Willkommen in Deutschland: Wohl jede Partei hat Verluste an Wahlkampfmaterial zu beklagen, die SPD und – vor allem – Die Linke haben Erfahrungen mit gewaltbereiten Neonazis gemacht, die vor Parteibüros und Infoständen nicht Halt machen. DGB-Maikundgebungen werden von Hunderten Faschisten attackiert, wie 2009 in Dortmund. Erst Anfang dieses Monats griffen mutmaßliche Neonazis das Bürgerbüro des SPD-Politikers Patrick Dahlemann in Torgelow an. Bernd Lucke jedoch ist »sehr bestürzt«, auch über »unflätige Bemerkungen« von Politikern anderer Parteien gegenüber ihm und seiner AfD. So sehr, daß er neuerdings abends selbst ausrückt, um die Plakate seiner Partei einzusammeln und über Nacht in der Garage einzulagern. Morgens radelt Familie Lucke durch die Nachbarschaft und hängt sie wieder auf, ließ er den aktuellen Spiegel wissen.
Doch die AfD wollte am Mittwoch nicht nur über den Stand der Sachbeschädigungen, sondern auch über die vorgebliche Harmlosigkeit des neuen Parteiprojektes informieren. Ebenso flüssig wie die Anzahl übermalter Plakate kann der Ökonom Lucke Zahlen zum Verschuldungsstand der Griechen, den Kosten der »Euro-Rettungsschirme« ESM und EFSF herunterrattern. Die Stimme des Professors wird heller, die Sprechweise schneller, wenn er in seinem Metier ist: Mit 5,5 Prozent sollten Kredite an Griechenland verzinst werden statt mit 1,5 Prozent. Die Niedrigverzinsung sei »gegen die Interessen der deutschen Bürger«, befand Lucke, »insbesondere in ihrer Funktion als Steuerzahler«. Nachprüfbar ist das auf die Schnelle natürlich nicht, auch nicht für den gemeinen Staatsangehörigen in Erscheinungsform des Steuerpflichtigen. Aber Eindruck machen sie, die Zahlenkolonnen aus universitär berufenem Munde. Genau das sollen sie vermutlich auch.
Der »gesunde Menschenverstand«, auf den sich die AfD beruft, soll seinen konzentrierten Ausdruck in den »politischen Richtlinien« der Partei finden. Das Papier sei in einem »einmaligen Prozeß in der deutschen Parteiengeschichte« beschlossen worden, so ein Vorstandssprecher der Partei. Soziale Marktwirtschaft, Asylrecht, Gewaltenteilung, Westbindung inklusive Bekenntnis zur NATO und zu »christlich-abendländische Wertegrundlagen«, es ist alles vertreten, was sich so oder ähnlich auch bei anderen Parteien findet. Und natürlich die Ablehnung des Euro in seiner derzeitigen Verfaßtheit, das Tafelsilber der AfD. Nichts zur angeblichen »Homo-Umerziehung« an baden-württembergischen Schulen, gegen die die Partei dort mobil macht, nichts über »schleichende Islamisierung« oder »SA-Antifaterror«. Das übernehmen die Basis und die »Junge Alternative«, die inoffizielle Jugendorganisation der AfD. Von der grenzt sich Lucke am Mittwoch jedoch schleunigst ab.
Bei der AfD läuft es arbeitsteilig: Die akademisch geschulte Spitze der Partei distanziert sich, wo immer es geht, von allen möglichen »radikalen« und »extremistischen« Umtrieben. Der ehemalige BDI-Präsident Hans-Olaf Henkel, der Wirtschaftsprofessor Lucke, der einstige CDU-Mann Alexander Gauland und der Publizist Konrad Adam, die bekanntesten Gesichter der neuen Partei, wissen, wo die Grenzen des politisch Anstößigen liegen. An der Basis hingegen versammelt sich ein buntscheckiger Haufen aus bürgerlichen Wüterichen und Politdesperados, darunter immer wieder auch bekannte Neonazis. Bei einem Auftritt Luckes im Bremer Konsul-Hackfeld-Haus am 30. April hatten Sicherheitsleute die bekannte Journalistin Andrea Röpke hinausgeschmissen, ein freier Fotograf wurde gewaltsam aus dem Veranstaltungsraum gedrängt, berichtete die taz. Auf Facebook tummelt sich eine Gruppe namens »AfDler machen mobil – AntiAntifa«. Parteioffiziell ist das selbstverständlich nicht, ebensowenig wie das publizistische Netzwerk der EU-Parlamentskandidatin Beatrix von Storch. Das von ihrem Mann verantwortete Internetportal »Die Freie Welt« raunt von »Angriffen aus dem linksextremistischen Milieu« und hat sich den Kampf gegen angebliche »Gender-Mainstreaming«-Umerziehungspläne irgendeiner »Lobby« der Homosexuellen auf die Fahnen geschrieben.
Am gestrigen Mittwoch abend, nur Stunden nach Luckes Pressekonferenz, sollte der Rechtspublizist Jürgen Elsässer vor der Parteibasis in Berlin-Pankow auftreten. Es ist nicht das erste Stelldichein des Blattmachers bei der Partei. Elsässer habe »die Alternative für Deutschland mit ›erfunden‹«, hieß es in einer Einladung des Berliner Bezirksverbandes Steglitz-Zehlendorf von Ende April. Sein ewiges Thema: »Wie wird Deutschland wieder souverän?« Auch davon wird sich Lucke zu gegebener Zeit sicherlich noch abgrenzen. Doch die rechte Stimmung in der Mitgliedschaft könnte den Parteieliten irgendwann gehörig zu schaffen machen. Vom »Menschenverstand«, wie ihn die Technokraten an der Parteispitze propagieren, bis zum »gesunden Volksempfinden« der Stammtische und Schießvereine ist es kein weiter Weg.
« »Die Richter sind blind und taub gegenüber der Gefahr«. Die Partei »Die Rechte« provoziert in Dortmund weiter, sie nimmt sich immer öfter Politiker vor. Ein Gespräch mit Ulla Richter. Interview: Markus Bernhardt – Vorgehen gegen friedliche Bevölkerung. Die Gesellschaft zum Schutz von Bürgerrecht und Menschenwürde e. V. (GBM) nahm am Dienstag zur Ukraine-Krise Stellung: »
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