Heute besuchte ich in meiner Funktion als Stadtratsmitglied einen katholischen, sehr pompös gestalteten Trauergottesdienst in Ahrweiler, zu Ehren eines verstorbenen, ehemaligen Bürgermeisters der Stadt.
Innerhalb der Predigt wurde das „Gleichnis von den anvertrauten Talenten“ vorgetragen, interessanterweise aber nicht der Schluss des Gleichnisses.
Als Grundlage meiner Textinterpretation wählte ich den entsprechenden Wikipedia – Eintrag zum Thema. In der Bibel findet man das Gleichnis in Form von zwei Textvarianten (die eine stammt von Matthäus, die andere von Lukas. Man sollte zuerst diese beiden Textvarianten lesen, bevor man meine Interpretation liest- siehe Link ganz unten). Der Inhalt des Gleichnisses lässt sich wie folgt zusammenfassen: „Als Gleichnis von den anvertrauten Talenten werden zwei neutestamentliche Gleichniserzählungen bezeichnet, die im Matthäus- und Lukasevangelium ähnlich überliefert sind. Jesus schildert einen Herren, der seine Knechte reich mit finanziellen Mitteln ausstattet, sich dann auf Reisen begibt und nach seiner Rückkehr Abrechnung hält. Die ersten beiden Knechte erwirtschaften Gewinn und werden ihren Leistungen gemäß entlohnt. Das Geld des Letzten hingegen, der aus Angst gar nichts investierte und es stattdessen verbarg, lässt der Herr wegnehmen und spricht es nach dem Grundsatz „Wer hat, dem wird gegeben werden; wer nicht hat, dem wird genommen werden“ dem Erfolgreichsten zu.“ (zitiert nach Wikipedia).
Zur näheren Erläuterung: Obwohl ich seit meinem 16. Lebensjahr weder einer Kirche angehöre, noch religiös bin, beschäftige ich mich ab und an mit diversen Bibelstellen, versuche sie in die heutige Zeit zu transformieren, in dem ich den religiösen Mantel der jeweiligen Bibeltexte entferne und stattdessen die entsprechenden Passagen „weltlich“, „modern“, auch „linkspolitisch“, neu interpretiere.
Bei Matthäus lautet der Schluss wie folgt:
„Sein Herr antwortete ihm: Du bist ein schlechter und fauler Diener! Du hast doch gewusst, dass ich ernte, wo ich nicht gesät habe, und sammle, wo ich nicht ausgestreut habe. Hättest du mein Geld wenigstens auf die Bank gebracht, dann hätte ich es bei meiner Rückkehr mit Zinsen zurückerhalten. Darum nehmt ihm das Talent weg und gebt es dem, der die zehn Talente hat! Denn wer hat, dem wird gegeben, und er wird im Überfluss haben; wer aber nicht hat, dem wird auch noch weggenommen, was er hat. Werft den nichtsnutzigen Diener hinaus in die äußerste Finsternis! Dort wird er heulen und mit den Zähnen knirschen.“
Bei Lukas lautet dagegen der Schluss:
„Nun kam ein anderer und sagte: Herr, hier hast du dein Geld zurück. Ich habe es in ein Tuch eingebunden und aufbewahrt; denn ich hatte Angst vor dir, weil du ein strenger Mann bist: Du hebst ab, was du nicht eingezahlt hast, und erntest, was du nicht gesät hast. Der König antwortete: Aufgrund deiner eigenen Worte spreche ich dir das Urteil. Du bist ein schlechter Diener. Du hast gewusst, dass ich ein strenger Mann bin? Dass ich abhebe, was ich nicht eingezahlt habe, und ernte, was ich nicht gesät habe? Warum hast du dann mein Geld nicht auf die Bank gebracht? Dann hätte ich es bei der Rückkehr mit Zinsen abheben können. Und zu den anderen, die dabeistanden, sagte er: Nehmt ihm das Geld weg, und gebt es dem, der die zehn Minen hat. Sie sagten zu ihm: Herr, er hat doch schon zehn. Ich sage euch: Wer hat, dem wird gegeben werden; wer aber nicht hat, dem wird auch noch weggenommen, was er hat. Doch meine Feinde, die nicht wollten, dass ich ihr König werde, bringt sie her und macht sie vor meinen Augen nieder! “
Kleiner Exkurs zum Begriff „Talent“: „Das Wort Talent im Sinne von Begabung hat seinen Ursprung in der altorientalischen Masseneinheit Talent, die auch in der Bibel zur Bezeichnung einer entsprechenden Menge Silbermünzen verwendet wird. Im neutestamentlichenGleichnis von den anvertrauten Talenten (M 25,14−30 EU) werden drei Knechten fünf, zwei bzw. nur ein „τἀλαντον“ anvertraut – „jedem nach seiner eigenen Fähigkeit “. Luther und Zwingli übersetzten Talent noch mit Zentner. Aber wohl über die lateinische Vulgata, die talentum übersetzte, lässt sich das Wort Talent im Sinne von Begabung im Englischen seit dem 16. Jahrhundert und im Französischen seit dem 17. Jahrhundert nachweisen. Auf diesem Umweg hat es auch im Deutschen seine Bedeutung erhalten.“ (Auszug eines Wikipedia-Eintrages zum Thema „Talent“).
Der Satz: „Wer hat, dem wird gegeben!“ ist wohl allen bekannt. Mein Vater, der ein Kleinunternehmer war – er besaß als Kürschnermeister ein Pelzgeschäft – sagte es viel deftiger und recht weltlich:
„Wo ein großer Hund hingeschissen hat, da scheißt ein noch weit größerer hin!“
Parallel hierzu denke ich in diesem Zusammenhang auch an die Prädestinationslehre von Calvin, die in knappster Form, auf den Punkt gebracht und vom religiösen, eher verschleiernden Mantel befreit, in etwa folgendes besagt:
„Wer im Leben sehr erfolgreich war, auch in einem materiellen Sinne, der wird im Himmelreich, im Paradies, eine Vormachtstellung einnehmen, der ist auserwählt gegenübe anderen, die nicht so erfolgreich in ihrem irdischen Leben waren.“ Eigentlich, von dieser Aussage her, ein idealer ideologischer Überbau für den aufkommenden Frühkapitalismus. Andererseits: Alle Religionen sind in diesem Zusammenhang „ideal“ als Überbau für den Kapitalismus- wenn auch aus anderen Gründen.
So gibt es Sozialwissenschaftler, die folgende These vertreten, die – stark verkürzt – etwa so lautet:
Nicht nur in der Schweiz, auch in den Niederlanden und insbesondere in England war unter religiösen Menschen diese Prädestinationslehre sehr weit verbreitet. Für AnhängerInnen des Calvinismus war diese Lehre Lebensauftrag und Verpflichtung zugleich. Das Anhäufen von irdischen, materiellen Gütern sicherte auch, so deren Glaube – in Relation zu den „Versagern“, die aus ihrem Leben (angeblich) nichts(Materielles!) machten – ein angenehmeres Leben, eine Vormachtstellung, im Jenseits, im Paradies. So kann man auch erklären, dass nicht von ungefähr die Wiege der industriellen Revolution in England lag. Die Calvinisten hatten also eine Art „extrinsische und intrinsische Motivation“ zugleich. Sie waren hoch motiviert im Leben erfolgreich zu sein, auch in einem materiellen Sinne. Machen wir den Transfer zu heute:
Im Zuge der heutigen Klimakatastrophe wird oftmals gesagt, dass man ein „gutes Leben“ führt, wenn der „ökologische Fußabdruck“ eines Menschen recht gering ausfällt, oder anders gesagt: Wenn der jeweilige Mensch die Umwelt, die Natur, weitestgehend „schont“, mit den gegebenen Ressourcen sparsam, sehr bewußt und umweltfreundlich, umgeht, auch „menschenfreundlich“, was auch den nach uns folgenden Generationen zum Vorteil gereicht.
Das Herstellen und Anhäufen von materiellen Gütern ist in der heutigen Zeit eher kontraproduktiv, wenn man die kapitalistischen Produktionsprozesse und die Auswikungen derselben gesamtbilanziert(!) betrachtet. Dei Begründung liegt auf der Hand: Je mehr Produkte man herstellt, desto stärker werden nicht nur Ressourcen und Energie verbraucht, man belastet darüber hinaus auch die Umwelt, weil bei der Herstellung, beim Gebrauch und erst recht bei der Entsorgung vieler Produkte die Umwelt, die Natur, mannigfach geschädigt wird, damit auch die Gesundheit der Menschen, teilweise durch sehr gefährliche, giftige Substanzen, oftmals irreversibel. Heutzutage müsste es eher heißen, als Lebensziel und Lebensinhalt: „Weniger ist mehr!“.
Der Kapitalismus beruht bekanntlich in erster Linie auf der Anhäufung des Kapitals und der Ausdehnung der Warenproduktion, der Expansion. Wer dieser kapitalistischen Verwertungslogik nicht folgt, ist alles Mögliche- nur kein Kapitalist. Innerhalb des Kapitalismus leben die meisten weit unter ihren „menschlichen“, kulturellen und materiellen Möglichkeiten. Nur eine Minderheit partizipiert von dieser kapitalistischen Wirtschaftsweise, auf Kosten der Allgemeinheit und der Natur, bekommen fast den gesamten, „gesellschaftlich gebackenen Kuchen“ – andere bekommen dagegen, bildlich gesprochen, nur diesen oder jenen Brocken vom Kuchen, die meisten aber nur die übrig gebliebenen Krümel.
Das Anhäufen von Kapital, hier: in Form von Zinserträgen, wird im Gleichnis als „belohnungswürdig“ dargestellt. Heute heißt es: „Leistung muss sich wieder lohnen!“ (frei nach einem FDP-Politiker zitiert) oder: „Vorfahrt dem Tüchtigen!“.
Andere wiederum haben viel geleistet, auf der sozialen Ebene, in dem sie zum Beispiel ehrenamtlich und unentgeltlich sich zum Wohle der Gemeinschaft einsetzen, weil sie zum Beispiel ihre kranken Eltern, Familienangehörigen, gepflegt haben, weil sie einen „kleinen, ökologischen Fußabdruck“ hinterließen. Dafür wurden diese sozial engagierten Menschen aber keineswegs belohnt, zumindest nicht materiell. Wer das Geld nicht vermehrt hat, wird innerhalb der kapitalistischen Gesellschaftsformation eher mannigfach „bestraft“, sogar mit Repressionen überzogen (da denke ich jetzt nicht nur an die repressive Hartz IV- Regelung)- damals wie heute von der jeweils herrschenden (Finanz-) Elite eher verachtet. Das „Versagen“ wird also „privatisiert“. Armut wird demnach selten als System bedingt bewertet und diskutiert.
In dem biblischen Gleichnis wird derjenige bestraft, der sein Geld nicht (in einem kapitalistischen Sinne) „profitabel“ vermehrte. Aus meiner Sicht zu Unrecht, denn man kann das Gleichnis auch durchaus positiv sehen, wenn jemand mit seinen gegebenen Ressourcen sparsam umgeht, wenn der jeweilige Mensch sinngemäß sagt: „Ich will keine materiellen Güter anhäufen, ich will mein Kapital nicht vermehren, anhäufen, auf Kosten anderer, auf Kosten der Umwelt, der Natur- sondern stattdessen meine Bildung, mein Wissen, meine Lebensqualität vermehren, ausbauen“. Dieses eher antikapitalistisch determinierte Lebensziel (statt materiellen Reichtum weit eher Immaterielles anhäufen, in Form von Wissen, Bildung, Lebensqualität) – entspricht keineswegs der kapitalistischen Verwertungslogik, wo das Profit machen, die Akkumulation des Kapitals, an erster Stelle steht, auch entsprechend „belohnt“ wird.
Damit man mich nicht missversteht: Keineswegs predige ich Armut oder eine falsche, aufgezwungene Bescheidenheit, denn beides ist nicht identisch mit einer bewußt umwelt- und menschenfreundlichen Lebensweise, zu der auch die Solidarität mit anderen Menschen gehört, ebenso der Wunsch, dass nicht nur eine kleine Elite von Menschen, sondern möglichst alle Menschen ein gutes Leben führen sollen. Das freiwillige, intrinsische Arbeiten „mit“ anderen, also innerhalb einer Gemeinschaft, eines Kollektivs, ist eine völlig andere Qualität als das extrinsisch motivierte, entfremdete Arbeiten „für“ andere, für eine Minderheit, auf Kosten der Allgemeinheit, der Umwelt, der Natur. Ersteres ist eine radikaldemokratische Form der Arbeitswelt, letzteres eine klassisch kapitalistische, in der die entfremdete Produktionsweise deutlichst überwiegt. Jeder denkende Mensch sollte sich selbst fragen, je früher desto besser für alle, nicht nur für das jeweilige Individuum:
In welcher Welt will ich leben, wie will ich arbeiten, für wen und mit welchen Zielen und Inhalten will ich arbeiten- und wem soll letztendlich meine Arbeit dienen und welche Auswirkungen hat mein Arbeitsergebnis auf die Umwelt, auf meine Mitmenschen – wem dient also dieses und jenes für was? Das sind relevante Fragen in unserer heutigen Zeit; vielleicht waren das auch bei den denkenden Menschen der damaligen Zeit die relevanten Fragen, wer weiß.
https://de.wikipedia.org/wiki/Gleichnis_von_den_anvertrauten_Talenten
« Bewegungen sind nicht immer „automatisch“ fortschrittlich und lassen sich auch nicht „von oben“ initiieren! Von Wolfgang Huste – Wahlkampfzirkus. Von Wolfgang Huste »
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https://www.youtube.com/watch?v=lxhdrzMg5xw&fbclid=IwAR2fNMTpCTcBuxtBLpEFXocfZfRZz1wrRJF4_TT62HhcaZTY3WdCblxgDUg
Comment: Wolfgang Huste – 28. Juli 2019 @ 13:14