wurde unter der Kategorie Blog abgelegt. Du kannst die Kommentare zu diesen Eintrag durch den RSS-Feed verfolgen.

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