Die Entspannung in der ukrainischen Hauptstadt Kiew war nur von kurzer Dauer. Im Zuge eines von der rechten Opposition angekündigten »friedlichen Angriffs« auf das ukrainische Parlament kam es am Dienstag zu schweren Straßenkämpfen im Regierungsviertel. Die Demonstranten plünderten das Büro der regierenden Partei der Regionen und legten Feuer. Dabei soll ein Wachmann ums Leben gekommen sein. Ein angeschossener Polizist starb nach offiziellen Angaben auf dem Weg ins Krankenhaus. Die Sicherheitskräfte schossen mit Blend- und Tränengasgranaten zurück. Am frühen Nachmittag berichteten die Demonstranten von mindestens drei Toten auf ihrer Seite, weitere sieben Regierungsgegner lägen in lebensbedrohlichem Zustand in einem provisorischen Lazarett im besetzten »Haus des Offiziers«. Die Opposition warf der Polizei vor, sie lasse keine Krankenwagen durch; allerdings waren es die Demonstranten selbst, die die Wege versperrten, indem sie sofort wieder Barrikaden errichteten, um ihren »Geländegewinn« zu festigen. Auf ihrer Seite wurden 150 Verletzte gezählt, bei der Polizei etwa 40, davon fünf mit Schußwunden. Die Situation spitzte sich gegen Abend weiter zu. Der Vorsitzende des Nationalen Sicherheitsrates stellte der Opposition ein Ultimatum bis 18 Uhr MEZ, ihre Anhänger zur Ruhe zu bringen. Die Kiewer Metro stellte mitten im abendlichen Berufsverkehr den Betrieb ein.
Am Morgen hatte der »Rechte Block«, der militante Kern der Regierungsgegner, alle Anhänger, die im Besitz von Schußwaffen sind, aufgerufen, sich auf dem Maidan zu melden. Schon in den letzten Tagen hatten sich Anzeichen dafür gemehrt, daß sich die Opposition bewaffnet. So bat eine »Erste Kiewer Hundertschaft der Organisation Ukrainischer Nationalisten« auf einem Plakat vor ihrem Zelt offen um »Munition oder Geld, um welche zu kaufen«.
Unter diesen Umständen war nicht zu erwarten, daß die Parlamentssitzung am Dienstag einen halbwegs geregelten Verlauf nehmen würde. Vom Morgen an besetzten Abgeordnete der Oppositionsfraktionen die Rednertribüne. Sie wollten so dagegen protestieren, daß das Präsidium ihre Entwürfe für eine Verfassungsreform nicht annahm. Im Laufe des Vormittags erlitt Parlamentspräsident Wladimir Rybak einen Herzanfall, später verließen die Abgeordneten der Regierungspartei den Plenarsaal. Demonstranten schlugen mit Knüppeln auf die Autos ein, mit denen sie davonfuhren. Das Gebäude wurde verrammelt, der Sicherheitsdienst brachte Feuerwehrschläuche in Stellung.
Rußland verurteilte die neue Eskalation der Gewalt in Kiew. Das Außenministerium in Moskau erklärte, die Vorgänge seien das Ergebnis von Wochen westlicher Einmischung in die inneren Angelegenheiten der Ukraine. Die westlichen Politiker hätten systematisch die Augen vor dem Anwachsen des radikalen Flügels im Oppositionslager verschlossen. Mit den Vorgängen vom Dienstag dürfte aber auch der Versuch der Bundesregierung vom Montag, Einfluß auf eine politische Lösung der Staatskrise zu nehmen, vorerst gescheitert sein. Kanzlerin Angela Merkel hatte dazu die Oppositionspolitiker Arseni Jazenjuk und Witali Klitschko im Kanzleramt empfangen. Merkel unterstützte die Bestrebungen der Opposition nach einer Verfassungsänderung, lehnte es aber erneut ab, Sanktionen gegen führende Vertreter der Regierungsseite zu verhängen, wie es die Oppositionsvertreter verlangen.
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