Am gleichen Tage, zur gleichen Stunde versammelten sich in Berlin im Lustgarten, in Rostock am Universitätsplatz, in Schwerin am Alten Garten, in Cottbus vor der Oberkirche, in Magdeburg auf dem Domplatz, in Leipzig auf dem Karl-Marx-Platz, in Dresden auf dem Theaterplatz und an zentraler Stelle in sieben weiteren Bezirksstädten der DDR Menschen, um gegen die sie Regierenden zu protestieren. Es handelte sich nicht um eine der heutzutage gern beschriebenen Demonstrationen vom Herbst 1989, die inzwischen – als Präludium zur deutschen Einheit eingeordnet – ihren Weg in die bundesdeutschen Schulbücher gefunden haben.
Das Datum dieser Kundgebungen war vielmehr der 5. April 1990. Diejenigen, gegen die sich im September und Oktober die Proteste der Demonstrierenden gerichtet hatten, waren längst abgetreten. Nach den Wahlen vom 18. März stand die Bildung einer vom Ost-CDU-Vorsitzenden Lothar de Maizière geführten Koalitionsregierung unter Ausschluss der SED-Nachfolgepartei PDS unmittelbar bevor. Die Proteste sollten sich laut dem Aufruf der Gewerkschafter »gegen die Empfehlung der Bundesbank und führender BRD-Politiker« richten, »die DDR-Mark im Verhältnis zwei zu eins umzutauschen«. Diese Empfehlung, hieß es in dem Aufruf des FDGB, des Dachverbands der Einzelgewerkschaften in der DDR, vom 4. April, »sei nicht nur Wahlbetrug, sondern ein unzumutbares Spiel mit den Erwartungen und Ängsten vieler Menschen.« Dem Aufruf des FDGB schlossen sich innerhalb von 24 Stunden mehr als 20 Organisationen und Parteien an. Die DDR-Bürger erschienen in Massen.
Am Abend des 5. April demonstrierten im Berliner Lustgarten und auf dem Marx-Engels-Platz über 100.000 Menschen gegen die Umtauschpläne, was einer Halbierung der Einkommen und der Vermögen im Falle der von der Bonner Regierung propagierten Währungsunion zwischen beiden Staaten gleichgekommen wäre. Die Tageszeitung Neues Deutschland veröffentlichte ein Foto von einer großen Menschenmenge, die sich um 17 Uhr zwischen Altem Museum, Dom, Palast der Republik, Staatsratsgebäude und Spreeufer versammelt hatte. Die Kundgebungsteilnehmer trugen handgefertigte Plakate. »2:1 ist Wahlbetrug!« war darauf zu lesen. Oder auch »Kohl, wie wär’s mit einer Halbierung Deines Gehalts«. Die Schauspielerin Käthe Reichel vom Berliner Ensemble schilderte den Demonstranten die Konsequenzen der bekanntgewordenen Umtauschpläne: »Wir haben jetzt die einmalige Chance, zum Hinterhof und Armenhaus der BRD zu werden.«
Eine solche Lösung der Währungsunion, das wurde auch von den Demonstranten auf den Plätzen und Straßen in den 14 Bezirksstädten verkündet, komme nicht in Frage. Man wusste sehr wohl, worum es nach dem Ausgang der Wahlen vom 18. März ging: Die Ostdeutschen kämpften gegenüber der westdeutschen Führung um ihre finanzielle Situation beim Start in die sich demnächst erweiternde Bundesrepublik. Auch in den Bezirksstädten war die protestierende Menge dementsprechend groß: Die Teilnehmerzahl wurde in Dresden auf 70.000 und in Leipzig auf 50.000 geschätzt. Weitere 10.000 gingen in Cottbus, Rostock, Halle, Magdeburg und Gera auf die Straße.
Auch in diesen Städten trugen die Demonstranten Transparente mit Forderungen wie »Ein Neubeginn mit Wahlbetrug? Mit uns nicht!« und der Losung »Ohne 1:1 werden wir nicht eins«. Der Protestzug in Leipzig nahm bewusst jenen Weg durchs Stadtzentrum, den im Herbst 1989 die Montagsdemonstrationen gewählt hatten. In Halle protestierten 20.000 Gewerkschafter mit dem Ruf: »Wir sind keine halben Deutschen!«
Da diese Massendemonstrationen, denen bereits einige kleinere vorausgegangen waren und in den nächsten Tagen noch weitere folgen sollten, so gar nicht in die offizielle deutsche Geschichtsschreibung über die von Bundeskanzler Helmut Kohl genial herbeigeführte »Wiedervereinigung« passten, werden sie kaum erwähnt, ja regelrecht verschwiegen. Deshalb sind einige erläuternde Bemerkungen zum Anlass der Kundgebungen angebracht.
Am 29. März hatte der Zentralbankrat der Bundesbank – in Anwesenheit von Bundesfinanzminister Theodor Waigel – für die Währungsunion, der nach dem Sieg der »Allianz für Deutschland« bei den Wahlen vom 18. März in der DDR kein politisches Hindernis mehr im Wege stand, und für einen Umstellungskurs der DDR- in D-Mark von zwei zu eins plädiert. In einem Schreiben des Bundesbankpräsidenten Karl Otto Pöhl vom Folgetag an den Kanzler begründete er diese Entscheidung so: »Eine Umstellung zwei zu eins ist vor allem im Interesse der Wettbewerbsfähigkeit der DDR notwendig. Ein Umstellungssatz eins zu eins würde die Wirtschaft der DDR dem internationalen Wettbewerb mit einem Kostenniveau und einer Verschuldung aussetzen, dem die meisten Betriebe nach unserer Auffassung nicht gewachsen wären. Die Folge wäre möglicherweise ein dramatischer Anstieg der Arbeitslosigkeit in der DDR mit allen Konsequenzen.« Auch finanzpolitisch ließe sich, so Pöhl, ein Umtauschsatz eins zu eins nicht verantworten.
Der Bundesbankpräsident war sich in dieser Hinsicht einig mit dem prominenten Banker und Sprecher des Vorstandes der Deutschen Bank, Hilmar Kopper, der auf die Frage, welche Meinung er zu den Auseinandersetzungen um den »richtigen« Umtauschsatz habe, in einem Interview und bezogen auf die notwendige Umstellung der Schuldverhältnisse der Betriebe erklärte: »Wenn Sie alle Schuldverhältnisse eins zu eins umstellen, dann schadet man der DDR-Wirtschaft, dann gibt es bald keine Arbeitsplätze mehr. Selbst ein Kurs zwei zu eins ist beinahe schon abenteuerlich.«
Bereits am 30. März war die Empfehlung des Zentralbankrats für den Zwei-zu-eins-Umtauschsatz durch eine Indiskretion bekanntgeworden. Wie der Generalsekretär der Ost-CDU, Martin Kirchner, berichtete, gingen nur Stunden, nachdem der Beschluss durchsickerte, in der CDU-Parteizentrale in Berlin »zahlreiche Anrufe besorgter Bürger ein, in denen von Wahlbetrug die Rede war, da viele DDR-Bürger die CDU in der Hoffnung auf eine schnelle Wirtschafts- und Währungsunion und einen Umtauschkurs eins zu eins gewählt hätten«. Während die Führung der DDR-CDU sich ungeachtet dessen nach außen bedeckt hielt, meldeten sich Vertreter von anderen Parteien, Bürgerbewegungen und Gewerkschaften zu Wort und kritisierten den Beschluss. Sie forderten die unverzügliche Rücknahme der Empfehlung. Der Generalsekretär der Deutschen Sozialunion (DSU), Peter-Michael Diestel, bestand öffentlich auf einem Kurs von eins zu eins für den Währungsumtausch. Diese Forderung, begründete er für seine Partei, die Bestandteil der in den Wahlen siegreichen »Allianz für Deutschland« war, habe die DSU schon im Wahlkampf aufgestellt und sei dabei von Kohl und Waigel unterstützt worden.
Der Bundeskanzler war über die heftige Resonanz auf den Beschluss des Zentralbankrats verwundert und beunruhigt zugleich. Er hatte zwar bei seinen Auftritten auf Kundgebungen der Ost-CDU in Leipzig und anderen Städten eine Vielzahl blumiger Versprechungen gegeben, damit die Wähler für die »Allianz für Deutschland« stimmten, sich aber zu keiner konkreten Umtauschrate bekannt. Das half ihm allerdings wenig, nachdem die vom Zentralrat der Bundesbank vorgeschlagene konkrete Umtauschrelation publik geworden war, und er sah sich zum Teil heftigen Vorwürfen ausgesetzt. Norbert Blüm, Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung, warnte den Kanzler in einem Schreiben vom 27. März davor, dem vom Zentralbankrat verlangten Umtauschsatz zuzustimmen und argumentierte dabei – sicherlich darüber informiert, dass die Bruttolohn- und Gehaltssumme in Ostdeutschland nur ein gutes Drittel des vergleichbaren westdeutschen Niveaus betrug – folgendermaßen: »Die Menschen in der DDR müssten krasse Einbußen gegenüber ihrem bisherigen, ohnehin niedrigeren Lebensstandard hinnehmen; dies gilt insbesondere für Rentner, Familien und Arbeitslose. Millionen Menschen würden unter die Sozialhilfeschwelle geraten. (…) Aller Voraussicht nach würde das mit der Wirtschaftsgemeinschaft und Währungsunion verfolgte Ziel gefährdet, die Menschen zu bewegen, in ihrer Heimat zu bleiben, denn das Wohlstandsgefälle würde nicht kleiner werden, sondern wachsen.« Blüms Fazit: Kohl möge nicht auf die Bundesbank hören. »Ich bin der Überzeugung, dass ein Umstellsatz, der unter der Relation eins zu eins liegt, zu tiefgreifenden sozialen Verwerfungen sowie zu destabilisierenden politischen Folgewirkungen führen könnte.«
Auch de Maizière, der von der Volkskammer am 12. April zum Ministerpräsidenten der DDR gewählt wurde, ließ gegenüber Kohl keinen Zweifel daran, dass es »unser Ziel ist, die Gehälter und Löhne im Verhältnis eins zu eins in einer Währungsunion zu behandeln. Von diesem Ziel haben wir keinerlei Abstriche im Moment zu machen.« Damit lag der Vorsitzende der DDR-CDU ganz auf der Linie seines Generalsekretärs Kirchner, der den Zwei-zu-eins-Beschluss als »unzumutbar und unaushaltbar« bezeichnet hatte.
Der Bundeskanzler war vor eine schwerwiegende Entscheidung gestellt, da die Argumente beider Seiten gut fundiert waren. Blüms dringliche Bitte an seinen Kanzler, sich für einen Umtauschsatz von eins zu eins einzusetzen, war sozial und politisch begründet, während der Zentralbankrat unter Pöhl seinen Standpunkt mit ebenso guten Argumenten, vor allem ökonomischen, untermauert hatte. Gab es keine für alle akzeptierbaren finanzpolitischen Kriterien, die beim Finden der »richtigen« Umtauschrelation hätten helfen können?
Ein Blick in die Währungsgeschichte seit Kriegsende zeigte: Es war so gut wie unmöglich, einen ökonomisch gerechtfertigten Umtauschkurs zu bestimmen. Zwischen der Mark der DDR, die 1948 in der sowjetischen Besatzungszone als Deutsche Mark (DM Ost) die Reichsmark abgelöst hatte und zeitweilig als Mark der Deutschen Notenbank (MDN) zirkulierte, und der DM West gab es keinen offiziellen Wechselkurs. Die bilateralen Abkommen von 1949 und 1951, einst geschlossen zur Gewährleistung des Interzonen- bzw. des sogenannten innerdeutschen Handels, legten ein Verrechnungsverhältnis von eins zu eins zwischen beiden Währungen zugrunde. Dieses sagte über den Wert der DDR-Mark aber genau so wenig aus wie die Relation vier zu eins bzw. fünf zu eins des im Westberlin der fünfziger Jahre üblichen Schwarzmarktkurses oder das Umtauschverhältnis DM zu Mark der DDR in privaten Wechselstuben, das zwischen November 1989 und Juni 1990 zwischen drei zu eins und elf zu eins schwankte. Die von der DDR in den siebziger und achtziger Jahren intern benutzten Devisenertragskennziffern und Richtungskoeffizienten, die dazu gedient hatten, beim Warenexport West den Valutawert der Mark der DDR zu berechnen, erreichten 1989 den Wert 4,4 zu eins. Um ein echtes Kursverhältnis handelte es jedoch auch in diesem Fall nicht, da sich die Berechnung nur auf »handelbare Waren« bezog, Dienstleistungen, die einen günstigeren Devisenertragswert aufwiesen, aber ausklammerte.
Eher als durch den Außenwert wurde der Wert der DDR-Mark sicherlich durch die Binnenkaufkraft des Geldes bestimmt. Diese war in den siebziger und achtziger Jahren und bis zuletzt nach den sehr gründlichen Berechnungen des in Berlin-Zehlendorf beheimateten Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung etwa mit der der DM gleich bzw. lag leicht über der der D-Mark. Sich an historischen Wechselkursen zu orientieren wäre für die mit Einführung der DM in der bevorstehenden Umtauschaktion demnach wenig sinnvoll gewesen.
Helmut Kohl, seitens führender Vertreter des BRD-Establishments in der Wechselkursfrage mit ganz unterschiedlichen Vorschlägen konfrontiert, entschied sich zunächst – wie er es bei anderen kniffligen politischen Problemen bereits erprobt hatte – für das Abwarten und Aussitzen. Der Bundeskanzler lavierte und verständigte sich erst einmal telefonisch mit dem designierten DDR-Ministerpräsidenten de Mazière dahingehend, »dass noch keine Entscheidung über den Umtauschkurs getroffen worden sei«. Die Modalitäten sollten in den folgenden Monaten in Verhandlungen der beiden deutschen Regierungen festgelegt werden.
Doch für derartige Vertröstungen erwiesen sich die entrüsteten Ostdeutschen nicht zugänglich. Nach den Protesten vom 5. April musste das auch Kohl begreifen. Drei Tage später erklärte er in einem Interview mit der Illustrierten Bunte, er halte an seinem Ziel fest, die Währungsunion bis zum Sommer zu verwirklichen. Zugleich versicherte er, Bonn werde sich für »die normalen Sparer um einen Umtauschkurs bemühen, der eins zu eins beträgt«. Bundeswirtschaftsminister Helmut Haussmann (FDP) schränkte die Versicherungen des Kanzlers aber noch am selben Tage mit der Bemerkung ein, lediglich »ein wichtiger« Teil der ostdeutschen Guthaben werde eins zu eins getauscht werden können. Am 19. April 1990 unternahm Haussmann mit dem neuernannten Wirtschaftsminister der Regierung de Maizière, Gerhard Pohl (CDU), in einer gemeinsamen Erklärung vor der Presse in Berlin einen Versuch, die Eins-zu-eins-Regelung erneut in Frage zustellen. Tags zuvor hatte die FDGB-Vorsitzende Helga Mausch in einemSpiegel-Interview weitere Streiks, ja einen Generalstreik in der DDR nicht ausgeschlossen, wenn die Regierung den mit dem Zwei-zu-eins-Umtausch geplanten »Ausverkauf der DDR« nicht verhindere.
Nun gab Kohl seine Verzögerungstaktik auf und bekannte sich in aller Eile zur Eins-zu-eins-Regelung, noch bevor die neue DDR-Regierung überhaupt Zeit gefunden hatte, sich abschließend zu konstituieren.
Neben Demonstrationen und Streikdrohungen hatte Kohl eine andere Tatsache zum Umdenken bzw. – wie seine Wirtschaftsberater meinten – zum Einknicken gebracht. In den ersten beiden Aprildekaden war es zu einem erneuten Ansteigen der Übersiedlerzahlen aus der DDR in die Bundesrepublik gekommen, die, seitdem sich das Kabinett in Bonn Anfang Februar für eine baldige Währungsunion ausgesprochen hatte, zurückgegangen waren. Der Bundeskanzler beschloss angesichts dessen, den seit Jahresanfang von Demonstranten auf Plakaten mitgeführten Spruch »Kommt die DM, bleiben wir, kommt sie nicht, gehen wir zu ihr« wieder sehr ernst zu nehmen. Im Herbst 1990 standen Bundestagswahlen an. Und Kohl war sich dessen bewusst, dass der erneute Zustrom von »Zonenflüchtlingen«, der schon im Januar, vor der Verkündung der Wirtschafts- und Währungsunion, bei der westdeutschen Bevölkerung für Unmut gesorgt hatte, erneut seinem politischen Hauptgegner, dem SPD-Kanzlerkandidaten Oskar Lafontaine, Stimmen von Unzufriedenen zuführen könnte. Waren Politiker der konkurrierenden Oppositionspartei doch sowieso schon eifrig bemüht, den bekanntgewordenen Umtauschsatz gegen den Kanzler auszunutzen und die Vernünftigkeit der Politik der CDU-geführten Bonner Regierung in Frage zu stellen. Nach den im Wahlkampf geäußerten Versprechungen stehe die Bundesregierung nun »in der Pflicht, die Substanz ihrer Ankündigungen umzusetzen«, schrieb Schleswig-Hosteins Ministerpräsident Björn Engholm (SPD) in der Welt. Der SPD-Wirtschaftsexperte Wolfgang Roth bezeichnete im Bonner General-Anzeiger einen Kurs von eins zu eins bei Löhnen und Renten als selbstverständlich, weil es sonst in der DDR zu Massenarmut käme. Der Regierende Bürgermeister von Berlin (West), Walter Momper, charakterisierte einen Umtauschkurs von zwei zu eins und damit halbierte Ostgehälter als »ökonomischen Schwachsinn«.
Die Machtfrage war damit, so sah es Kohl, in der Bundesrepublik wiederum gestellt. Da es um die Fortsetzung seiner Kanzlerschaft in den ersten Jahren des neuen Jahrzehnts ging, zeigte er sich in der Umtauschfrage risikobereit. Seine nunmehr endgültige Entscheidung für den Eins-zu-eins-Umtausch bei Löhnen und Gehältern sowie für Spargelder bis zu einer bestimmten Höhe widersprach zwar eindeutig dem ökonomischen Sachverstand. Das Argument der »Rechner«, Bundesbankpräsident und Bundesfinanzminister, dass »das Risiko eines Wirtschaftszusammenbruchs der DDR mit jedem Schritt näher zur Parität steigen musste«, wurde im Interesse der politischen Befriedung der erneut militant gewordenen DDR-Bürger hintangestellt. Die – von Bundesbankpräsident Pöhl in seinem Brief an Kohl exakt beschriebenen – unvermeidlichen negativen ökonomischen Folgen dieser Entscheidung ignorierte der Bundeskanzler im Interesse der Sicherung und zukünftigen Ausdehnung seiner Macht (auf ganz Deutschland).
Der rein politisch motivierten Entscheidung Kohls beugten sich letztlich auch die Vertreter der ökonomischen Sichtweise. Am 20. April akzeptierte die Bundesbank den Umtauschkurs eins zu eins »voll und ganz«. Am 26. April 1990 bekannten sich beide deutsche Regierungen offiziell zur Währungsparität. Den endgültigen Umtauschkurs bestimmten die Regierungen Kohl und de Maiziere dann am 18. Mai 1990. Zustande kam ein Kompromiss: Artikel 7 des Staatsvertrags zur Schaffung einer Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion legte eine Umtauschrelation von zwei zu eins für Guthaben und Schulden aller juristischen Personen, d. h. von Betrieben, Banken und sonstigen Institutionen fest. Der Staatsvertrag bestimmte weiter, dass Löhne, Gehälter, Stipendien, Renten, Mieten und Pachten im Verhältnis eins zu eins umzutauschen seien, alle persönlichen Vermögen dagegen zwei zu eins. Ausgenommen davon war lediglich jener Teil der Bankeinlagen, der in bestimmtem Umfang, altersgemäß gestaffelt, eins zu eins umgestellt werden sollte. Sparer zwischen 14 und 59 Jahren durften ihre Guthaben bis zu einer Höhe von 4.000 DDR-Mark eins zu eins umtauschen, Kinder unter 14 Jahren bis 2.000 Mark und über 59jährige bis zu 6.000 Mark zum gleichen Satz. Über diese Beträge hinaus war nur ein Umtausch von einer Mark der DDR für 50 Pfennig West möglich. Diese Bestimmungen liefen insgesamt für die Guthaben der Bevölkerung auf eine Relation 1,48 zu eins hinaus.
Damit folgten die beiden deutschen Regierung in nicht geringem Grade den Forderungen der Demonstranten von Anfang April. Die Folge: Die Proteste ebbten ab und hörten auf. Die DDR-Bürger sahen erwartungsvoll dem 1. Juli 1990 entgegen, dem Tag, an dem die DM zu ihnen kommen sollte. Zu einer Wiederbelebung der Herbstrevolution von 1989 im Frühjahr 1990 kam es deshalb nicht.
Immerhin: Gegen die in der heutigen Geschichtsschreibung weit verbreitete Auffassung, dass die Masse der DDR-Bürger 1990 jede sie betreffende Entscheidung, die ihnen aus dem Westen vorgegeben wurde, akzeptierte, zeugen die Demonstrationen auf den Straßen und Plätzen der ostdeutschen Städte davon, dass »das Volk« in der DDR häufiger als gedacht in der Lage war, den seitens der Bonner Regierung mit Macht vorangetriebenen Vereinigungsprozess, bei dem es eigentlich um den Anschluss der DDR an die BRD ging, zu beeinflussen. Aufgabe einer redlichen Geschichtsschreibung ist es, dafür zu sorgen, dass diese Momente nicht der Vergessenheit anheimfallen.
Jörg Roesler analysierte zuletzt auf diesen Seiten am 11.3.2015 das Jointventure-Gesetz der Regierung von Hans Modrow. Seine Bücher und Broschüren sind im jW-Shop erhältlich.
Quelle: www.jungewelt.de vom 30.03.15
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