Zwei Meldungen ließen am Wochenende die Athener aufhorchen. Im sogenannten Frühstücksfernsehen erfuhren sie am Samstag morgen, daß die Gefangenen in der Krankenstation des »Korydallos«, der größten Vollzugsanstalt Griechenlands, einen langen Hungerstreik endlich abgebrochen hatten. Die linksgerichetete Zeitung Avgi (Der Morgen) berichtete am selben Tag über die Festnahme eines betrügerischen Unternehmers im Stadtteil Glyfada, dem es gelungen war, den Krankenhäusern der Hauptstadt Medikamente und Ausrüstung zu Wucherpreisen anzudrehen. Zwei Ereignisse, die angesichts der Not im Land von hohem Symbolwert sind.
Das »Korydallos« ist ein Gefängnis, das die Militärdiktatur zu Beginn der siebziger Jahre bauen ließ, weil die Zellen der alten Haftanstalt »Averoff« die Menge verurteilter politischer Gegner nicht mehr faßte. Nach dem Fall des Regimes saßen in dem Neubau dann die verurteilten Diktatoren selbst. Nicht nur die nach wie vor grausigen Haftbedingungen der Anstalt standen bis in die Gegenwart hinein immer wieder im Mittelpunkt internationaler Kritik – in dem für 650 Personen konzipierten Bau vegetierten bisweilen mehr als 2000 Häftlinge. Aufmerksamkeit erregte vor allem die Krankenabteilung des Gefängnisses, in der den Griechen vor einigen Tagen der völlige Zusammenbruch des staatlichen Gesundheitssystems in drastischen Bildern sichtbar gemacht wurde. Einem Gefangenen war es gelungen, heimlich in der Station gemachte Videoaufnahmen und Fotografien an die Presse weiterzureichen, um auch dem in ungläubigem Staunen verharrenden europäischen Publikum zu zeigen, »wie wir hier im Dreck verrecken«.
Die Troika, die seit nunmehr vier Jahren an Volkes und Regierung Statt die griechische Politik bestimmt, hat nicht nur im Knast von »Korydallos« ganze Arbeit geleistet. Ein jüngst von Forschern der Universitäten London, Cambridge und Oxford in der medizinischen Fachzeitschrift Lancet veröffentlichte Studie beweist, daß die von der deutschen Kanzlerin Angela Merkel angeführte EU-Kommission, dem Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Europäischen Zentralbank (EZB) durchgesetzte Austeritätspolitik zu verheerenden Folgen für die Gesundheit der Bevölkerung insgesamt geführt hat (siehe Artikel unten).
Seit der griechische »Gesundheitsminister« Adonis Georgiadis im Februar auf Anweisung der Troika rund 350 Polikliniken schließen ließ – Stationen zur weitgehend kostenfreien ambulanten Behandlung –, ist die primäre ärztliche Grundversorgung des Landes faktisch zusammengebrochen. Von einem Tag auf den anderen ließ Georgiadis, übrigens der vierte Chef des Ressorts innerhalb nur eines Jahres, mehr als 8000 Ärzte und Pfleger entlassen, die ihre Arbeitsplätze zunächst besetzt hielten und ohne Lohn weiterarbeiteten. Ein in der Tat unbezahlbarer Dienst an einer Gesellschaft, in der – nach offiziellen Angaben – rund 30 Prozent (inoffizielle Schätzungen gehen von bis zu 50 Prozent aus) der Menschen ohne Krankenversicherung leben müssen. Diktat der Troika: Wer nach zwei Jahren ohne Anstellung keine Arbeit gefunden hat, verliert alle Sozialleistungen, also auch die medizinische Versorgung auf Rezept.
Eine Delegation deutscher Ärzte, die zu Beginn des Monats nach Griechenland gereist war, bestätigte die Lancet-Studie in der Ärztezeitung vom 5. März. »Die Situation der breiten Bevölkerung ist durch massive Verarmung gekennzeichnet«, klagte der Facharzt für Innere Medizin und Gastroenterologie, Bernhard Winter. »Beschäftigte und Renter haben die Hälfte ihres Einkommens verloren. Mehr als ein Drittel der Griechen existiert am Rand oder unterhalb der Armutsgrenze. Allein in Athen leben rund 30000 Menschen auf der Straße.« Als Folge der sogenannten Sparpolitik, zitiert die Zeitung die Ärztin Nadja Rakowitz, seien gegenwärtig rund drei Millionen Griechen ohne Versicherungsschutz.
Hilfe finden versicherungslose Kranke nur noch in »Solidarischen Kliniken«, in denen Mediziner und Pfleger ehrenamtlich arbeiten. Eines der größten dieser Behandlungszentren ist die »Solidarische Klinik Ellinikon«, die auf dem ehemaligen US-Militärgelände am Rande des alten Athener Flughafens eingerichtet wurde. Die im Herbst 2011 gegründete Station registriert inzwischen bis zu 20000 Patientenkontakte pro Jahr, das »Personal« rekrutriert sich nach Angaben der Ärztezeitung aus 250 medizinisch ausgebildeten ehrenamtlichen Helfern, unter ihnen 160 Ärzte, Therapeuten und Pharmazeuten.
Vornehmste Aufgabe der Troika ist es bekanntlich, das finanzkapitalistische System in Europa und anderswo zusammenzuhalten und einen der Pfeiler dieser Ordnung, die gemeinsame Währung Euro, zu retten. Wie die Kräfte dieses Systems schon im kleinen wirken, zeigte nun der Fall, von dem die Zeitung Avgi am Wochenende berichtete: Der 55 Jahre alte Händler aus Glyfada hatte den Krankenhäusern unter anderem dringend benötigte blutstillende Mittel zum Preis von 500 Euro pro Packung verkauft. Wie sich herausstellte, hatte er sie in Tschechien für 3,50 Euro pro Einheit aus Restbeständen erworben. In seiner Garage fanden die Ermittlungsbeamten einen Ferrari. Geschätzter Wert: 200000 Euro.
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Ich möchte meinem Kommentar vorweg schicken, dass ich nicht mit allem, was die regierenden Politer Deutschlands und der EU machen, einverstanden bin und dass die Troika immer weiß, was sie tut.
Aber das ganze Dilemma in Griechenland der Troika zuzuschieben, finde ich sehr daneben. Die Grundlage für die katastrohale Lage Griechenlands haben die vom Volk gewählten Regierungen der vergangenen Jahre geschaffen – und trotz der Kriese weiterhin gefestigt. Statt das Gesundheitssystem kollabieren zu lassen, hätte sich Griechenland ja tatsächlich mal mit der Privatisierung diverser Staatsbetriebe befassen können, die momentan nur Geld kosten, anstatt es zu erwirtschaften. Damit wäre sicher einigen Unternehmern geholfen – aber auch den Menschen. Denn Gewinne werden versteuert, Sozialversicherungsbeiträge gezahlt und die Wirtschaft könnte endlich mal wieder wachsen.
Wenn ich mich als Privatrperson über Jahre überschulde und Geld ausgebe, was ich nicht habe und nicht zurückzahlen kann, werde ich mich früher oder später auch vom Tafelsilber trennen müssen, um meine Rechnungen zu bezahlen – ggf. kommt dann noch ein Insolvenzverwalter, der mir gerade noch so viel lässt, dass ich am Leben bleibe – und der sonst darauf achtet, dass ich meine Verbindlichkeiten endlich wieder in den Griff bekomme. Warum sollte das für einen Staat nicht gelten.
Comment: Omicroner – 24. März 2014 @ 10:15
Hallo,
ich möchte dem Kommentar von omicroner etwas hinzufügen:
Grundsätzlich gebe ich dir Recht, mit dem was du schreibst.
Aber letztendlich hat ja Europa die ganze Zeit zugesehen, wie Griechenland über seine Verhältnisse lebt und die Kriterien für den Euro-Beitritt so weit heruntergeschraubt, dass Griechenland der gemeinsamen Währung überhaupt beitreten konnte. Und darum darf sich Europa im Allgemeinen und Deutschland im Speziellen nicht aus der Verantwortung stehlen!
Comment: Gewa – 26. März 2014 @ 12:22