Die russische Staatsduma hat am Donnerstag den Beitrittsvertrag mit der Republik Krim und der Stadt Sewastopol ratifiziert. Dafür stimmten 443 der 450 Abgeordneten. Am heutigen Freitag muß der Vertrag noch vom Föderationsrat gebilligt werden, dann geht er zur Unterschrift an Präsident Wladimir Putin. Mit dessen Signatur wird der Beitritt rechtsförmlich vollzogen. Das ganze Verfahren soll nach den Worten von Außenminister Sergej Lawrow bis zum Wochenende abgeschlossen sein. Am kommenden Montag will die Krim laut Angaben ihres Parlamentspräsidenten Wladimir Konstantinow vom Donnerstag offiziell den Russischen Rubel einführen. Die ukrainische Landeswährung Griwna soll bis Ende 2015 gleichberechtigt benutzt werden dürfen.
Das Kiewer Parlament begann ebenfalls am Donnerstag, sich in das Unvermeidliche zu fügen. Die Krim wurde zwar zur »vorübergehend besetzten Zone« erklärt, faktisch aber vollzieht die Ukraine eine scharfe Abgrenzung von der Krim, die sie gleichzeitig für sich beansprucht. So soll ein sogenanntes Gesetz über die Rechte der ukrainischen Staatsbürger auf der besetzten Krim alle mit Strafe bedrohen, die dort ohne Genehmigung aus Kiew ein Gewerbe betreiben oder auch nur Transportdienstleistungen anbieten. Jeder Bus- oder Taxifahrer von der Krim, der sich in die Ukraine wagt, riskiert damit mehrjährige Freiheitsstrafen und die Beschlagnahme seines Fahrzeugs, ebenso Ukrainer, die sich dabei erwischen lassen, von dort zurückzukommen. »Bewußtes und freiwilliges Zusammenwirken« mit den Behörden der Krim oder Rußlands gilt nach dem Gesetzentwurf als Kollaboration und wird als Hochverrat bestraft.
Auf der Krim geht das Tauziehen um die Stützpunkte der ukrainischen Armee weiter. Rußland hat den ukrainischen Militärs angeboten, sie zu ihren aktuellen Dienstgraden in die eigene Armee zu übernehmen. Ein Teil der ukrainischen Soldaten scheint dieses Angebot anzunehmen. Aus einer Kaserne in der Ortschaft Nowoosjorne zog dagegen ein komplettes Bataillon unter den Klängen der ukrainischen Hymne ab – unter Zurücklassung seiner Ausrüstung. Im Hafen von Sewastopol zogen drei kleinere Schiffe der ukrainischen Marine die russische Fahne auf. In der Marinebasis von Donuslaw im Norden der Krim verließen mehrere ukrainische Schiffe ihre Liegeplätze, um nicht von der Krim-Selbstverteidigung übernommen zu werden.
Nach Angaben der Krim-Regierung wurde inzwischen der mutmaßliche Scharfschütze festgenommen, der am Dienstag abend in Simferopol einen ukrainischen und einen Krim-Soldaten getötet und drei weitere verletzt hatte. Wie der stellvertretende Regierungschef Rustam Temirgalijew erklärte, soll es sich um einen 17jährigen aus der Westukraine handeln. Er habe in beide Richtungen geschossen, um Panik zu verbreiten. Die Information wurde von der Staatsanwaltschaft jedoch nicht bestätigt. Die Version Temirgalijews würde nämlich die unangenehme Frage aufwerfen, wie der mutmaßliche Attentäter einschließlich seiner Waffe an den seit dem 28. Februar militärisch gesicherten Kontrollpunkten vorbeikommen konnte. Der geschilderte Tatablauf entspräche dem, den Rußland für die Tage der Gewalteskalation in Kiew am 18. und 19. Februar annimmt: daß radikale Nationalisten auf Polizisten, aber auch eigene Leute schossen. Die ukrainische Regierung weigert sich, die Geschehnisse genauer zu untersuchen; dies hatte auch schon der estnische Außenminister Urmas Paet in seinem abgehörten Telefongespräch mit der EU-Außenbeauftragten Lady Ashton (vgl. jW vom 7. März) moniert.
Noch steht bei den neuen Europäern die antimoskowitische Hysterie zum tatsächlichen Handeln in einem irrationalen Verhältnis. Aber die Herrschaften spielen gern mit Feuer, an dem sich Washington wärmen kann. Am Mittwoch kündigte US-Vizepräsident Joseph Biden den baltischen US-Statthaltern, die nominell zur EU gehören, jedenfalls an, die Militärkooperation werde ausgeweitet. Zusätzliche US-Kampfflugzeuge sind bereits in der Region.
Für das Ziel, Rußland dauerhaft zu schwächen, reicht das aber nicht. Die Erfahrung vom Kosovo- bis zum Libyen- und Syrien-Krieg lehrt, daß Weltherrschaftskrieger eine einheimische Bodentruppe benötigen, um ihre jeweilige »Weiterentwicklung« des Völkerrechts realisieren zu können. In der Ukraine formiert sich eine solche Mörderbande seit dem 22. Februar, dem Tag des Kiewer Putsches, mit offener staatlicher Hilfe. Am Mittwoch verkündete die faschistische Miliz »Gemeinsame Sache«, sie werde den Maidan räumen und mit der Ausbildung für den Partisanenkrieg beginnen. Sie ist nicht die einzige. Das »neue Europa« wird die Rechnung in Berlin zu gegebener Zeit präsentieren.
Davon sind Sie fest überzeugt, auch wenn das ja sehr umstritten ist? (…) Für Sie ist das ganz klar?
Ja, da kann es überhaupt keinen Zweifel geben. Die Website von Swoboda ist eine wahre Fundgrube an völkischer Ideologie. Die sind getrieben von Russenhaß, von Judenhaß und Polenhaß. Es ist schierer Nationalismus, überzogener exzessiver Nationalismus. Sie rufen nach Atomwaffen für die Ukraine. Sie halten auch die Europäische Union übrigens nicht für ein erstrebenswertes Ziel, sondern die halten die EU für ein künstliches Gebilde, das sowieso zum Absterben verurteilt ist. Und ich wehre mich gegen diese verharmlosende These, es sind ja nur ein paar, oder gegen diese klassische Theorie der Einbindung. Diese Sache mit der Einbindung von radikalen Kräften ist in der europäischen Geschichte schon mehr als einmal ganz, ganz furchtbar schiefgegangen. Das sollten wir nicht vergessen.
Ja, das heißt das. Ich bin der Meinung, daß man dieser Regierung eine solche Perspektive nicht anbieten kann, sondern daß man ihr ganz klarmachen muß, das Bündnis, das sie geschmiedet haben, unter Einbeziehung undemokratischer rechtsradikaler Kräfte, ist für uns nicht hinnehmbar. Das ist ein Aspekt, der in unserer öffentlichen Debatte, finde ich, unterbewertet wird. Wir haben in Europa einen Wertekonsens, daß wir so etwas nicht wollen. Ich darf daran erinnern: Als in Österreich vor 15 Jahren die FPÖ in die Regierung kam, haben wir Österreich bestraft. (…) Die FPÖ von Haider damals ist im Vergleich zu dem, was wir in der Ukraine mit Swoboda haben, aber wirklich ein Kindergeburtstag. (…)
Ich muß da noch mal nachfragen, Herr Verheugen. Ist die neue Führungselite, die neue Führungsmannschaft in Kiew legitim zustande gekommen?
Nein, das ist sie nicht. Das kann man ja nun kaum bestreiten. Die ukrainische Verfassung ist in dieser Sache ganz klar. Die verfassungsmäßige Mehrheit war nicht da, und es war auch kein ordnungsgemäß gewählter Präsident. Aber da kann man ja immer noch sagen, gut, das war eine Umsturzsituation, da funktioniert das eben nicht so. Deshalb kommt es jetzt darauf an, daß man sich verständigen kann darüber, wie in diesem Land eine politische Ordnung hergestellt wird, mit der die Menschen leben können, und ich finde es sehr interessant, daß zum Beispiel der amerikanische und der russische Außenminister darüber reden, wie die Verfassung einer solchen Ukraine aussehen sollte, ohne daß sie aber – und das muß uns doch beunruhigen – darüber mit der Regierung in Kiew selber reden. Und da sind wir wieder bei dem Punkt, den ich eben angesprochen hatte: Weil die Russen sagen, das ist uns nicht zuzumuten.
(…) Sie sagen, nicht legitimierte Regierung in Kiew und unter Beteiligung von Faschisten. Das hört sich ja so an, als müßte man diese Regierung sanktionieren?
Jedenfalls nicht ihr alles das jetzt offerieren, was man demokratisch gewählten Vorgängerregierungen verweigert hat. (…)
Sehr geehrte Mitglieder des Föderationsrats, sehr geehrte Mitglieder der Staatsduma! Sehr geehrte Vertreter der Republik Krim und Sewastopols – sie sind hier, unter uns, Bürger Rußlands, Einwohner der Krim und Sewastopols!
Sehr geehrte Freunde, wir befassen uns heute mit einer Frage, die eine lebenswichtige Bedeutung hat, eine historische Bedeutung für uns alle. Am 16. März fand auf der Krim ein Referendum statt, das in voller Übereinstimmung mit demokratischen Verfahren und völkerrechtlichen Normen verlief. (…)
Nach der Revolution fügten die Bolschewiki aus verschiedenen Gründen – möge Gott darüber richten – große Teile des Territoriums im historischen Süden Rußlands zur Unionsrepublik Ukraine. Das wurde ohne Rücksicht auf die nationale Zusammensetzung der Einwohner vollzogen, heute ist das der Südosten der Ukraine. 1954 wurde dann entschieden, ihr den Krim-Bezirk und Sewastopol, obwohl die Stadt direkt der Union unterstand, zuzuschlagen. (…)
Für uns ist etwas anderes wichtig: Der Beschluß kam unter offensichtlicher Verletzung sogar der damals geltenden Verfassungsnormen zustande. (…) Natürlich wurden unter den Bedingungen eines totalitären Staates weder die Einwohner der Krim noch Sewastopols gefragt. Man stellte sie vor vollendete Tatsachen. (…)
Was damals unvorstellbar erschien, geschah leider. Die UdSSR zerfiel. Die Ereignisse entwickelten sich derart stürmisch, daß nur wenige Bürger die ganze Dramatik des Geschehens und seiner Folgen verstanden. Viele Menschen in Rußland, in der Ukraine und in anderen Republiken hofften, daß die entstehende Gemeinschaft Unabhängiger Staaten eine neue Form von Staatlichkeit werden könnte. (…) Aber Millionen Russen legten sich in einem gemeinsamen Land schlafen und wachten hinter Grenzen wieder auf, wurden häufig nationale Minderheiten in früheren Unionsrepubliken, das russische Volk wurde eines der größten Völker, um nicht zu sagen, das größte geteilte Volk der Welt.
Ich verstehe, warum die Menschen in der Ukraine eine Veränderung wollten. In den Jahren nach der Unabhängigkeit (…) wechselten die Präsidenten, die Ministerpräsidenten, die Abgeordneten der Rada, aber ihr Verhältnis zu ihrem Land und ihrem Volk änderte sich nicht. Sie kämpften untereinander um die Macht und die Finanzquellen. Dabei interessierte es die Machthaber wenig, wie die einfachen Leute leben und warum Millionen Ukrainer für sich in der Heimat keine Perspektive sehen, gezwungen sind, ins Ausland zu fahren und dort niedrigste Arbeiten zu verrichten. (…) Aber jene, die hinter den jüngsten Ereignissen in der Ukraine standen, verfolgen andere Ziele: Sie bereiteten einen Staatsstreich vor, wollten die Macht ergreifen und machten vor nichts Halt. Es kam zu Schießereien und Terror, zu Morden und Pogromen. Die Hauptakteure des Umsturzes waren Nationalisten, Neonazis, Russophobe und Antisemiten. Sie bestimmen in vieler Hinsicht bis heute das Leben in der Ukraine. (…) Allen, die sich dem Putsch widersetzten, begannen sie sofort mit Repressionen zu drohen. An erster Stelle stand dabei – natürlich – die Krim, die russischsprachige Krim. Deswegen wandten sich die Einwohner der Krim und Sewastopols an Rußland mit der Aufforderung, ihre Rechte und ihr Leben zu verteidigen, (…) Es versteht sich, daß wir diese Bitte nicht abschlagen konnten, daß wir die Krim und ihre Bewohner nicht in ihrer bedrängten Lage lassen konnten, alles andere wäre Verrat gewesen.
Vor allem mußte Hilfe dabei geleistet werden, Bedingungen für eine friedliche, freie Willensbekundung zu schaffen, dafür, daß die Krim-Bewohner zum ersten Mal in der Geschichte ihr Schicksal bestimmen konnten. Was hören wir jedoch jetzt von unseren Kollegen in Westeuropa und aus Nordamerika? Sie sagen uns, wir brächen die Normen des Völkerrechts. Erstens ist es gut, daß sie sich daran erinnern, daß es das Völkerrecht gibt, und – Dank dafür, lieber spät als niemals.
Und zweitens und am wichtigsten: Was sollen wir verletzt haben? Ja, der Präsident der Russischen Föderation erhielt vom Oberhaus des Parlaments das Recht, bewaffnete Kräfte in der Ukraine einzusetzen. Aber dieses Recht hat er bis jetzt nicht genutzt. Bewaffnete Kräfte Rußlands sind nicht in die Krim einmarschiert, sie waren dort schon und befanden sich dort in Übereinstimmung mit einem völkerrechtlichen Vertrag. Ja, wir haben unsere Gruppierung dort verstärkt, aber überschritten nicht die festgelegte Zahl – ich möchte das unterstreichen, damit es alle hören und wissen – unserer bewaffneten Kräfte auf der Krim, die auf 25000 Menschen festgelegt ist, dafür gab es einfach keine Notwendigkeit.
Weiter. Als der Oberste Rat der Krim die Unabhängigkeit erklärte und das Referendum begann, befand er sich in Übereinstimmung mit der Charta der Vereinten Nationen, in der vom Recht auf Selbstbestimmung die Rede ist. Ich möchte daran erinnern, daß die Ukraine beinahe wörtlich dasselbe tat, als sie ihren Austritt aus der UdSSR erklärte. In der Ukraine machte man von diesem Recht Gebrauch, das man den Krim-Bewohnern nicht zubilligt. Warum?
Außerdem bewegte sich die Krim-Regierung auf dem Boden des bekannten Präzedenzfalls im Kosovo, den unsere westlichen Partner selbst schufen, mit ihren eigenen Händen und in einer Situation, die absolut analog zu der der Krim war. Sie erkannten die Abtrennung des Kosovo von Serbien als legitim an und wiesen darauf hin, daß keinerlei Genehmigung der Zentralmacht des Landes für die einseitige Unabhängigkeitserklärung erforderlich sei. Der Internationale UN-Gerichtshof stimmte dem auf der Grundlage von Artikel zwei, Absatz eins der Charta der Vereinten Nationen am 22. Juli 2010 zu und bemerkte dazu folgendes. Ich zitiere wörtlich: »Aus der Praxis des Sicherheitsrates ergibt sich kein allgemeines Verbot einer einseitigen Unabhängigkeitserklärung«. Und weiter: »Das allgemeine Völkerrecht enthält kein irgendwie festgelegtes Verbot einer Unabhängigkeitserklärung.« Das ist, wie man sagt, klar und deutlich.
Ich ziehe mich nicht gern auf Zitate zurück, kann mich aber nicht enthalten, einem offiziellen Dokument noch eine Passage zu entnehmen, diesmal aus einem Memorandum der USA vom 17. April 2009, das eben diesem Internationalen Gerichtshof zur Kosovo-Anhörung übergeben wurde. Ich zitiere erneut: »Unabhängigkeitserklärungen können, so oft es auch geschieht, die innere Gesetzegebung verletzen. Das bedeutet aber nicht, daß damit eine Verletzung des Völkerrechts geschieht.« Ende des Zitats. (…) Warum ist das, was Albanern im Kosovo (und wir verhalten uns ihnen gegenüber mit Respekt) möglich ist, Russen, Ukrainern und Krimtartaren auf der Krim verboten? Erneut stellt sich die Frage: Warum?
Dazu hören wir aus den Vereinigten Staaten und Europa, daß es sich beim Kosovo um einen besonderen Fall handelt. Woraus ergibt sich nach Meinung unserer Kollegen diese Ausschließlichkeit? Angeblich daraus, daß es im Verlauf des Konflikts im Kosovo viele Opfer gab. Ist das ein juristisches Argument? In der Entscheidung des Internationalen Gerichtshofs wird darüber nicht das Geringste gesagt. Hinzu kommt, Sie wissen es: Es gibt keine doppelten Standards. Es handelt sich um offensichtlich primitiven und unverblümten Zynismus. Man darf nicht derart grob seine Interessen betonen, daß man heute einen Gegenstand als weiß bezeichnet und morgen als schwarz. Soll das etwa heißen, daß jeder beliebige Konflikt soweit geführt werden soll, daß es Todesopfer gibt?
Ich sage es direkt: Wenn die Selbstverteidigungskräfte der Krim gegenwärtig die Situation nicht unter Kontrolle hätten, dann könnte es dort Tote geben. Gott sei dank ist das nicht geschehen! Es gab auf der Krim nicht einen bewaffneten Zusammenstoß und es gab keine Toten. Was meinen Sie, warum? Die einfache Antwort: Weil es schwer oder praktisch unmöglich ist, gegen das Volk und seinen Willen zu kämpfen. In diesem Zusammenhang möchte ich den ukrainischen Militärangehörigen danken, es handelt sich um kein kleines Kontingent – 22000 Menschen unter voller Bewaffnung. (…)
In diesem Zusammenhang kommt einem etwas anderes in den Sinn. Uns wird etwas über irgendeine russische Intervention auf der Krim erzählt, über eine Aggression. Aus der Geschichte kann ich mich an keinen Fall erinnern, daß eine Intervention ohne einen einzigen Schuß und ohne Opfer stattfand.
Sehr geehrte Kollegen! Die Situation rund um die Ukraine spiegelt das wider, was gegenwärtig und im Verlauf der vergangenen Jahrzehnte in der Welt stattfand. Nach der Auflösung des bipolaren Systems auf dem Planeten trat nicht größere Stabilität ein. Die entscheidenden internationalen Einrichtungen wurden nicht gestärkt, sondern leider oft geschwächt. Unsere westlichen Partner mit den Vereinigten Staaten von Amerika an der Spitze lassen in ihrer praktischen Politik nicht das Völkerrecht, sondern das Recht des Stärkeren walten. Sie beanspruchen in ihrer Auserwähltheit und Ausschließlichkeit, daß ihnen gestattet ist, das Schicksal der Welt zu bestimmen, daß nur sie im Recht sein können. (…) Dort, wo sie gegen souveräne Staaten zur Gewalt greifen, bilden sie Koalitionen nach dem Prinzip »Wer nicht für uns ist, ist gegen uns«. Um Aggressionen den Anschein von Rechtsförmigkeit zu geben, erwirken sie Resolutionen internationaler Organisationen, gelingt ihnen das aus irgendeinem Grund aber nicht, ignorieren sie komplett den Sicherheitsrat der UN und die UN als Ganzes.
So war es, woran wir uns gut erinnern, 1999 in Jugoslawien. Es war schwer zu glauben, selbst den eigenen Augen wollte man nicht trauen, aber am Ende des 20. Jahrhunderts gab es wochenlang Bomben- und Raketenschläge auf eine europäische Hauptstadt – Belgrad – und darauf folgte eine wirkliche Intervention. Wo war denn die Resolution des UN-Sicherheitsrats dazu, die solche Handlungen erlaubt hätte? Es gab keine. Und danach kamen Afghanistan, Irak und die offene Verletzung der Resolution des UN-Sicherheitsrats zu Libyen, anstelle der Einrichtung einer sogenannten Flugverbotszone begannen auch dort Bombardements.
Es gab eine ganze Reihe gelenkter »bunter« Revolutionen. Verständlich war, daß die Menschen jener Länder, wo sich diese Ereignisse zutrugen, von Tyrannei genug hatten, vom Elend, vom Mangel an Perspektiven, aber diese Gefühle wurden zynisch ausgenutzt. Diesen Ländern wurden Standards auferlegt, die in keiner Weise ihrem Leben entsprachen, nicht ihren Traditionen, nicht der Kultur dieser Völker. Das Resultat waren nicht Demokratie und Freiheit, sondern Chaos, Ausbreitung von Gewalt, eine Reihe von Umstürzen. Der »Arabische Frühling« wurde zum »Arabischen Winter«.
Ein ähnliches Szenario wurde in der Ukraine verwirklicht. (…) Dort wurde jetzt eine trainierte, gut ausgestatte Armee von Kämpfern hineingeworfen.
Und das zu einer Zeit, da Rußland sich angestrengt um einen Dialog mit unseren westlichen Partnern bemüht. Wir schlagen beständig eine Zusammenarbeit in entscheidenden Frage vor, wir wollen das Vertrauen stärken, wir möchten, daß unsere Beziehungen vielfältig, offen und ehrlich sind. Aber wir sahen keine Schritte auf uns zu. Im Gegenteil, sie betrogen uns ein ums andere Mal, sie trafen Entscheidungen hinter unserem Rücken, stellten uns vor vollendete Tatsachen. So verhielt es sich mit der Ausdehnung der NATO nach Osten, mit der Installierung einer militärischen Infrastruktur an unseren Grenzen. Sie bekräftigten uns gegenüber gleichzeitig: »Das berührt euch nicht.« Das ist leicht gesagt, nicht berühren.
Ebenso verhielt es sich mit dem Raketenabwehrsystem. Ungeachtet all unserer Warnungen arbeitet die Maschine, bewegt sich. Ebenso war es mit der endlosen Verzögerung der Verhandlungen zu Visafragen, mit der Verwirklichung einer ehrlichen Konkurrenz und dem freien Zugang zu den globalen Märkten.
Heute drohen sie uns mit Sanktionen, aber wir leben bereits jetzt mit zahlreichen Beschränkungen. So verboten z. B. die USA und später auch andere Staaten bereits während des »Kalten Krieges« in großem Umfang der UdSSR bestimmte Technologien und Ausrüstungen zu verkaufen. Sie standen auf der sogenannten Comecon-Liste. Heute haben sie das formal geändert, aber nur formal, in Wirklichkeit sind viele Verbote aus der Vergangenheit in Kraft. (…)
Man versucht ständig, uns in eine Ecke zu drängen, weil wir eine unabhängige Position haben. Aber alles hat seine Grenzen. Und im Fall der Ukraine haben unsere westlichen Partner sich mit dem Teufel eingelassen, führen sich grob, verantwortungslos und unprofessionell auf. (…)
Quelle: www.jungewelt.de vom 19.03.14
Wer in diesem Land noch nicht volljährig ist, darf so manches nicht. Autofahren zum Beispiel, oder hochprozentigen Alkohol trinken. Auch im Spielkasino zocken und sich im Sonnenstudio braun brutzeln lassen, ist nicht erlaubt. Manche, wenn auch nicht alle dieser Verbote sind durchaus vernünftig. Eine besondere Form des Jugendschutzes hat sich nun aber Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) ausgedacht. Sie will Unter-18jährige vom geplanten Mindestlohn in Höhe von 8,50 Euro pro Stunde ausnehmen. »Wir müssen verhindern, daß junge Menschen lieber einen besser bezahlten Aushilfsjob annehmen, statt eine Ausbildung anzufangen«, ließ die einst als »Parteilinke« gehandelte Nahles in der Springerpresse verlauten. Reiner Hoffmann vom DGB-Vorstand nannte das »ein eigentümliches Verständnis von Generationengerechtigkeit«.
Wenn Nahles die Superausbeutung junger Beschäftigter mit der besonderen Schutzwürdigkeit der Jugend begründet, ist das in der Tat frappierend. Und es ist eine Ablenkung von den wirklichen Ursachen dafür, daß sich viele junge Menschen von einem Aushilfsjob zum nächsten hangeln. Ein Grund sind fehlende Lehrstellen. Ein anderer ist die geringe Vergütung, mit der Auszubildende abgespeist werden. Von dieser kann man nur in wenigen Fällen leben. In manchen Ausbildungsgängen – zum Beispiel in diversen Heilberufen – gibt es überhaupt keine Vergütung. Zum Teil muß dort sogar Schulgeld gezahlt werden. Von unbezahlten Praktika und Warteschleifen – wo Jugendliche oftmals als billige Arbeitskräfte ausgenutzt werden – ganz zu schweigen.
Nahles könnte die Einziehung von Schulgeld verbieten, eine Ausbildungsplatzabgabe für nichtausbildende Unternehmen und gesetzliche Mindeststandards bei der Ausbildungsvergütung festschreiben. Könnte – wenn ihr die Zukunft junger Menschen tatsächlich am Herzen läge.
Zwei Meldungen ließen am Wochenende die Athener aufhorchen. Im sogenannten Frühstücksfernsehen erfuhren sie am Samstag morgen, daß die Gefangenen in der Krankenstation des »Korydallos«, der größten Vollzugsanstalt Griechenlands, einen langen Hungerstreik endlich abgebrochen hatten. Die linksgerichetete Zeitung Avgi (Der Morgen) berichtete am selben Tag über die Festnahme eines betrügerischen Unternehmers im Stadtteil Glyfada, dem es gelungen war, den Krankenhäusern der Hauptstadt Medikamente und Ausrüstung zu Wucherpreisen anzudrehen. Zwei Ereignisse, die angesichts der Not im Land von hohem Symbolwert sind.
Das »Korydallos« ist ein Gefängnis, das die Militärdiktatur zu Beginn der siebziger Jahre bauen ließ, weil die Zellen der alten Haftanstalt »Averoff« die Menge verurteilter politischer Gegner nicht mehr faßte. Nach dem Fall des Regimes saßen in dem Neubau dann die verurteilten Diktatoren selbst. Nicht nur die nach wie vor grausigen Haftbedingungen der Anstalt standen bis in die Gegenwart hinein immer wieder im Mittelpunkt internationaler Kritik – in dem für 650 Personen konzipierten Bau vegetierten bisweilen mehr als 2000 Häftlinge. Aufmerksamkeit erregte vor allem die Krankenabteilung des Gefängnisses, in der den Griechen vor einigen Tagen der völlige Zusammenbruch des staatlichen Gesundheitssystems in drastischen Bildern sichtbar gemacht wurde. Einem Gefangenen war es gelungen, heimlich in der Station gemachte Videoaufnahmen und Fotografien an die Presse weiterzureichen, um auch dem in ungläubigem Staunen verharrenden europäischen Publikum zu zeigen, »wie wir hier im Dreck verrecken«.
Die Troika, die seit nunmehr vier Jahren an Volkes und Regierung Statt die griechische Politik bestimmt, hat nicht nur im Knast von »Korydallos« ganze Arbeit geleistet. Ein jüngst von Forschern der Universitäten London, Cambridge und Oxford in der medizinischen Fachzeitschrift Lancet veröffentlichte Studie beweist, daß die von der deutschen Kanzlerin Angela Merkel angeführte EU-Kommission, dem Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Europäischen Zentralbank (EZB) durchgesetzte Austeritätspolitik zu verheerenden Folgen für die Gesundheit der Bevölkerung insgesamt geführt hat (siehe Artikel unten).
Seit der griechische »Gesundheitsminister« Adonis Georgiadis im Februar auf Anweisung der Troika rund 350 Polikliniken schließen ließ – Stationen zur weitgehend kostenfreien ambulanten Behandlung –, ist die primäre ärztliche Grundversorgung des Landes faktisch zusammengebrochen. Von einem Tag auf den anderen ließ Georgiadis, übrigens der vierte Chef des Ressorts innerhalb nur eines Jahres, mehr als 8000 Ärzte und Pfleger entlassen, die ihre Arbeitsplätze zunächst besetzt hielten und ohne Lohn weiterarbeiteten. Ein in der Tat unbezahlbarer Dienst an einer Gesellschaft, in der – nach offiziellen Angaben – rund 30 Prozent (inoffizielle Schätzungen gehen von bis zu 50 Prozent aus) der Menschen ohne Krankenversicherung leben müssen. Diktat der Troika: Wer nach zwei Jahren ohne Anstellung keine Arbeit gefunden hat, verliert alle Sozialleistungen, also auch die medizinische Versorgung auf Rezept.
Eine Delegation deutscher Ärzte, die zu Beginn des Monats nach Griechenland gereist war, bestätigte die Lancet-Studie in der Ärztezeitung vom 5. März. »Die Situation der breiten Bevölkerung ist durch massive Verarmung gekennzeichnet«, klagte der Facharzt für Innere Medizin und Gastroenterologie, Bernhard Winter. »Beschäftigte und Renter haben die Hälfte ihres Einkommens verloren. Mehr als ein Drittel der Griechen existiert am Rand oder unterhalb der Armutsgrenze. Allein in Athen leben rund 30000 Menschen auf der Straße.« Als Folge der sogenannten Sparpolitik, zitiert die Zeitung die Ärztin Nadja Rakowitz, seien gegenwärtig rund drei Millionen Griechen ohne Versicherungsschutz.
Hilfe finden versicherungslose Kranke nur noch in »Solidarischen Kliniken«, in denen Mediziner und Pfleger ehrenamtlich arbeiten. Eines der größten dieser Behandlungszentren ist die »Solidarische Klinik Ellinikon«, die auf dem ehemaligen US-Militärgelände am Rande des alten Athener Flughafens eingerichtet wurde. Die im Herbst 2011 gegründete Station registriert inzwischen bis zu 20000 Patientenkontakte pro Jahr, das »Personal« rekrutriert sich nach Angaben der Ärztezeitung aus 250 medizinisch ausgebildeten ehrenamtlichen Helfern, unter ihnen 160 Ärzte, Therapeuten und Pharmazeuten.
Vornehmste Aufgabe der Troika ist es bekanntlich, das finanzkapitalistische System in Europa und anderswo zusammenzuhalten und einen der Pfeiler dieser Ordnung, die gemeinsame Währung Euro, zu retten. Wie die Kräfte dieses Systems schon im kleinen wirken, zeigte nun der Fall, von dem die Zeitung Avgi am Wochenende berichtete: Der 55 Jahre alte Händler aus Glyfada hatte den Krankenhäusern unter anderem dringend benötigte blutstillende Mittel zum Preis von 500 Euro pro Packung verkauft. Wie sich herausstellte, hatte er sie in Tschechien für 3,50 Euro pro Einheit aus Restbeständen erworben. In seiner Garage fanden die Ermittlungsbeamten einen Ferrari. Geschätzter Wert: 200000 Euro.
Seit 60 Jahren Gewinne, Jahr für Jahr im Milliardenbereich aus umweltschädlicher Energieerzeugung, aus der Leistung tausender Mitarbeiter, aus bequemen Verträgen mit unzähligen Kommunen und Stadtwerken – und jetzt das: „Milliardenverluste bei RWE“,„RWE ruft nach staatlicher Hilfe“. Geht Essens größter Konzern in die Knie wegen des steigenden Anteils von erneuerbaren Energien in Deutschland? Deshalb würde der Gewinn sinken, heißt es, weil dadurch die konventionellen Kohlekraftwerke nicht ausgelastet seien. „Essen steht AUF“ ist dem nachgegangen.
Der RWE-Verlust für das Jahr 2013 von 2,76 Milliarden Euro kommt vor allem durch „Wertberichtigungen“ zustande, durch mehrfache Abschreibungen zur Steuerersparnis, weil ein Teil seiner Kraftwerke nicht mehr profitabel genug ist. Ohne diese Berichtigungen verringerte sich das sog. „nachhaltige Nettoergebnis“ 2012 nur minimal von 2,46 Milliarden Euro auf 2,31 Milliarden. Das „Wall Street Journal“ (4.3.14) zitiert einen Händler:„Die Zahlen von RWE haben das Potenzial, die Börse sogar positiv zu überraschen“(www.wsj.de) Doch RWE nutzt diesen „Verlust“ zu einem Feldzug gegen erneuerbare Energien und zur Rechtfertigung massiver Arbeitsplatzvernichtung.
Für AUF-Ratsherrn Dietrich Keil war zu erwarten, dass RWE jetzt die Forderung erhebt nach staatlicher Unterstützung und höheren Preisen für die Stromkunden. „Gewinne immer für uns, Verluste tragen bitte andere, das ist die Logik von RWE-Chef Terium. Er meint, RWE müsste schließlich Kraftwerkskapazitäten vorhalten, wenn Sonne und Wind nicht genug Energie lieferten. Das ist absurd. Sonne und Wind liefern Energie ohne Ende, aber RWE kann daraus nicht genug Gewinn machen. Das Umweltbewusstsein und der Widerstand der Menschen haben einen Schub in den erneuerbaren Energien bewirkt. Das steht in grundsätzlichem Widerspruch zur Logik von RWE, an seiner in jeder Hinsicht fossilen Energiegewinnung festzuhalten.“
Für die Stadt Essen hat das Folgen. Die Dividende für die städtischen RWE-Aktien ist um 75 Prozent gesunken, ein Verlust der Stadt von knapp 60 Millionen in wenigen Jahren. Und wenn Essens Kämmerer die Korrektur ihres Buchwerts auf ihren um 62 Prozent gesunkenen Börsenwert vornimmt, zittert sich die Stadt schlagartig an die Überschuldungsgrenze heran.
RWE ist seit ewig Stromversorger und Netzbetreiber in Essen. Gerade wurde die Netzkonzession wieder verlängert um 20 Jahre, ein Geschäft mit zehn Prozent sicherer Rendite. „Wir hätten das lieber in Händen der Stadt gesehen als bei einem Fossil der Energiegewinnung“, so Keil. „Aber da war alles ausgerichtet darauf, dem Platzhirsch beste Chancen einzuräumen. Doch ganz so wie er will kann er nicht mehr: RWE will der Stadt vielleicht eine bestimmte Beteiligung an dem Netzgeschäft ermöglichen, aber nur als Option. Ob die Stadt ihre Starre überwindet und das wahrnimmt – man darf gespannt sein“.
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Überraschend deutlich hat das Verwaltungsgericht Koblenz der Klage des Heidelberger Atomwaffengegners und Mitglied der Deutschen Friedensgesellschaft – Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen (DFG-VK) Hermann Theisen stattgegeben. Gegenstand der Klage war ein Flugblatt, mit dem Theisen im vergangenen Frühjahr zu den im Sommer 2013 geplanten Sitzblockaden vor dem Atomwaffenlager Büchel mobilisiert hatte. Die Staatsanwaltschaft Koblenz ließ die Aufrufe beschlagnahmen und erwirkte einen Strafbefehl, da der Blockadeaufruf strafbar sei. Nachdem sich auch die Stadtverwaltung Koblenz dieser Auffassung anschloss und eine Verteilung der Flugblätter verbot, klagte Theisen vor dem Verwaltungsgericht Koblenz gegen dieses Verbot.
In seiner Urteilsbegründung erklärt das Verwaltungsgericht Koblenz, dass „die Untersagung des Verteilens der Flugblätter auf der angemeldeten Kundgebung als ein tiefgreifender Grundrechtseingriff einzustufen“ sei. Gewaltfreie Aktionen gegen die Stationierung von Atomwaffen unterlägen, „auch wenn die Blockade einer öffentlichen Einrichtung geplant war, grundsätzlich dem Schutzbereich des Art. 8 Abs. 1 GG, da sie als eine örtliche Zusammenkunft mehrerer Personen zur gemeinsamen, öffentlichen Meinungskundgabe in plakativer oder aufsehenerregender Weise einzustufen“ seien. Die Kammer teile somit „nicht die Einschätzung der Beklagten (Stadt Koblenz), die Verteilung dieses Flugblatts hätte zu einer strafbaren öffentlichen Aufforderung zu einer Nötigung im Sinne der §§ 111,240 StGB geführt.“ Auf diesem Hintergrund könnten „derartige Blockaden, selbst wenn sie auf die Behinderung anderer Personen abzielen, je nach den Umständen des Einzelfalls vom Grundrecht der Versammlungsfreiheit gedeckt sein.“
Damit ist das Verwaltungsgericht Koblenz in weiten Teilen der Auffassung von Rechtsanwalt Martin Heiming gefolgt, der für Theisen die Klage geführt hat. Heiming wird ihn auch am 30.04.2014 vor dem Amtsgericht Koblenz verteidigen. Dort wird es um das gleiche Flugblatt gehen: Theisen hatte es in Koblenz verteilt, die Staatsanwaltschaft Koblenz hatte es beschlagnahmen lassen und das Amtsgericht Koblenz hatte die Beschlagnahme für rechtens erklärt und einen Strafbefehl (30 Tagessätze a´ 20 Euro) erlassen.
Martin Heiming erklärt zu der Entscheidung des Verwaltungsgerichts Koblenz: „Das ist ein eindeutiger Sieg für den Kläger, aber vor allem ein klarer Sieg für das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit. Das Gericht hält das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit hoch, das auch `Vollblockaden´ gestattet, die je nach Ausgestaltung nicht immer gleich eine verwerfliche – und damit strafbare – Nötigung darstellen müssen. Wird mit einem Flugblatt für eine solche Aktion geworben, kann das nicht per se als Aufruf zu einer Straftat gewertet werden.“
Theisen fühlt sich durch das Urteil des Verwaltungsgerichts Koblenz bestätigt: „Viele Menschen und Initiativen in Deutschland wünschen sich, dass die in Büchel gelagerten Atombomben endlich verschrottet werden, um damit einen kleinen Schritt in Richtung einer atomwaffenfreien Welt zu gehen.“ Zu der für April geplanten Gerichtsverhandlung vor dem Amtsgericht Koblenz erklärt er: „Die Staatsanwaltschaft Koblenz wäre nun gut beraten, ihre Klage einfach zurückzunehmen, auch wenn sie sich und der Öffentlichkeit damit eingestehen müsste, dass die Beschlagnahme der Aufrufe schlicht und ergreifend rechtswidrig gewesen ist.“
Roland Blach (Bundessprecher der DFG-VK, Koordinator der Kampagne „atomwaffenfrei.jetzt“) erklärt hierzu: „Diese Entscheidung ermutigt, dass wir uns mit Nachdruck weiter für ein Verbot von Atomwaffen einsetzen. Denn der aktuelle Krim-Konflikt birgt die Gefahr, dass Abrüstung und Rüstungskontrolle zum Stillstand kommen. Die von allen Atomwaffenstaaten forcierte Modernisierung ihrer Atomwaffenarsenale muss umgehend eingestellt werden. Dies betrifft auch die für Büchel geplanten neuen US-Atomwaffen“.
Informationen zur Kampagne:
www.atomwaffenfrei.de
Arme sterben früher. Und Menschen ohne ausreichend Geld in der Tasche haben darüber hinaus häufiger und länger unter schweren Krankheiten zu leiden als andere. Das sind Binsenweisheiten. Doch aktuelle Ergebnisse einer Studie des Robert Koch-Instituts (RIK) in Verbindung mit Daten des sozioökonomischen Panels des Deutschen Institus für Wirtschaftsforschung (DIW) belegen nun erneut den Zusammenhang zwischen finanzieller Ausstattung und Gesundheit. Konkret: Die mittlere Lebenserwartung ist in der Bevölkerungsgruppe mit dem niedrigsten Einkommen bei Männern um fast elf Jahre, bei Frauen um mehr als acht Jahre verringert gegenüber der am besten gestellten Gruppe. Das Risiko einer schweren Krankheit, wie etwa eines Herzinfarkts oder einer psychischen Beeinträchtigung, ist für sie doppelt bis dreimal so hoch.
Diese alarmierenden Zahlen wurden am Mittwoch anläßlich der Eröffnung des Kongresses »Armut und Gesundheit«, der am Donnerstag und Freitag in der Technischen Universität Berlin stattfindet, präsentiert. »Bisher gab es den eindeutigen Trend in Großbritannien und Frankreich, die Datenlage in Deutschland war nicht so gut«, erklärte der RKI-Wissenschaftler Thomas Lampert. Der Vorsitzende des Paritätischen Gesamtverbandes, Rolf Rosenbrock, rechnet damit, daß sich die Lage noch verschlimmern wird. Grund: Die Einkommensschere geht in Deutschland kontinuierlich weiter auseinander. »Die Krankheits- und Sterbedaten folgen mit einer gewissen Verzögerung, einer Inkubationszeit vergleichbar, dieser Entwicklung«, so Rosenbrock.
Die Ursachen für die mit der Armut zusammenhängenden gesundheitlichen Risiken seien »multidimensional«, wie Lampert sagte. Sie hingen zusammen mit Arbeitsbedingungen, der Entwicklung der prekären Beschäftigungsverhältnisse, der Lebenswirklichkeit unterhalb der Grenzen zur Armut, den Wohnverhältnissen. Selbst arme Kinder haben schon einen schlechteren Gesundheitszustand als reichere Gleichaltrige, litten etwa verstärkt unter Adipositas, trieben weniger Sport. »Es ist wichtig, so früh wie möglich Maßnahmen zu ergreifen«, so Lampert.
»Voraussetzung für politisches Handeln ist politisches Wahrnehmen«, erklärte Rosenbrock. Alle Hoffnungen der zum Kongreßauftakt referierenden Wissenschaftler und Politiker ruhen nun auf der Ankündigung der großen Koalition, endlich ein Bundesgesetz zur nichtmedizinischen Prävention und Gesundheitsförderung zu verabschieden. Dafür sollen, laut Rosenbrock, mehr als drei Viertel der geplanten Ressourcen für Interventionen in Lebenswelten aufgewandt werden. Das Umfeld in Kita, Schule, Betrieb oder Seniorenheim zu verändern und zur Partizipation zu ermutigen, halten viele für ein wichtiges Mittel, um gegenzusteuern. Das »Interagieren im Sozialraum« nannte Rosenbrock als Beispiel. Kurse für Erwerbslose seien nur begrenzt wirksam, es müßten hingegen Anreiz- und Beteiligungsstrukturen geschaffen werden.
Dabei ist man sich der Unzulänglichkeiten der Möglichkeiten bewußt. »Prävention kann die Ungleichheit nicht abschaffen, nur einen geringen Teil kompensieren«, so Rosenbrock gegenüber jW. Zum vierten Mal wird nun bereits für ein solches Gesetz Anlauf genommen. Immer wieder habe es bisher »wichtigere« gesundheitspolitische Themen gegeben. »Der Entwurf aus der letzten Legislaturperiode war unzureichend«, sagte Cornelia Prüfer-Storcks (SPD), Hamburger Gesundheitssenatorin, am Mittwoch.
Etwa 2000 Teilnehmer werden in insgesamt 90 Veranstaltungen während des Kongresses »Armut und Gesundheit« über nachhaltige Gesundheitspolitik diskutieren. Ein Anstoß.
„Die Bundesregierung muss den Verhandlungen über Freihandelsabkommen mit den USA und Kanada sofort die Unterstützung entziehen“, erklärt Sahra Wagenknecht anlässlich der laufenden vierten Verhandlungsrunde der EU-Kommission über die Transatlantic Trade and Investment Partnership (TTIP) und der dagegen gerichteten Proteste in Brüssel und Berlin. Die Erste stellvertretende Vorsitzende der Fraktion DIE LINKE weiter:
„Über 600 Wirtschaftslobbyisten haben exklusiven Zugang zu geheimen Dokumenten der TTIP, während die Öffentlichkeit nichts erfährt. Sicher ist: Die Freihandelsabkommen sind ein Angriff auf Demokratie, Arbeitnehmerrechte, Verbraucherschutz und die Binnenwirtschaft. TTIP wird Gentechnik im Essen, Hormonfleisch, mit Chlor desinfizierte Hähnchen sowie Fracking, also die Förderung von Gas und Öl mit giftigen Chemikalien, ermöglichen. Auch gegen europäische Arbeits- und Gewerkschaftsrechte könnten US-Konzerne als ‚Handelshemmnisse‘ klagen. Gleichzeitig wollen europäische Banken und Pharmakonzerne Regeln bei Medikamenten und Finanzmarktregulierung in den USA kippen, die strenger sind als in Europa.
Auch die Investor-Staat-Klage ist nicht vom Tisch. Sollte die EU-Kommission auf die Investor-Staat-Klage bei TTIP verzichten, könnten US-Konzerne weiterhin über Zweigniederlassungen die entsprechenden Instrumente des CETA-Abkommens mit Kanada nutzen. Vattenfall verklagt die Bundesrepublik bereits auf über drei Milliarden Euro Schadenersatz wegen des Atomausstiegs. Investor-Staat-Klagen sind auch eine ernstzunehmende Gefahr für die Lösung der Euro-Krise. In Griechenland etwa kaufte die slowakische Postová Bank griechische Schulden auf, nachdem diese bereits als Schrott galten, und verklagte Griechenland dann anlässlich der Umschuldung.
DIE LINKE fordert daher den sofortigen Stopp der Verhandlungen über TTIP und CETA und die Streichung der Investitionsschiedsgerichtsbarkeit aus allen EU-Handelsabkommen nach dem Vorbild Ecuadors und Australiens.“