Wolfgang Huste Polit- Blog

Prof. Dr. Stephan Bundschuh (Hochschule Koblenz). Geschichte und Gegenwart des Rassismus. Manuskript der Rede am Campus Remagen zum Tag der Demokratie in Remagen am 17.11.2018

Mittwoch, 21. November 2018 von Huste

Liebe Mitstreiterinnen und Mitstreiter,

es ist ein Skandal, dass die Rechte in Remagen marschiert. Ihre Geschichtsklitterung und Verharmlosung des Nationalsozialismus sind gegen die Freiheit und gegen die menschliche Solidarität gerichtet. Ein rechter Aufmarsch wie heute ist in einem demokratischen Staat nicht legitim und gehört verboten. Deshalb haben auch Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die Aufgabe, im Interesse von Wissenschaft und Gesellschaft gegen Rechts zu protestieren.

Die Wissenschaft als Teil der Gesellschaft soll, unter Verpflichtung auf Erkenntnis und Wahrheit, die Gesellschaft darin unterstützen, zum Wohle aller beizutragen. Es kann uns als Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern nicht gleichgültig sein, wenn Nazis herummarschieren, die zerstörerische Traditionen fördern, Verbrechen verharmlosen, falsche Nachrichten verbreiten und Segregation statt Solidarität predigen.

Ein kurzer Blick in die Geschichte genügt, um die Falschaussagen der Nazis zurechtzurücken.
Vor wenigen Wochen hatten wir die Holocaust-Überlebende Henriette Kretz zu Gast an unserer Hochschule. Fünf Jahre war sie alt, als ihre Kindheit auf einen Schlag durch den deutschen Einmarsch in Polen 1939 beendet wurde. Die folgenden fünf Jahre waren ein Albtraum, geprägt von Flucht, Besatzung, Enteignung, Gettoisierung, Versteck, Verrat und Ermordung ihrer Eltern. Gegen alle Wahrscheinlichkeiten überlebte Frau Kretz, versteckt in einem Kinderheim. Sie war am Ende des Krieges gerade einmal 10 Jahre alt.

Henriette Kretz war als Jüdin besonderer Verfolgung ausgesetzt. Aber viele Kinder aus den von Deutschland besetzten Gebieten hatten ähnliche Schicksale. Anja Grubina, 1941 12 Jahre alt, berichtet aus dem von der deutschen Armee ausgehungerten Leningrad:
„Seit der Blockade kenne ich jedes essbare Unkraut, die Menschen aßen alles Grüne in der Stadt auf. In den Parks und im botanischen Garten gab es, wenn der Frühling vorbei war, keine Blätter mehr“. Und sie erzählt, dass manche Kinder „durch 2 den Hunger die Haare verloren. Wir machten keine Dummheiten, tobten nicht herum. Wir saßen da und schauten. Und aßen alles …“1Überlebende Kinder berichten von der Ermordung ihrer Eltern – von den Deutschen gerne vor ihren Augen vollstreckt – und ihrem völligen Alleinsein und Verlorensein. Sie erzählen von der deutschen Brutalität, von Kälte und Dunkelheit in Kellerverstecken oder Bewegungslosigkeit und Hitze auf Dachböden. Kinder verstummen vor Schreck und suchen später vergeblich nach ihren ursprünglichen Namen. Manche waren zu klein, um ihn zu kennen, andere mussten ihn vergessen, um zu überleben. Einiges Leid haben auch deutsche Kinder erfahren. In der Dramatik der Erfahrung aber liegt der Unterschied. Deutsche Kinder waren in diesem Krieg überwiegend in Städten, weniger auf dem Lande betroffen. In den besetzten Ländern aber traf es alle.

Und es gibt auch einen Unterschied in der Ursache des Leidens: Die Eltern deutscher Kinder waren verantwortlich für diesen Krieg, die Eltern der anderen sind Opfer des Krieges geworden. Alle Kinder dieser Zeit aber waren Opfer des verbrecherischen deutschen Regimes, das ohne die deutsche Wehrmacht ein zahnloser Tiger geblieben wäre. Zum Glück also wurde die deutsche Wehrmacht zerschlagen, auch hier auf den Rheinwiesen.

Auch die Wissenschaft hat bei den Nazis mitgespielt. Ihre dunkle Seite reicht bis in die Anfänge der modernen Wissenschaft zurück. Bedeutende Philosophen wie Immanuel Kant oder Georg Wilhelm Friedrich Hegel haben nicht nur über Freiheit reflektiert, sondern auch rassistische und koloniale Positionen vertreten. Biologie, Geschichte, Wirtschaftswissenschaften oder die Soziale Arbeit haben nicht nur den gesellschaftlichen Fortschritt, sondern auch Herrschaft, Macht, Ausbeutung, Gewalt und Krieg legitimiert und angestrebt. Der Zweite Weltkrieg wäre ohne wissenschaftlichen Fortschritt nicht möglich gewesen. Er bedurfte der Wissenschaft, um solch enorme Zerstörungs- und Vernichtungskräfte zu entfalten, die die Menschheit schließlich verschlungen hat. Eine ungeheure gesellschaftliche Energie ist für die Entwicklung von Massenvernichtungsmitteln vergeudet worden und wird noch immer verschwendet.
1 Alexijewitsch, Swetlana (2014): Die letzten Zeugen. Kinder im Zweiten Weltkrieg. München:
Hanser, S. 240f.
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Damals haben Bevölkerungswissenschaftler große Umsiedlungspläne entwickelt. Deren Umsetzung durch die Nazis forderte Millionen Opfer in ganz Europa. Die Rassentheorie gab sich einen wissenschaftlichen Anstrich. Ganze Abteilungen erforschten die Rasse pseudowissenschaftlich.
Glücklicherweise waren diese Forschungen nach 1945 erledigt. Heute sind jeder Biologismus und jede genetische Forschung, die aus der menschlichen Biologie unterschiedliche soziale Rechte ableiten, gesellschaftliche Hierarchien begründen oder Bildungsungleichheiten rechtfertigen, zu Recht geächtet. Aber ich warne: Das scheint sich gerade zu ändern. Es verändert sich die öffentliche Rede. Es verschiebt sich der politische Diskurs. Nationalismus macht sich in Europa breit und biologistische Argumente kehren wieder, sie drängen an die Öffentlichkeit.

Diesen Dienstag war in der renommierten Süddeutschen Zeitung ein Artikel über Bildung und Genetik zu lesen. Die Schlagzeile lautete: „Die Abitur-Gene“.
2 Der Artikel berichtete über genetische Forschungen aus England, Deutschland und anderen Ländern. Darin wird behauptet, dass „bis zu 60 Prozent des unterschiedlichen Bildungsniveaus von Menschen […] genetisch bedingt“ seien. Gene wären dafür verantwortlich, ob sich Studentinnen und Studenten an renommierten oder unbekannten Hochschulen
einschrieben. Und mit einem Bild aus der Pflanzenwelt wird erklärt, dass selbst „mit noch so guter Pflege […] eine Blume, die die Gene eines Gänseblümchens in sich trägt, keine rote Rosenblüte hervorbringen“ wird. Merken Sie den Trick? Sehen Sie die Wertung? Gänseblümchen und Rose sind in eine Hierarchie von Qualität und Schönheit gebracht. Und das soll nun umgekehrt für die Gesellschaft gelten? Solch ein Unsinn
wird wissenschaftlich Sozialdarwinismus genannt und ist ein wichtiger Bestandteil rassistischen und rechten Denkens. Viele Menschen glauben diesen Quatsch und gerade Akademikerinnen und Akademiker sind für solche natürlichen Erklärungen von Bildungsunterschieden anfällig. Eine solche rassistische Bildungsauffassung hat sich zuletzt im rassistischen Schulsystem des südafrikanischen Apartheidstaats manifestiert.
Der aber existiert nicht mehr. Um die Wiederkehr solch einer rassistischen Gesellschaft zu verhindern, müssen wir auch die akademischen Meisterdenker des Rassismus bekämpfen.
2 Blawat, Katrin (2018): Die Abitur-Gene. In: Süddeutsche Zeitung vom 13.11.2018, S. 16.
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Was wäre das für eine Wissenschaft, die den Brandstiftern im eigenen Haus nicht entgegentritt?
Wissenschaft muss die brennenden Fragen der Gegenwart aufgreifen. Die Gewaltforschung, die politische Bewegungsforschung, die Parteienforschung, die Autoritarismus-, die Vorurteils- und die Rassismusforschung, sie alle nehmen sich unseres heutigen Problems an und werden sich auch künftig nicht davon abhalten lassen, wenn der politische Gegenwind stärker wird.

Wissenschaft stellt ein Korrektiv gegenüber Meinungen dar. Sie beansprucht eine Objektivität der Erkenntnis. Sie findet nicht im Elfenbeinturm statt, sondern steht mitten im gesellschaftlichen Widerstreit. Sie hat sich in wissenschaftlicher Weise, das heißt kritisch und engagiert, für eine solidarische Gesellschaft einzusetzen. Sie hat sich gegen Diskriminierung, Ausgrenzung, Abschiebung, Segregation, die Verharmlosung des Nationalsozialismus und politischen Mord zu positionieren. Nehmen wir die Forderung der nunmehr 84-jährigen Henriette Kretz bitter ernst, alles zu tun, dass sich das, was sie durch Deutschland erlebt hat, niemals wiederholt.

Vielen Dank!

Kleine Anmerkungen zum Lebensstandard in der DDR. Von Wolfgang Huste

Mittwoch, 21. November 2018 von Huste

Auch das sollte man zur Kenntnis nehmen, wenn man den Lebenstandard in der DDR kritisiert: Hätte man den Marshall-Plan nicht in der BRD, sondern in der damaligen „sowjetischen Besatzungszone“, der DDR, zum Einsatz gebracht, wären die ökonomischen Verhältnisse umgekehrt gewesen. Damals gab es noch die Systemkonkurrenz zwischen der kapitalistischen BRD und dem (gescheiterten) Sozialismusversuch(!) der DDR. Der Marshall-Plan sollte ein „Bollwerk“ gegen die Systemkonkurrenz schaffen. Seitdem die DDR nicht mehr existiert, kann der Kapitalismus in der BRD die Sau herauslassen, soll heißen: Sozialabbau auf allen Ebenen! In der DDR gab es keine Wohnungs- und Obdachlosen, keine Armutsrenten, keine Armutslöhne, keine Massenerwerbslosigkeit, auch keine Massenentlassungen, keine Finanz- oder Wohnungsspekulanten, keine Bankster, keine privaten Konzerne, keine Hartz-Gesetze. Vom Boden der DDR ging niemals ein Krieg aus. Jeder hatte eine bezahlbare Wohnung. Faschisten, Rassisten und Reaktionäre wurden nicht in Fernseh-Talkshows eingeladen, erhielten keine Plattform in Zeitungen oder anderen Medien, oder gar in Schulen. Ihre menschenfeindliche Weltanschauung wurde – mit Recht – geächtet. Es gab keine Stromsperren, eine kostenfreie Gesundheitsversorgung für alle, genügend Kita-Plätze, ein sehr gutes Bildungssystem, keine Studiengebühren, die Grundnahrungsmittel waren sehr preiswert usw.. Die Frauen in der DDR waren schneller gleichberechtigt gegenüber den Männern als die Frauen in der BRD. Der größte Teil der Amerikaner, und nicht nur die, würden sehr gerne den damaligen Lebensstandard der DDR haben wollen. Es gab in der DDR keine Reisefreiheit, bis auf Reisen in „befreundete Bruderländer“. Aber seien wir mal ehrlich: Wer von uns kann sich eine Reise in ein Land leisten, das außerhalb von Europa liegt? Nur die Besserverdiener! Nun stellt sich die Frage: Warum hat sich der Sozialismus noch nicht bei uns durchgesetzt? Weil die offizielle Staatsdoktrin in allen pro kapitalistischen Ländern der Antisozialismus/Antikommunismus ist- und das schon seit über 100 Jahren. Antifaschismus und Antirassismus sind dagegen keine Staatsdoktrinen. Faschisten werden ehr halbherzig, Kommunisten/Sozialisten dagegen mit aller Macht staatlicherseits bekämpft. Der Satz: „Auf dem rechten Auge ist der Staat blind!“ galt nicht nur für die Weimarer Zeit, er gilt auch heute noch. Von der Wiege bis zur Bahre werden wir auf allen Ebenen, in nahezu allen Medien, in den Schulen und auch in den Universitäten, mit einem Antikommunismus „geimpft“. Das hinterlässt in den Köpfen tiefe Spuren, führt dazu, dass die meisten Menschen recht unkritisch eine pro kapitalistische, also marktradikale oder gar rechtsradikale Partei wählen, deren Programmatik mit den „kleinen Leuten“ so viel am Hut hat wie ein Känguru mit einer Dampfwalze.

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