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Alles Käse. Konzerne fordern mehr Ausnahmen beim Mindestlohn. Gewerkschafter und Wissenschaftler halten dagegen – mit guten Argumenten. Von Daniel Behruzi

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Die Forderungen von Lobbyisten und Unionspolitikern zur Durchlöcherung des geplanten Mindestlohns reißen nicht ab. Allein in der vergangenen Woche verlangte CDU-Fraktionsvize Thomas Strobl Ausnahmen für Saisonarbeiter in der Landwirtschaft. Der in gleicher Funktion tätige Michael Fuchs erklärte, die Lohnuntergrenze dürfe nicht »schon« für 18jährige gelten. Und der CSU-Politiker Peter Ramsauer sagte: »Für Rentner, Praktikanten und studentische Hilfskräfte kann der Mindestlohn ebensowenig gelten wie für Zeitungsausträger.« Gewerkschaften und progressive Wissenschaftler halten dagegen.

»Es reicht jetzt mit dem ständigen Rumbohren am Mindestlohn«, erklärte der neue DGB-Chef Reiner Hoffmann genervt in einer Pressemitteilung. »Wir sind hier nicht im Gefälligkeitswettbewerb für geizige Unternehmer, es geht um die Existenzsicherung hart arbeitender Menschen.« Die ständigen Forderungen nach weiteren Ausnahmen müßten ein Ende haben, denn: »Würde kennt keine Ausnahme.« Der Vorsitzende der IG BAU, Robert Feiger, ergänzte: »Der Versuch der Wirtschaftslobby, solche Ausnahmen in das Gesetz zu quatschen, ist ebenso untauglich wie durchschaubar.« Die Unternehmen wüßten genau, daß es hierfür keine sachlichen Gründe gebe. »Doch wissen die Unternehmen, daß jede Ausnahme ein Schlupfloch für sie bietet, den Mindestlohn zu umgehen. Darauf darf sich die Politik nicht einlassen.«

Am Mittwoch gingen die Tarifverhandlungen zum Mindestlohn in der Land- und Forstwirtschaft sowie im Gartenbau in die erste Runde. In Kassel trafen sich die Vertreter der Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt (IG BAU) und des Gesamtverbands der Land- und Forstwirtschaftlichen Arbeitgeberverbände (GLFA) sowie der Arbeitsgemeinschaft der gärtnerischen Unternehmerverbände. Insgesamt arbeiten in diesen Branchen deutschlandweit rund 800000 Beschäftigte. Seit längerem hatte die IG BAU die Verhandlungen angemahnt, um die im neuen Mindestlohngesetz geplante zweijährige Übergangsfrist zu nutzen und die Löhne für Ungelernte an den gesetzlichen Mindestlohn heranzuführen. »Wir freuen uns, daß die Arbeitgeber einem Termin noch vor der abschließenden Lesung des Mindestlohngesetzes im Bundestag zugestimmt haben und endlich auch auf langfristige, tarifautonome Lösungen in den Branchen setzen«, sagte der stellvertretende IG-BAU-Bundesvorsitzende und Verhandlungsführer Harald Schaum.

Eine im Gesetzentwurf bereits enthaltene Diskriminierung betrifft sogenannte Langzeitarbeitslose, für die der Mindestlohn in den ersten sechs Monaten nach Neueinstellung nicht gelten soll. Wenn das so bleibt, könnten die Betroffenen laut einer Studie des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) in der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung mit nur 5,67 Euro pro Stunde abgespeist werden. Denn auf diesem Niveau läge gemessen an einem Mindestlohn von 8,50 Euro die Grenze der Sittenwidrigkeit, auf das nicht-tarifgebundene Unternehmen die Entgelte der Betroffenen absenken könnten. Daß dies möglich sei, bedeute auch eine potentielle Schwächung des Tarifsystems – »ein mehr als problematischer Effekt eines Gesetzes, das explizit die ›Stärkung der Tarifautonomie‹ zum Ziel hat«, so die Verfasser der Untersuchung.

Sie rechnen vor, daß von der Benachteiligung Langzeitarbeitsloser potentiell gut eine Million Menschen betroffen wäre. Von dieser Beschäftigtengruppe finden jedes Jahr nur 16 Prozent eine Anstellung auf dem ersten Arbeitsmarkt – und nur die Hälfte von ihnen hat den Job nach einem Jahr noch. »Diese Instabilität in einer Situation ohne Mindestlohn zeigt, daß die Lohnhöhe nicht die entscheidende Beschäftigungshürde für Langzeitarbeitslose sein kann«, argumentiert Thorsten Schulten, einer der Autoren.

Es gebe keine Hinweise darauf, daß diese Sonderregel – die es laut WSI in keinem anderen EU-Land mit Mindestlohn gibt – die Arbeitsmarktchancen von Langzeitarbeitslosen verbessere. Vielmehr erhielten Unternehmen »starke Anreize, nach einem Zeitraum von sechs Monaten den vormaligen Langzeitarbeitslosen wieder zu entlassen und durch einen neuen, ›günstigeren‹ Langzeitarbeitslosen zu ersetzen«. Nach Auffassung der WSI-Forscher »drohen umfassende Drehtüreffekte, die die Chancen von Langzeitarbeitslosen auf einen dauerhaften Wiedereinstieg weiter verschlechtern und lediglich kurzfristige und instabile Beschäftigungsverhältnisse fördern«.

Quelle: www.jungewelt.de vom 20.06.14
Dieser Beitrag wurde am Donnerstag, 19. Juni 2014 um 18:46 Uhr veröffentlicht und wurde unter der Kategorie Blog abgelegt. Du kannst die Kommentare zu diesen Eintrag durch den RSS-Feed verfolgen.

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