Wann immer ich von Christen angesprochen wurde in meinem Leben, beschlich mich ein seltsames Gefühl. Die sind schon freundlich, dachte ich, aber nicht einfach nur so – die wollen etwas von dir. Irgend etwas stimmt mit denen nicht; die sehen so bieder aus und kommen so pseudosanft rüber, aber dann werden sie übergriffig und besitzergreifend. Gibst du ihnen den kleinen Finger, nageln sie dir irgendwann beide Hände ans Kreuz. Warum wollen Christen so vieles wissen, das man allenfalls privat und absolut freiwillig erzählt? Und dann sind sie auch noch so seltsam gesellig, als müßten sie sich wechselseitig ihrer Existenz versichern. Ständig lächeln sie dich an und sagen: Komm zu uns, wir beißen nicht. Für Piranhas mit den dritten Zähnen mag das zutreffen. Ich möchte mir trotzdem ein Leben ohne öffentliche Ausstellung von Glauben erlauben, also eines ohne zudringliche Gläubische.
Dresden, ein Ort vielfältiger Heimsuchungen und Schrecken, wird in diesen Tagen von Alliierten Christenverbänden angegriffen. Die Stadt hat Kirchentag, Hilfe ist nicht in Sicht. Die Evangelischen finden sich ein, mit Brotschuh oder Sandale am Fuß zelebrieren sie Bibelkreistanz und Abendmahlssalat. Haben die kein Zuhause? Muß jeder Privatwahn an die Öffentlichkeit? Ist das Leben eine Talkshow? Ist Christentum nur ein anderes Wort für Exhibitionismus? Und kommen dann wenigstens auch die Löwen? Im Verhältnis eins zu eins?
Die Frage ist nicht abwegig; Christen meinen es gut mit Tieren: Eine Veranstaltung auf dem Dresdner Kirchentag heißt »Bruder Bulle – Schwester Huhn. Eine theologische Reflexion von Dr. Rainer Hagencord, Leiter des Instituts für Theologische Zoologie, Münster«. Theologische Zoologie? Gibt es das wirklich? Kann man so etwas studieren? Und lernen die Tiere in der Wald-, Wiesen- und Savannenuniversität im Gegenzug zoologische Theologie? Müssen sich Cousine Eichhörnlein und Schwager Springbock kreuzigen lassen? Ohne ein verschärftes Bedürfnis nach Kitsch und Irrsinn gäbe es keine Religion.
Kitsch ist ein anderes Wort für fromme oder schöne Lügen, und die werden reichlich erzählt, wenn ein Kirchentag sich breitmacht. Es handelt sich ja nicht um ein Treffen komasäuferischer Radaubrüder im Fußballwahn; im Namen des Herrn geht alles nicht mit den, sondern mit dem Rechten zu. Der Kirchentag ist biodynamisch durchorganisiert, nicht einmal Deutschlands ehemalige Superchristin Margot Käßmann reist mit dem Auto an. Gott allerdings konnte wegen ökologischer Bedenken nicht eingeladen werden; der ältere Herr fährt einen rasanten Fiat Lux – oder, wenn man ihn wieder einmal für tot erklärt hat, wenigstens einen Tempi Passati.
Sein Fehlen wird auf dem Dresdner Kirchentag nicht bemerkt werden; die Guten haben genug mit ihrem eigenen Gutsein zu tun, und wo Energiesparfunzeln angebetet werden, ist kein Licht. Davon profitieren als Kirchentagsteilnehmlinge auch die Grünen Cem Özdemir und Renate Künast, die Theodor Adorno Lügen strafen wollen und tapfer behaupten: Doch, es gibt ein richtiges Leben im falschen. Seht uns nur an, wir machen das jeden Tag! Die meisten erkennen den Hörfehler erst später: Es gibt ein richtiges Leben mit Flaschen. Ob man für Grüne auch Pfand bekommt?
Grüne und Christen liegen ohnehin nah beieinander, nicht nur in der Kleiderunordnung, sondern vor allem beim Heucheln. Ausbeutung heißt »Fair Trade«, und Kriege werden gut: Was nicht gerecht ist, wird eben gerecht gemacht. Der Kreuzfahrer light heißt Glaubetrotter. Drückt und zwackt ihn das Gewissen, wird er ein kritischer Christ – eine ganz besonders fatale Erscheinung mit Hang zum christlichen Kabarett. Für Bedürfnisse dieser Art stehen ein Dresden ein »Prof. Dr. Okko Herlyn, Duisburg« ebenso zur Verfügung wie die »Avantgardinen, Nürnberg«, der »Klüngelbeutel, Köln« und der unvermeidliche Überallmitschnacker Dr. Hirschhausen, der auch die Organisation »Humor hilft heilen« gründete. Läge ich im Spital und ein Heilclown juxte mich an, ich stürbe direkt am Hirnschlag.
Christenaufmärsche sind nicht nur sprachlich und kopfmäßig eine Tortur, sondern auch politisch. »Demokratie lernen nach dem Kommunismus« darf man in Dresden auch, mit »Dr. h.c. Lothar de Maizière, Ministerpräsident DDR 1990, Berlin« und »Dr. Dr. h.c. Reinhard Höppner, Magdeburg«. Möchte man sich von solchen Ehrendoktoren verkunstfehlern lassen? Oder ist das Gnadenbrot?
Der Christentag stellt sogar noch drängendere Fragen: »Darf man Nazis konfirmieren?« Wer will das wissen und warum? Wüßte Bomber Harris eine Antwort darauf? Oder Wladimir Kaminer, der mit seiner »Russendisco« selbstverständlich auch dabei ist, unter dem Titel »Tanzen bis zum Ende«. Möge bitte wenigstens das keine leere Versprechung sein.
Warum Religion? Wer, außer Sektenangehörigen, braucht Sekten? Martin Luther war der Mann, der die Menschheit in das Elend des Protestantismus stürzte, als diese gerade das grausame Joch des Katholizismus abwarf. Alle Welt hätte sich von der Knechtschaft befreien können, doch dann kam ein gläubischer Extremist und verkündete: Religion zurück auf Los, marsch, marsch, jetzt machen wir wieder ernst mit der Quälerei. Luther war ein Vorgänger Bin Ladens, die Zahl seiner Opfer ging schon zu seinen Lebzeiten in die Hunderttausende.
Am 14. Mai starb Michael John, der die Erfurter Herbstlese erfand und dann auch noch die Erfurter Frühlingslese organisierte. Ich freute mich immer, von ihm eingeladen zu werden, und ich weiß noch genau, was er bei unserer letzten Begegnung am 27.März zu mir sagte: »Man kann gegen die DDR eine Menge sagen, aber diese penetranten Christen hat sie gut in Schach gehalten und zurückgedrängt. Und aus Rache dafür sitzt hier seit 1989/90 auf jedem zweiten Stuhl ein Christ, hat von nichts eine Ahnung, redet aber überall mit, will bestimmen und nervt.«
Kann man es treffender sagen? Daß Frauen ihre Tage haben, ist nicht zu ändern. Mit Kirchentagen verhält es sich anders, die sind organisiert. Wo kriegt man auf die Schnelle 500000 Löwen her?
Quelle: www.jungewelt.de vom 03.06.11
« Oskar Lafontaine befaßte sich beim Marx21-Kongreß mit der öffentlichen Diskussion zu drei Reizvokabeln: Kommunismus, Antisemitismus, Trotzkismus. – Marschbefehl für Merkel. Von André Scheer »
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Es ist klug, einen schlechten Text als Polemik zu verkaufen. Es wäre besser, die Zeit der Leser nicht mit solchem Stuss zu vergeuden. Wäre Droste ein guter Beobachter und ein talentierter Schreiber, hätte er Momente des Kirchentags überspitzen können. Leider ist er es nicht, käut Klischees über Christen wieder und langweilt maßlos.
Kommentar: Robert Stadel – 11. Juni 2011 @ 16:02