Der Bundestag hat das Gesetz zur »Tarifeinheit« am Freitag mit 444 Stimmen beschlossen. 126 Abgeordnete votierten mit Nein, 16 enthielten sich. Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) behauptete in der Aussprache erneut, die Neuregelung greife nicht ins Streikrecht ein. Vertreter von Linkspartei und Grünen kritisierten das als »Täuschungsmanöver«. »Das Gesetz ist die Einschränkung des Streikrechts kleinerer Gewerkschaften«, betonte der Linke-Fraktionsvizechef Klaus Ernst.
Der Grünen-Fraktionsvorsitzende Anton Hofreiter stellte in der Debatte klar, dass es der Regierung keineswegs darum gehe, Unterbietungskonkurrenz durch sogenannte christliche Gewerkschaften zu unterbinden. Das Gesetz solle vielmehr verhindern, dass das Tarifniveau infolge einer Überbietungskonkurrenz durch Spartengewerkschaften steigt. Und die SPD stehe an vorderster Front im Kampf dafür, dass das Tarifniveau nicht nach oben gezogen wird, so Hofreiter. An die Adresse der Sozialdemokraten gewandt fragte er: »Schämen Sie sich nicht?«
Gegen solche moralischen Appelle sind sozialdemokratische Parlamentarier mittlerweile immun. Nur eine einzige SPD-Abgeordnete stimmte gegen den Gesetzentwurf: die Oldenburgerin Kerstin Lühmann, Mitglied der rechtslastigen Polizeigewerkschaft DPolG. In der CDU/CSU-Fraktion votierten 16 Abgeordnete dagegen, wohl ebenfalls aus Loyalität gegenüber politisch konservativen Berufsgewerkschaften. Linke und Grüne lehnten das Gesetz geschlossen ab.
Die Reaktionen der Konzernlobbyisten waren am Freitag durchweg positiv. Die Entscheidung sei »ein wichtiger Schritt für die Zukunft der Tarifautonomie«, lobte Ingo Kramer von der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände. Der BDA-Chef fiel bisher nicht gerade als Vorkämpfer des Flächentarifs auf. Mit dem Gesetz werde »das Prinzip ›Ein Betrieb – ein Tarifvertrag‹ endlich wiederhergestellt«, ergänzte »Gesamtmetall«-Chef Rainer Dulger. Er hat sonst nichts gegen unterschiedliche Tarife für Leiharbeiter, Werkvertragsbeschäftigte und andere Prekäre einzuwenden.
Rudolf Henke, Vorsitzender des Marburger Bunds und zugleich CDU-Abgeordneter, wandte sich erneut gegen die Regelung. Mit dem betriebsbezogenen Mehrheitsprinzip schaffe der Gesetzgeber »einen völlig neuen Rechtszustand«, erklärte er in einer Mitteilung. Der Zwang zur »Tarifeinheit« bedeute nicht nur einen Bruch der Verfassung, er werde auch negative Folgen für den Betriebsfrieden haben.
Ebenfalls kritisch äußerte sich der ver.di-Vorsitzende Frank Bsirske, dessen Gewerkschaft gemeinsam mit GEW und NGG in den vergangenen Wochen rund 84.000 Unterschriften gegen das Gesetz gesammelt hatte. Dieses greife zumindest indirekt in das Streikrecht ein und verschärfe die Konkurrenz der Gewerkschaften untereinander, so Bsirske am Freitag gegenüber dpa. »Das stärkt nicht das Tarifvertragssystem, sondern birgt die Gefahr, dass Konzern-, Flächen- und Branchentarifverträge durchlöchert werden.«
Wie recht der ver.di-Vorsitzende mit dieser Einschätzung hat, machte die Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA) deutlich, mit der ver.di derzeit um die tarifliche Eingruppierung von Erzieherinnen und Sozialarbeitern streitet. VKA-Hauptgeschäftsführer Manfred Hoffmann begrüßte das Gesetz als »Schritt in die richtige Richtung« und forderte zugleich eine stärkere Reglementierung von Arbeitskämpfen in der öffentlichen Daseinsvorsorge.
Quelle: www.jungewelt.de vom 23.05.15
« Umverteilen à la Nahles. »Neue« Hilfen für Langzeiterwerbslose. Von Susan Bonath – Mit Hoffmanns Hilfe. Parlament beschränkt Streikrecht. Von Daniel Behruzi »
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