Rund 210000 Arbeiter und Angestellte aus 1360 Metallbetrieben haben am Donnerstag nach Angaben der IG Metall mit betrieblichen Aktionen gegen Leiharbeit und prekäre Beschäftigung demonstriert. Auch ver.di und andere Gewerkschaften mobilisierten zu Protesten. Von den Schiffbauern in Flensburg bis zu den Arbeitern des Autozulieferers ZF in Friedrichshafen am Bodensee legten landesweit Belegschaften vorübergehend die Arbeit nieder und beteiligten sich an Kundgebungen. Anlaß war die erste Lesung des von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzes zur Leiharbeit, das zwar Mindestlöhne für die Branche vorsieht, aber weder gleiche Löhne wie bei Stammbeschäftigten noch irgendwelche Begrenzungen von Leiharbeit vorsieht.
»Die Bundesregierung hat es erneut versäumt, die Arbeitgeber in gesetzliche Schranken zu weisen und für faire Bedingungen auf dem Arbeitsmarkt zu sorgen«, kritisierte Niedersachsens IG-Metall-Bezirksleiter Hartmut Meine auf einer Kundgebung in Hannover. Gewerkschaftschef Berthold Huber hielt den Unternehmen im nahegelegenen Braunschweig einen »Sabotagekurs« vor, der »die Zukunft des Wirtschaftsstandorts Deutschland« aufs Spiel setze. »Mit prekärer Beschäftigung kann man vielleicht für eine kurze Zeit den Kostenwettlauf gewinnen, wird aber im Innovationswettbewerb dauerhaft verlieren«, belehrte er die Kapitalbesitzer. Huber verwies auch auf die drastische Zunahme von Werkverträgen, die er als »neue Krankheit des Arbeitsmarktes« geißelte.
In der Tat stellt die Fremdvergabe von Tätigkeiten an Subunternehmen in vielen Konzernen ein wachsendes Problem dar. So zum Beispiel bei Daimler. Allein im Entwicklungsbereich am Standort Sindelfingen seien in den vergangenen Monaten mehr als 900 neue Werkverträge »mit einer unbekannten Anzahl Arbeitnehmer« abgeschlossen worden, berichtete Gesamtbetriebsratschef Erich Klemm vor rund 6000 Beschäftigten. Auch die Leiharbeit nimmt bei dem Stuttgarter Autobauer massiv zu. In der Produktion seien mittlerweile mehr als 3000 Leiharbeiter eingesetzt, so Baden-Württembergs IG-Metall-Bezirksleiter Jörg Hofmann. Zugleich seien in der Krise 13000 reguläre Jobs gestrichen worden.
Diese Zahlen konterkarieren die Aussagen von Daimler-Chef Dieter Zetsche in der Bild-Zeitung vom Donnerstag, der die Schaffung von »4000 neuen Jobs in Deutschland« ankündigte. Klemm erklärte, der Konzern wolle nur dann unbefristete Festeinstellungen vornehmen, wenn der Betriebsrat zugleich einer Ausweitung der Leiharbeitsquote zustimmt. Diese begrenzt den Einsatz geliehener Produktionsarbeiter im Moment noch auf acht Prozent, wobei bereits jetzt Ausnahmen möglich sind. »Unter dem Deckmantel der Flexibilität wird der Grundsatz ›Gleicher Lohn für gleiche Arbeit‹ ausgehebelt – das ist ein Skandal«, kritisierte Klemm.
IG-Metall-Vize Detlef Wetzel bezeichnete den im Vermittlungsausschuß beschlossenen Mindestlohn für Leiharbeiter als »Placebo«, das den Mißbrauch nicht stoppen werde. Betriebsrätebefragungen zufolge ist aktuell nur jeder fünfte neu geschaffene Arbeitsplatz unbefristet und abgesichert. Der Vorsitzende der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di, Frank Bsirske, warf der Bundesregierung vor, »Augenwischerei« zu betreiben und die Lebenssituation Hunderttausender Menschen zu ignorieren. »Nur durch eine gesetzliche Regelung, die gleiche Bedingungen und gleiche Bezahlung vom ersten Tag an vorsieht, kann der Mißbrauch der Leiharbeit gestoppt werden«, betonte er am Donnerstag in Berlin.
Quelle: www.jungewelt.de vom 25.02.11
« Stopp dem Lohndumping durch Leiharbeit! Von Michael Schlecht, MdB – Chefvolkswirt Fraktion DIE LINKE – Gewerkschaftspolitischer Sprecher im Parteivorstand DIE LINKE – Guttenberg zahlte an Uni Bayreuth »
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Ein guter Anfang. IG-Metall-Aktionen gegen Leiharbeit. Von Daniel Behruzi
Die IG Metall bleibt dran. Mit Aktionen in mehr als 1000 Betrieben hat die Industriegewerkschaft am Donnerstag den Druck gegen Leiharbeit und prekäre Beschäftigung verstärkt. Die längerfristig angelegte Kampagne hat bereits einige Erfolge gezeitigt. In rund 800 meist größeren Betrieben konnten Beschäftigtenvertreter sogenannte Besser-Vereinbarungen für Leiharbeiter durchsetzen. Diese bedeuten zwar in den seltensten Fällen eine echte Gleichstellung mit der Stammbelegschaft, sind jedoch eine deutliche Verbesserung gegenüber den von der DGB-Tarifgemeinschaft mit den Zeitarbeitsverbänden ausgehandelten Löhnen, die im Westen zwischen 7,60 und 17,38 Euro, im Osten zwischen 6,65 und 15,20 Euro liegen. Und in der Stahlbranche konnte die IG Metall gar per Tarifvertrag die gleiche Bezahlung der dort eingesetzten Leiharbeiter erreichen – auch wenn es sich dabei wegen deren begrenzte Zahl eher um einen symbolischen Erfolg handelte.
In der breiteren Öffentlichkeit ist das Problem der Diskriminierung durch Leiharbeit infolge der gewerkschaftlichen Aktivitäten mittlerweile angekommen – und stößt auf ebenso klare Ablehnung wie beispielsweise die Rente mit 67. Rund 80 Prozent der Deutschen – und sogar eine Zweidrittelmehrheit der Wähler von Union und FDP – befürworten einer von der IG Metall in Auftrag gegebenen Befragung zufolge die gesetzliche Gleichstellung von Leih- und Stammarbeitern (Equal Pay).
Doch bei allen Erfolgen der auf die Betriebe konzentrierten Kampagne der Metallergewerkschaft werden zugleich deren Grenzen deutlich. Den Boom prekärer Beschäftigungsverhältnisse – wozu neben Leiharbeit u.a. Befristungen, Werkverträge und erzwungene Teilzeitarbeit zählen – konnte sie nicht stoppen. Bei der Leiharbeit ist das Vorkrisenniveau mit rund einer Million längst überschritten. Und bis 2015 wird sich die Zahl dieser Jobs laut Prognose der Zeitarbeitsverbände auf zwei Millionen verdoppeln. Das zeigt: Auf betrieblicher Ebene allein läßt sich das Problem nicht lösen. Ohne die Durchsetzung des Equal-Pay-Grundsatzes – den SPD und Grüne während ihrer Regierungszeit über einen Tarifvorbehalt im Arbeitnehmerüberlassungsgesetz ausgehebelt haben – wird sich der Leiharbeitsboom ungebremst fortsetzen.
Auch die betrieblichen Vereinbarungen zur Besserstellung von Leiharbeitern sind nicht der Königsweg. Zum einen sind diese nur in gut organisierten Großbetrieben durchsetzbar. Zum anderen sind damit die Diskriminierung dieser Kollegen, ihre Unsicherheit und der Druck, den dies wiederum auf die Stammbelegschaften ausübt, keineswegs beseitigt. Daher bedarf es einer gesellschaftspolitischen Mobilisierung in den Betrieben und darüber hinaus, mit der die Kräfteverhältnisse insgesamt zugunsten der abhängig Beschäftigten verschoben werden. Ein betrieblicher Aktionstag kann dafür ein guter Anfang sein. Aber eben nur der Anfang.
Quelle: http://www.jungewelt.de vom 25.02.11
Comment: Wolfgang Huste – 25. Februar 2011 @ 14:52
Totale Unsicherheit. Leiharbeiter bei Daimler: Keine Chance auf Festanstellung, keine Zukunftsperspektive. Von Daniel Behruzi, Sindelfingen
Viertausend neue Jobs in Deutschland, das hat Daimler-Chef Dieter Zetsche »exklusiv« in der Bild-Zeitung vom Donnerstag versprochen – sicher nicht zufällig genau an dem Tag, an dem die IG Metall bundesweit zum Protest gegen Leiharbeit und prekäre Beschäftigung mobilisierte. Bei Daimler in Sindelfingen versammelten sich am Vormittag rund 6000 Beschäftigte vor dem Werkstor, um für »Arbeit – sicher und fair« zu demonstrieren. Unter ihnen nur wenige Leiharbeiter. »Die Zeitarbeitsfirmen haben ihnen mit Entlassung gedroht, falls sie sich beteiligen«, berichtet Joachim Nisch, Leiter des IG-Metall-Vertrauenskörpers im Sindelfinger Werk.
Einer, der dennoch gekommen ist, ist Mahmut (Name von der Redaktion geändert). Seit einem Jahr arbeitet er in der Sitzfertigung der Autofabrik. Bis Samstag, dann ist es vorbei. Sein befristeter Vertrag bei der Zeitarbeitsfirma ZeitNah wurde dreimal verlängert und läuft jetzt aus. Vom viel beschworenen »Klebeeffekt« – Leiharbeit als vermeintliches Sprungbrett zur Festanstellung – merkt der junge Arbeiter nichts. »Es gibt keine Chance, bei Daimler reinzukommen.« Beworben habe er sich selbstverständlich, aber ohne Erfolg. Jetzt steht er wieder auf der Straße. Zetsches blumigen Ankündigungen zum Trotz. Und obwohl die Produktion auf Hochtouren läuft. »Das ist einfach unfair«, findet sein festangestellter Kollege. Der 21jährige arbeitet seit zwei Jahren in der Sitzfertigung. »In der Zeit haben wir schon dreimal neue Leiharbeiter gehabt. Wie soll man denn da funktionierende Gruppen aufbauen?« Die neuen Leiharbeiter müssen immer wieder aufs neue eingearbeitet werden. Das stört die Abläufe und belastet alle – Leiharbeiter wie Festangestellte.
»Man hat eigentlich keine Zukunft«, sagt ein Arbeiter der Zeitarbeitsfirma Dekra. Er ist seit vier Monaten bei Daimler eingesetzt. Doch auch sein Vertrag wird nicht verlängert. »Ich bin total enttäuscht. Nächste Woche bin ich wieder auf Hartz IV«, sagt er. An seiner Leistung könne es nicht liegen, er habe alle Arbeiten bereitwillig gemacht, sei nie krank gewesen. Krankschreibung ist für Leiharbeiter ohnehin ein Fremdwort. »Sobald jemand eine Woche krank ist, fliegt er«, berichtet einer. Er selbst sei einmal krank gewesen, dann aber so lange von seinem Meister bearbeitet worden, daß er dennoch zur Arbeit ging.
Für einen 36jährigen Vater zweier Kinder ist nach zehn Monaten als Leiharbeiter bei Daimler Schluß. Da er weniger als ein Jahr angestellt war, ist er sofort auf Hartz IV angewiesen. Der ausgebildete Kfz-Mechaniker hat sich vorsorglich bei einer anderen Zeitarbeitsfirma beworben. »Die zahlen aber nur 7,50 Euro in der Stunde – wie soll ich denn davon meine Familie ernähren?« Bei Daimler eingesetzte Leiharbeiter bekommen immerhin 16,50 Euro. Diese Aufstockung hat der Betriebsrat mit der Konzernspitze vereinbart, zumindest für die Produktion.
An Zetsches via Bild verbreiteter Behauptung, »Wir zahlen allen Arbeitern den gleichen Lohn«, ist dennoch nichts dran. Denn bei Schichtzuschlägen, Weihnachts- und Urlaubsgeld sind die Leiharbeiter weiterhin deutlich schlechter gestellt als die regulär Beschäftigten. »Die machen dieselbe Arbeit wie wir, verdienen aber viel weniger – das finde ich schlimm«, meint ein Bandarbeiter, der seit zehn Jahren fest bei dem Autobauer angestellt ist.
Für Mahmut ist es nicht die erste Leiharbeitsstelle – und nicht der erste Jobverlust. »Ich mache das jetzt schon seit vier Jahren, wechsele ständig den Arbeitsplatz. Ich weiß nicht, wie es weitergehen soll«, sagt er resigniert. Der 26jährige hat eine Tochter zu versorgen. Sein 31jähriger Kollege hat den Kinderwunsch aufgegeben. »Bei dieser Unsicherheit geht das einfach nicht.«
Den ehemaligen IG-Metall-Sekretär Stefan Dreher, der in Sindelfingen/Böblingen für Die Linke zur Landtagswahl kandidiert, veranlassen solche Fälle zu der Aussage, die Union begehe »Verrat an den konservativen Werten«. »Die Landesregierung spricht ständig davon, wie wichtig die Familie ist – und dann läßt sie zu, daß hart arbeitende Menschen nicht in der Lage sind, Kinder großzuziehen.«
Quelle: http://www.jungewelt.de vom 25.02.11
Comment: Wolfgang Huste – 25. Februar 2011 @ 14:59