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Freibrief für Ausbeutung. Arbeiten für 1,60 Euro pro Stunde? Kein Problem: Arbeitsgericht Cottbus erlaubte sittenwidrige Löhne, weil Beschäftigte eingewilligt haben. Von Susan Bonath

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Ein Rechtsanwalt im südbrandenburgischen Großräschen hatte zwei Angestellte neun beziehungsweise zwölf Monate lang mit Stundenlöhnen von 1,65 und 1,54 Euro abgespeist. Gerade 100 Euro monatlich erhielten die Betroffenen für rund 15 Stunden Wochenarbeitszeit, der Rest kam vom Amt. Das ist der Freibetrag, den Hartz-IV-Bezieher ungekürzt zum Regelsatz dazu verdienen können. Das Arbeitsgericht Cottbus sah darin kein Problem und wies die Klage des Jobcenters Oberspreewald-Lausitz auf Rückzahlung von Sozialleistungen zurück (Meldung in jW vom Donnerstag). Die Behörde kündigte gegenüber der Nachrichtenagentur dpa an, in Berufung zu gehen.

Zwar war das Gericht, wie es in einer Mitteilung informiert, ebenso wie das Jobcenter der Auffassung, daß derart niedrige Löhne auch in der strukturschwachen Lausitz »ein Mißverhältnis zur erbrachten Arbeitsleistung« darstellten. Ausbeuterisch gehandelt habe der Anwalt dennoch nicht. So hätten die Betroffenen schließlich auf eigenen Wunsch zu diesen Konditionen angefangen, und zwar »um wieder Fuß auf dem Arbeitsmarkt zu fassen«. Deshalb »konnte die Kammer wegen der besonderen Umstände des Einzelfalls keine verwerfliche Absicht zum Ausnutzen einer Zwangslage der Mitarbeiter erkennen«. Auch habe der Anwalt keinerlei wirtschaftlichen Vorteil durch die Beschäftigung erzielt, meinte der Richter zudem laut dpa. Es sei vielmehr »eher eine Gefälligkeit«, eine »gut gemeinte Leistung« gewesen.

Nun ist es kein Geheimnis, daß die Behörden Hartz-IV-Bezieher, wenn überhaupt, vorzugsweise mit Billigjobs, etwa bei Leiharbeitsfirmen, versorgen. Die Gründe des Gerichts für das Abweisen der Klage in diesem Extremfall brachte aber selbst die Geschäftsführerin des Jobcenters, Brigitta Kose, in Rage. »Das hat uns völlig unerwartet getroffen, es ist in keiner Weise nachvollziehbar«, kommentierte sie das Urteil. Damit habe der Richter einen »völlig neuen Rechtsgedanken, nämlich den der nicht vorhandenen verwerflichen Gesinnung« eingeführt. »Wenn das bestätigt wird, befürchten wir einen ordnungspolitischen Dammbruch«, so Kose. Auch der Anwalt des Jobcenters, Stefan Pleße, gab gegenüber dem Rundfunksender RBB zu Bedenken: »Mit dieser Entscheidung wurde Rechtsgeschichte geschrieben.« Er wolle nun auf die schriftliche Begründung warten und prüfen, ob diese Bestand haben könne, sagte er.

Christian Hoßbach vom Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) Berlin-Brandenburg findet das Urteil »unverständlich«. Es könne Unternehmer dazu anregen, diese Art Lohndumping als Geschäftsmodell zu betreiben. Es sei fraglich, wie freiwillig die Betroffenen in einer Region mit hoher Erwerbslosigkeit diese Stelle tatsächlich angenommen haben. »Andererseits kann Freiwilligkeit nicht funktionieren, wenn sie die Interessen der Gemeinschaft untergräbt«, sagte Hoßbach zu jW. Diese seien hier berührt, da der Steuerzahler die Löhne habe mitfinanzieren müssen. Ferner, so der Gewerkschafter, »gibt es Gesetze, und die sind zu beachten«. Der DGB hatte Anfang April in seinem neuen Positionspapier »Für eine sozialstaatliche Arbeitsmarktpolitik« die Höhe der Hartz-IV-Sätze scharf kritisiert und gefordert, sie neu zu berechnen. Die Bundesregierung habe sie »offensichtlich nicht verfassungsmäßig kalkuliert«. Ein vom DGB unterstütztes Musterverfahren liegt derzeit dem Bundesverfassungsgericht zur Entscheidung vor.

»Mit diesem Urteil treibt die Judikative sittenwidriges Lohndumping voran«, konstatierte auch die Hartz-IV-Kritikerin und frühere Jobcentermitarbeiterin Inge Hannemann gegenüber dieser Zeitung. Ganz klar stehe ein Erwerbsloser unter Druck, etwas zu seinem niedrigen Hartz-IV-Regelsatz hinzuzuverdienen, so Hannemann. Die Entscheidung sei ein Freibrief für Ausbeutung. »Da kann ja nun jeder Arbeitgeber mit dem Argument punkten, die Stelle zusätzlich geschaffen zu haben, weil er einfach nett sein wollte«, sagte sie. Daran werde vermutlich auch der Mindestlohn von 8,50 Euro, der ab 2015 gelten soll, kaum etwas ändern. So einigte sich die CDU-SPD-Koalition vergangene Woche darauf, daß Langzeitarbeitlose für ein halbes Jahr von der Regelung ausgenommen werden sollen.

Inge Hannemann lobte aber, daß das Jobcenter überhaupt geklagt hat und jetzt Berufung einlegen will. Das müsse viel häufiger passieren, so die 45jährige. Sie ist überzeugt, daß viele Unternehmer auf eine Hartz-IV-Aufstockung spekulierten. Auch ihr sei so etwas untergekommen. Sachbearbeiter müßten regelmäßig den Stundenlohn auf vorgelegten Arbeitsverträgen prüfen. »Leider passiert das viel zu selten«, weiß Hannemann. Die Jobcenter und Arbeitsagenturen in Berlin und Brandenburg wollen das ändern. Sie gründeten im vorigen Jahr eine Arbeitsgruppe, um »konzentriert gegen Lohndumping vorzugehen«. So landeten 2013 in Brandenburg mehrere Fälle vor Gericht. Dabei ging es um Stundenlöhne zwischen 1,59 und 2,84 Euro.

Quelle: www.jungewelt.de vom 11.04.14
Dieser Beitrag wurde am Freitag, 11. April 2014 um 10:35 Uhr veröffentlicht und wurde unter der Kategorie Blog abgelegt. Du kannst die Kommentare zu diesen Eintrag durch den RSS-Feed verfolgen.

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