Experten fordern eine Neuausrichtung der Drogenpolitik: weg von der
Illegalisierung, die viele Probleme hervorbringt, hin zu sinnvoller staatlicher
Kontrolle. Wie das aussehen könnte, erklärt Dirk Schäffer, Drogenreferent der
Deutschen AIDS-Hilfe, im Interview mit Holger Wicht und Holger Sweers
„Drogenverbote fordern Tote und fördern mafiöse Strukturen“, sagt Dirk Schäffer,
Referent für Drogen und Menschen in Haft bei der Deutschen AIDS-Hilfe (DAH).
Schäffer ist mit dieser Kritik nicht alleine: Schon lange weisen Experten darauf
hin, dass erst die Verbote den Drogenhandel zum Monopol krimineller Gruppen
gemacht haben – so zum Beispiel der niederländische Psychiater Frederic Polak,
Sprecher der „Europäischen Koalition für gerechte und effektive Drogenpolitik“
(ENCOD), die heftige Kritik an der Drogenverbots-Strategie der Vereinten
Nationen übt. Staaten hingegen, in denen der Gebrauch, die Produktion und teils
sogar die Weitergabe von Drogen legalisiert worden seien, hätten damit den
Schaden für die Gesellschaft messbar reduziert.
Auch bei JES, der bundesweiten Selbsthilfeorganisation und Interessenvertretung
von Junkies, Ehemaligen und Substituierten, hält man Drogenverbote und
Strafverfolgung für kontraproduktiv. Sie führten zu Kriminalisierung,
gesundheitlichen Schäden und Drogentodesfällen, während der angestrebte Rückgang
des Drogenkonsums weitgehend ausbleibe. Nötig seien stattdessen Angebote der
Überlebenshilfe – und „eine Neuausrichtung des Politikansatzes in Richtung einer
Legalisierung“, wie es in einer JES-Pressemeldung anlässlich der kürzlich
vorgestellten „Daten zur Rauschgiftkriminalität und zu den Drogentoten 2010 in
Deutschland“ heißt.
„Illegale Drogen gibt es nicht in geprüfter Qualität”
Über den Standpunkt der Deutschen AIDS-Hilfe (DAH) gibt DAH-Drogenreferent Dirk
Schäffer Auskunft.
Herr Schäffer, wir würden gerne zunächst einmal etwas genauer hinschauen, welche
Schäden durch die Illegalisierung von Drogen entstehen.
Bei den Konsumentinnen und Konsumenten der Drogen kommt es zu psychischen und
körperlichen Schäden, zum Beispiel zu HIV- und Hepatitis-Infektionen oder
Abszessen. Die sehen wir in den Drogenhilfen und Beratungsstellen Tag für Tag.
Die meisten körperlichen Schäden entstehen nicht in erster Linie durch die
Substanzen selbst, sondern durch gefährliche Streckmittel, durch unhygienische
Bedingungen, durch den Stress, dass man ständig von der Polizei aufgegriffen
werden kann, durch einen Mangel an sterilen Spritzutensilien, zum Teil auch
durch falschen Umgang mit Drogen. Weil Drogen illegalisiert werden, kann man sie
nicht „offiziell“ untersuchen, man kann also gewissermaßen keine „geprüfte
Qualität“ anbieten oder Leute vor gefährlichen Beimischungen warnen. Jahr für
Jahr sterben deshalb mehr als 1000 Menschen in Deutschland an den Folgen des
Konsums illegalisierter Drogen.
„Auch die Gesellschaft nimmt schweren Schaden.”
Ein häufiges Argument für das Verbot von Drogen lautet: Die Gesellschaft muss
sich schützen.
Auch der Gesellschaft entstehen durch die Illegalisierung große Schäden! Nehmen
wir die Beschaffungskriminalität als Folge der hohen Schwarzmarktpreise oder die
hohen Kosten für die Strafverfolgung und Inhaftierung. Etwa ein Drittel aller
Gefangenen in Deutschland sitzen aufgrund von Verstößen gegen das
Betäubungsmittelgesetz ein. Außerdem werden mit den immensen Erlösen aus dem
Drogenhandel mafiöse Organisationen und Strukturen finanziert – und das ist
nicht nur ein Schaden für die Wirtschaft und für die Gesellschaft, sondern auch
für die Demokratie.
Gemeinam mit vielen anderen fordern Sie deswegen eine grundlegende
Neuausrichtung der Drogenpolitik. Was aber heißt das genau?
Eine grundsätzliche Neuausrichtung bedeutet, nicht mehr auf Verbote und
Strafverfolgung zu setzen, um die Bürger zu schützen, sondern auf die Förderung
der Drogenmündigkeit und auf Legalisierung von Drogen. Wobei Legalisierung nicht
heißt „Drogen für alle zu jeder Zeit und überall“.
Sondern?
Die Übernahme der Kontrolle durch den Staat – weg von der Straße und der
Drogenmafia. Der Staat würde also seine Verantwortung für die Gesundheit der
Bürger übernehmen, indem er den heute völlig unkontrollierten Drogenhandel und
Drogenkonsum kontrolliert.
„Legalisierung heißt Kontrolle.”
Wie könnte das konkret aussehen?
Dafür gibt es verschiedene Modelle. Eins sieht zum Beispiel vor, dass Drogen in
sogenannten Drogenfachgeschäften verkauft werden. Diese Substanzen wären dann
geprüft und rein, sie würden keine gefährlichen Streckmittel enthalten, und es
würde auch nicht mehr zu Überdosierungen kommen, weil ja dann eine bestimmte
Menge „Stoff“ immer dieselbe Menge Droge enthält. Die Angestellten in solchen
Drogenfachgeschäften würden zu Risiken und Nebenwirkungen der Drogen beraten.
Dafür müssten sie ähnlich ausgebildet werden wie Pharmazeutisch-Technische
Assistenten, Apotheker oder Drogisten, zusätzlich aber auch als Berater und
Präventionsfachkräfte – und sie müssten sich ständig fortbilden. Sie wären an
Bestimmungen für den Drogenverkauf gebunden, müssten zum Beispiel auf den
Jugendschutz achten und dürften eine bestimmte Abgabemenge pro Einkauf und
Person nicht überschreiten. Finanzieren könnte man das Ganze über Steuern –
schließlich gibt es ja auch eine Alkohol- oder eine Tabaksteuer.
Und kurz darauf gibt’s dann den Internethandel oder Drogen im Supermarkt?
Nein, Legalisierung, wie wir sie verstehen, meint genau dies nicht. Wir finden
eben sehr wohl, dass der Jugendschutz umgesetzt werden muss und dass Drogen im
Straßenverkehr nichts zu suchen haben. Wie gesagt: Legalisierung heißt Kontrolle.
Besteht nicht das Risiko, dass viele Leute drogenabhängig werden, weil sie so
leicht an Drogen herankommen?
Hier eine Antwort zu geben, ist schon spekulativ. Aber die Erfahrungen aus den
Niederlanden mit der teilweisen Legalisierung von Cannabis haben gezeigt, dass
die Zahl der Konsumenten dort nicht gestiegen ist. Ähnliches gilt für Portugal.
Dort sind Drogen zwar offiziell illegal, der Besitz eines persönlichen Vorrats
für 10 Tage wird aber nicht mehr bestraft oder verfolgt – und das gilt nicht nur
für die „weichen“ Drogen wie Cannabis, sondern auch für die „harten“ Drogen wie
Heroin. Ich bin überzeugt, dass Menschen, die keine Affinität zum Rausch und zu
bewusstseinserweiternden Substanzen haben, auch dann nicht zu Drogen greifen
werden, wenn sie frei erhältlich sind. Außerdem wollen wir ja auch die
Drogenmündigkeit fördern, also schon früh über die Wirkungen und Risiken von
Drogen informieren.
„Abschreckung und Verfolgung wirken nicht. Unser Ziel ist Drogenmündigkeit.”
Sie trauen den Leuten eine Menge zu im Umgang mit Drogen!
Selbstverständlich muss man den Umgang mit Drogen „lernen“. Wie in vielen
anderen Bereichen reduziert man auch beim Drogenkonsum die Risiken, indem man
aufklärt und Selbstbewusstsein sowie Mündigkeit fördert. Hier müssen wir schon
die Jugendlichen dazu bringen, dass sie eigenständig und in verschiedenen
Alltagssituationen zum jeweils angemessenen Umgang mit Drogen finden. Dahinter
steht das Konzept der Drogenmündigkeit, für mich das Einzige, was Erfolg
verspricht – schließlich haben die letzten 30 Jahre gezeigt, dass Prävention
durch Abschreckung und Verfolgung nicht wirkt.
Im Moment stehen die Zeichen aber ja weiterhin auf Drogenverbot. Mit welchen
Maßnahmen könnte man in der Drogenpolitik zumindest etwas vorankommen?
Am Ziel der Legalisierung halten wir fest. Solange wir aber noch nicht dort
angekommen sind, müssen wir die Rahmenbedingungen verbessern, unter denen
Drogenkonsum heute stattfindet. Zum Beispiel durch Drugchecking-Projekte: Hier
können Menschen die Substanzen, die sie konsumieren wollen, vorher auf den
Reinheitsgehalt und Streckstoffe testen lassen. Außerdem müssen wir endlich in
allen Bundesländern Drogenkonsumräume etablieren – Studien zeigen, dass solche
Räume viele positive Effekte haben und unter anderem zur Senkung der
Drogentodesfälle beitragen.
„Das Wahlergebnis in Baden-Württemberg lässt uns hoffen, dass wir endlich
weiterkommen.”
Warum gibt es solche Räume dann noch nicht überall?
Weil die Einrichtung in der Hand der Länder liegt. In Bayern, Baden-Württemberg
und einigen anderen Bundesländern sind Drogenkonsumräume bisher politisch nicht
gewollt. Das Ergebnis der Landtagswahlen in Baden-Württemberg macht Mut, dass
wir hier endlich einen Schritt weiterkommen – hin zu Angeboten der
Überlebenshilfe für Drogengebraucher, anstatt sie zu verfolgen, in die
Illegalität zu treiben und ihre Gesundheit und ihr Leben zu gefährden.
Quelle: http://blog.aidshilfe.de/2011/03/29/%E2%80%9Edrogenfachgeschafte-statt-drogenverbote%E2%80%9C/
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