Wolfgang Huste Polit- Blog

Reaktionär von Format. Warum die Währungsunion scheitert. Zur Verleihung des Aachener Karlspreises an den ­scheidenden Chef der Europäischen Zentralbank, Jean-Claude Tricheton. Von Lucas Zeise

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Der Aachener Karlspreis, traditionell an Himmelfahrt übergeben, geht 2011 an den Präsidenten der Europäischen Zentralbank, Jean-Claude Trichet. In der Begründung des Direktoriums der Gesellschaft für die Verleihung der nach Karl dem Großen benannten Auszeichnung heißt es, Trichet habe »herausragende Verdienste um den Zusammenhalt der Währungsunion und den Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit des europäischen Binnenmarktes als Grundstein unseres Wohlstands und sozialer Sicherheit« vorzuweisen. Wir veröffentlichen, leicht gekürzt, eine Rede von Lucas Zeise auf der vom Aachener Antikriegsbündnis organisierten Gegenveranstaltung zwei Tage vor der Preisverleihung.

Es gibt viele Gründe, warum wir sagen können, daß Jean-Claude Trichet den Karlspreis verdient hat, den er übermorgen in dieser Stadt in Empfang nehmen wird. Diesen Preis erhalten Jahr für Jahr Personen – manchmal auch Institutionen –, die an der Schaffung eines reaktionären und unsozialen Europa mitgewirkt haben. Den Preis gibt es schon lange. Schon viele Karlspreisträger haben aktiv an der Schaffung eines solchen EU-Europa mitgewirkt, das man vielleicht am besten vergleichen kann mit dem Europa nach dem Wiener Kongreß, das von der katholisch-reaktionären Allianz von Kaiser, Königen und Fürsten unter Führung des Österreichers Metternich gegen die Völker Europas errichtet wurde. Man kann den Karlspreisträgern gratulieren. Sie sind schon ganz schön weit mit der Errichtung eines undemokratischen Metternich-Europas gekommen.

Ohne Zweifel reiht sich der diesjährige Preisträger, der Präsident der Europäischen Zentralbank Jean-Claude Trichet, würdig in die Liste dieser Reaktionäre ein. Er hat diese Ehrung in zwiefacher Weise verdient. Erstens ad personam. Die Konservativen schmücken ihre Reden gern mit lateinischen Ausdrücken, um den Plebs – also das Volk – zu verwirren und zugleich zu beeindrucken. Ein bißchen wollen wir es auch so halten. Also erstens ad personam – das soll hier heißen Herr Trichet hat den Preis auch ganz persönlich verdient. Er war und ist mit vollem Engagement »konservativer Zentralbanker«. Dieser Ausdruck ist nicht, wie man vermuten könnte, nur eine politische Charakterisierung. Es ist sozusagen ein Fachausdruck und zugleich ein Wort der Anerkennung unter Gleichen, die ebenfalls aus diesem harten konservativen Holz geschnitzt sind.
In deutscher Tradition
Der konservative Zentralbanker ist einer, der im Zweifelsfall lieber restriktiv handelt, der lieber die Zinsen anhebt als senkt, der lieber eine Rezession in Kauf nimmt, als auch nur ein Fitzelchen Inflation zuzulassen, der höhere Löhne prinzipiell für verwerflich hält und für den Staatsausgaben, gar solche für Soziales, immer zu hoch sind. Die Figur des konservativen Zentralbankers bedeutet allerdings auch, daß ein solcher aufrechter Mann nicht weiß, was er tut. Er nimmt die oben skizzierten Haltungen ein, weil er keine vernünftige ökonomische Theorie zur Verfügung hat, anhand der sich beurteilen ließe, welche Geldpolitik er betreiben soll. Der konservative Zentralbanker ist also zutiefst ignorant – lateinisch für ahnungslos–, nimmt aber gerade deshalb eine entschlossene, ja stramme Haltung ein.

Trichet hat sich persönlich zu dieser Haltung bekannt. Und zwar zur härtesten Tradition des konservativen Notenbankertums, der deutschen Tradition. Vor bekennendem konservativen Publikum zeigt er kalkuliert Rührung, wenn er erzählt, wie die Herren Helmut Schlesinger (Chefvolkswirt der Bundesbank bis 1991, danach ihr Präsident) und Hans Tietmeyer (Präsident der Deutschen Bundesbank von 1993 bis zur Währungsunion 1999) ihn, den Weichwährungsfranzosen, in Schlesingers hübscher Villa am Tegernsee in den Bund der Hardliner aufgenommen und sozusagen adoptiert hatten. Nur noch ein Wort über diese beiden: Schlesinger hat 1992, im selben Jahr, als die Währungsunion in Maastricht beschlossen wurde, keine Hemmungen gezeigt, durch extrem hohe Zinsen und scharfe Worte die italienische Lira und das britische Pfund aus dem damaligen Wechselkurssystem in Europa herauszukatapultieren. Tietmeyer war 1982 der böse Geist hinter dem Lambsdorff-Papier, das mit seinem neoliberalen Programm die sozialliberale Regierung sprengte und die schwarz-gelbe Koalition unter Helmut Kohl installierte. Heute ist der Mann Kuratoriumsvorsitzender bei der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft, der Propagandamaschine der Metallunternehmer.

Jean-Claude Trichet bekennt sich zu dieser deutschen Tradition, derzufolge die Löhne und Sozialleistungen nicht niedrig genug, die Gewinne der Unternehmen aber nicht hoch genug sein können. Ohne ein solches Bekenntnis hätte er nicht Chef der Europäischen Zentralbank werden können. Um zu zeigen, daß Trichets Bekenntnis zu dieser Tradition keine hohle Phrase, sondern bitterer Ernst ist, hier eine Episode aus der Anfangsphase der Finanzkrise:

Frühjahr 2008. Die Finanzkrise ist etwa neun Monate alt. Der Geldmarkt streikt. Die Banken werden, damit sie nicht umkippen, von der Europäischen Zentralbank direkt mit soviel Geld versorgt, wie sie es brauchen. Die amerikanische Notenbank Fed hat die Zinsen mehrfach gesenkt. Großbanken wie die amerikanische Citibank (damals die größte Bank der Welt) oder die Schweizer UBS (damals und auch heute wieder der größte Vermögensverwalter der Welt) sind dem Untergang nahe. Die Fed verschenkt die New Yorker Investmentbank Bear Stearns, die praktisch pleite ist, samt einer erheblichen Mitgift aus Garantien. Die IKB falliert und wird vom deutschen Staat aufgefangen. Die USA haben schon ein Rezessionsquartal hinter sich. Zugleich aber steigen die Rohstoffpreise. Die Preise für Energie schieben die Inflation in Deutschland über drei Prozent. Die Lage ist der jetzigen nicht unähnlich. Da ergreift der damalige Präsident der Bundesbank, Axel Weber, die Initiative. Er warnt, er trommelt, er raunt. Auch Weber weiß, daß die Sprünge der Rohstoffpreise zu einem Gutteil von spekulativem Fluchtgeld aus Subprime-Krediten verursacht werden. Er weiß, daß steigende Ölpreise nicht mit höheren Zinsen in Europa bekämpft werden können. Er weiß auch und hat das schon in vielen Reden selber gesagt, daß die Inflation, wenn überhaupt, nur im Vorfeld von einer vorausschauenden Notenbank effektiv bekämpft werden kann, nie jedoch hinterher. Dennoch kämpft Weber im EZB-Rat und außerhalb für eine Leitzinserhöhung. Was macht Trichet? Er folgt, wie er es versprochen hat, den Forderungen des Deutschen. Im Juli hat Weber sein Ziel erreicht: Die Länder der Währungsunion starten im Sommer 2008 in die tiefste Wirtschaftskrise seit Jahrzehnten dank Webers Einsatz und Trichets Folgsamkeit mit einer geldpolitischen Bremsmaßnahme. Eine Verrücktheit. (…)
Heiliger Kapitalverkehr
Nun wird Herr Trichet diesen ehrenvollen Karlspreis nicht nur persönlich erhalten, weil er – wie die Italiener sagen – eine »bella figura« macht, wenn er den EU-Parlamentariern, den Presseleuten und den Bankern die weisen Entschlüsse des Rates der Europäischen Zentralbank verkündet. Nein, Trichet erhält den Preis auch stellvertretend für die Institution, der er vorsteht. Wir sind sicher, daß wir die ehrenwerte Jury richtig interpretieren, wenn wir feststellen: Sie gratuliert sich selbst und allen standhaften Konservativen und zugleich Neoliberalen für die grandiose Einrichtung Europäische Zentralbank und die brillante Erfindung und Einrichtung des Euro. Der Euro hatte diesen Preis ja schon einmal – im Jahr 2002 – erhalten. Damals war die Währung noch jung und frisch. Sie war nach drei Jahren Probelauf im Geschäft unter Banken und an den Börsen auch den Bürgern als druckfrisches Erzeugnis ausgehändigt worden.

Quasi in Klammern dazu die Anmerkung, daß auch 2002 die Länder der Währungsunion in wirtschaftlichen Schwierigkeiten steckten. Der Aktienmarkt war im Frühjahr 2000 eingebrochen. Die Talfahrt der Börsenkurse hielt bis ins Frühjahr 2003 an. Von 2001 bis 2005 dauerte die wirtschaftliche Stagnationsphase. Die EZB unter der Präsidentschaft Wim Duisenbergs und unter Anleitung ihres damaligen Chefvolkswirts Otmar Issing war schon am damaligen Finanzcrash und an der vorausgegangenen ungeheuerlichsten Aktienspekulation der kapitalistischen Geschichte natürlich vollkommen unschuldig. Die Herren und ganz wenigen Damen im EZB-Rat – unter ihnen der diesjahrige Karlspreisträger als Chef der Banque de France – weigerten sich, diese ungeheure Spekulationswelle überhaupt zur Kenntnis zu nehmen. Professor Issing verbrämte diese Haltung mit akademisch-skeptischer Attitüde: Es sei überhaupt unmöglich, eine Spekulationsblase als solche zu diagnostizieren. Noch frecher war die Untätigkeit der EZB-Führung mit Blick auf die Bekämpfung der Stagnation. Obwohl die USA vom Spekulationsboom samt nachfolgendem Aktiencrash mindestens ebenso betroffen waren wie Europa, kamen sie schneller aus der Rezession, weil die US-Notenbank eine nicht ganz so verbohrt konservative Zinspolitik betrieb wie die europäisch-deutsche.

Mit der Finanzkrise ab 2007, mit der wir es immer noch zu tun haben, ist die Notenbank auf noch intimere, eine geradezu innige Weise verbunden. Denn es ist eine Krise der Banken und des Bankenkredits. Und es ist eine Krise, die direkt der Deregulierung und der völligen Freizügigkeit des Kapitalverkehrs entspringt. Wir ahnten schon seit der gescheiterten Verfassung der EU; seit dem sie ersetzenden, inhaltsgleichen Lissabon-Vertrag aber wissen wir, daß das allerheiligste der Grundrechte dieser Staaten- und Wertegemeinschaft die Freiheit des Kapitalverkehrs ist. Das Wort Kapitalverkehr klingt ja so freundlich, es erinnert ein wenig an den Straßenverkehr, besser noch an den emotional freundlich besetzten Geschlechtsverkehr. Die Freiheit des Kapitalverkehrs ist aber ein gefährlich Ding. Sie erlaubt es dem Kapital, noch beweglicher zu sein als ohnehin. Sie hat viel dazu beigetragen, daß der Finanzmarkt in Europa und auf dem gesamten Globus die führende Rolle in der Wirtschaft übernommen hat, so daß wir mit Recht im Gefolge des Ende 2009 gestorbenen klugen marxistischen Ökonomen Jörg Huffschmid vom »finanzmarktgesteuerten« Kapitalismus sprechen.

Am Finanzmarkt nun spielen die Notenbanken schon rein praktisch eine wichtige Rolle. Denn sie geben das Geld heraus, sie »emittieren« es, um mal wieder mit einem lateinischen Fremdwort zu sprechen. Das Kapital, das sich so frei auf den Finanzmärkten bewegt, tritt dort ja in Form des Geldes auf. Um beweglich zu sein, um jeden spekulativen, potentiellen Gewinn auch mitnehmen zu können, um sich aus Märkten mit fallenden Preisen schnell verabschieden zu können, bleibt es möglichst in Form des Geldes, des Wertpapiers. Da wird dann eben wenig in Fabriken, Maschinen und Arbeitskräfte real investiert. So kümmert im realen Neoliberalismus die Realwirtschaft über längere Perioden stagnativ dahin. Der Finanzmarkt aber bläht sich auf – so lange, bis er platzt.

Die Notenbanken – also nicht speziell die EZB –, sondern alle Notenbanken in allen derzeit existierenden kapitalistischen Ländern haben nun zwei Eigenheiten entwickelt, die die Aufblähung des Finanzmarktes systematisch begünstigt. Erstens reden und handeln sie so, als sei die Stabilität des Geldes und des Finanzsektors nur von der gemeinen Teuerung oder Inflation bedroht, nicht jedoch von der überbordenden Finanzspekulation oder, anders ausgedrückt, von zu stark steigenden Preisen von Finanz- und Eigentumstiteln. Um ihren Feind Inflation zu bekämpfen, würgen sie dann, wenn die Preise und vor allem die Löhne ihrer Auffassung nach zu stark steigen, von Zeit zu Zeit mittels hoher Zinsen die Konjunktur ab. Die steigende Arbeitslosigkeit sorgt dann dafür, daß der Lohnanstieg gebremst wird. Da die breite Masse der Menschen damit weniger Geld zur Verfügung hat, bleibt die Nachfrage nach Gebrauchsgütern schwächlich, was den Preisauftrieb dämpft. Eine erfolgreiche Methode der Zentralbanker, sollte man meinen. Wenn auf der anderen Seite die Preise für Finanztitel kräftig steigen, sehen sich die Zentralbanken nicht veranlaßt, dagegen etwas zu unternehmen. Sie lassen im Gegenteil die Spekulation gern zu und zeigen sich immer wieder extrem sensibel, um die Investoren am Aktien-, Renten- und Devisenmarkt nur ja nicht zu erschrecken. Die Politik der Notenbanken ist also von einer systematischen Asymmetrie gekennzeichnet. Sie ist deshalb ein wichtiger Motor der Umverteilung von unten nach oben.
Auf der Kippe
Als wäre das noch nicht genug, haben die Zentralbanken die Geldschöpfung, die eigentlich ihr Privileg ist, den gemeinen Geschäftsbanken überlassen. Jedes Mal, wenn eine Geschäftsbank einen Kredit gewährt, wird Geld, das bei uns übliche Kreditgeld, geschaffen. Das funktioniert allerdings nur deshalb, weil die Bank, wenn sie zum Beispiel nicht genug Kundeneinlagen zur Verfügung hat, um den Kredit auch auszubezahlen, sich Geld jederzeit von anderen Banken auf dem sogenannten Geldmarkt besorgen kann. Und dieser Markt funktioniert nur deshalb in der Regel, das heißt in Zeiten, wenn es gerade keine Finanzkrise gibt, so geräuschlos und gut, weil die Zentralbanken alle fehlenden Beträge zur Verfügung stellen. Dabei gelten zwei Randbedingungen. Erstens, die Banken müssen für die Kredite, die sie von der Notenbank erhalten, selbstverständlich Sicherheiten stellen. Sie verlangen das in der Regel ja auch von ihren Kunden. Zweitens setzt die Zentralbank die Zinsen fest, zu denen die Banken diese Kredite erhalten. Dieser Zins setzt sich auf dem Bankenmarkt in der Regel durch und bestimmt so das Zinsniveau in der gesamten Volkswirtschaft. Mit dem Zins beeinflußt die Zentralbank nur indirekt das Ausmaß der Kreditvergabe in der Gesamtwirtschaft.

Es ist ja wahrscheinlich ganz geschickt, die Entscheidung, welcher Bürger und Kapitalist in welcher Höhe Kredit erhält, dezentral von großen und kleinen Kreditinstituten treffen zu lassen. Das Ausmaß der Kreditvergabe aber insgesamt nicht zu kontrollieren, hat sich als schwerer Fehler erwiesen. Die Zentralbanken haben in den vergangenen Jahrzehnten die Kreditvergabe der Banken praktisch nicht mehr unter Kontrolle gehabt. Schlimmer noch, sie haben es abgelehnt, die Kontrolle zu übernehmen, obwohl sie genau beobachtet haben, daß das Kredit- und Geldvolumen und damit der Finanzsektor jedes Jahr um ein Mehrfaches so schnell wuchs wie die reale übrige Wirtschaft. Man kann das auch weniger feinsinnig ausdrücken: Die Zentralbanker vertreten systematisch die Interessen der großen Geschäfts- und Investmentbanken. Sie stecken mit ihnen unter einer Decke. Sie gehören zu den Hauptschuldigen an dieser Finanzkrise. Deshalb haben sie auch allesamt – nicht nur Herr Trichet – den reaktionären Karlspreis ehrlich verdient.

Schließlich dürfen bei der Würdigung des Preisträgers einige Sätze zum Zustand Europas, zur europäischen Einigung und zur Währungsunion nicht fehlen. Dabei von einer schweren Krise zu reden, ist noch untertrieben. Konjunkturell befinden sich einige Randländer der EU wie beispielsweise Großbritannien, Griechenland, Portugal, Spanien und Irland in einer Abwärtsphase. In anderen Ländern wie Frankreich, Deutschland und den Niederlanden geht mit der Verlangsamung der Weltkonjunktur ein Zwischenhoch allmählich zu Ende. Die politischen Institutionen der EU und der Währungsunion durchleben schwere Turbulenzen. Diese Währungsunion steht auf der Kippe. Es könnte sein, daß sich der Karlspreis für Herrn Trichet als Abschiedsmemento herausstellt. Er wenigstens dürfte seine Amtszeit als EZB-Präsident bis zum offiziellen Ende Oktober dieses Jahres noch aussitzen. Ob sein wahrscheinlicher Nachfolger im Amt, der Italiener Mario Draghi, volle acht Jahre amtieren wird, ist eher unwahrscheinlich.

So eine einheitliche Währung ist eigentlich eine feine Sache. Die vom Devisenmarkt produzierten, oft irrationalen Preisschwankungen der Wechselkurse werden vermieden. Seit Anfang der 70er Jahre des vorigen Jahrhunderts das System der festen Wechselkurse mit dem Dollar als Leitwährung auseinandergebrochen war, haben die europäischen Staaten immer neue Versuche gestartet, ein stabiles Währungssystem wenigstens der wichtigsten Währungen auf diesem Kontinent herzustellen. Die deutschen Regierungen seit damals haben das Ziel des einheitlichen Währungsraumes mit großer Beharrlichkeit verfolgt. Das ist auch einsichtig, denn gerade die deutschen Unternehmen haben das größte Interesse an einem gemeinsamen heimischen Binnenmarkt direkt vor der Haustür. Wenn die Exporteure von Autos oder Maschinen jederzeit mit einer Abwertung der Währung des Abnehmerlandes, also zum Beispiel der italienischen Lira, rechnen müssen, können sie die Preise, den Absatz, den erzielten Gewinn und Investitionen schlecht planen. Ein großer Währungsraum ist volkswirtschaftlich zunächst ein Segen.

Allerdings gilt auch, daß die Aufgabe nationaler Währungen Schutzschranken einreißt. In einer Währungsunion setzt sich das kapitalistische Gesetz besser durch, wonach die Starken stärker, die Schwachen dagegen immer schwächer werden. Durch gelegentliche Abwertungen der Lira oder der Pesete konnten sich die zum Teil eher schwächlichen Unternehmen in beispielsweise Italien oder Spanien vor der hereindrängenden relativ starken Konkurrenz aus aller Welt schützen. Dem hat die gemeinsame Währung Euro planvoll ein Ende bereitet. Man sollte sich also nicht wundern, daß nach zwölf Jahren Währungsunion eine immer stärker divergierende Entwicklung zu beobachten ist. Die starken, mächtigen Konzerne, die ihren Sitz meist in Westdeutschland, Frankreich und den Niederlanden haben, verdrängen die schwächeren auf den heimischen Märkten Italiens, Spaniens, Portugals und Griechenlands.
Transferunion …
Als die Währungsunion entworfen wurde, wußte man oder hätte wissen können, daß sie auf Dauer nur funktionieren kann, wenn ein Ausgleichsmechanismus die Wirkung des marktwirtschaftlichen Wolfsgesetzes mildert. Das funktioniert ja mehr oder weniger gut auf nationaler Ebene. Die Umverteilungsfunktion des Staates sorgt dafür, daß die schwächeren Regionen eines Landes nicht komplett ausbluten. Wir haben es bei normalen Staaten mit einer Transferunion zu tun.

Eine Transferunion auf europäischer Ebene aber sollte gerade vermieden werden. Die deutschen Unternehmen, damit auch die deutsche Regierung und, nicht zu vergessen, die deutschen Bundesbanker wollten keine Währungsunion, in der der stärkste Partner auch am meisten zahlen müßte. Sie wollten eine billige Währungsunion, die möglichst gar nichts kostet. Sie erfanden deshalb eine karge Union, die nur eine zusätzliche Institution, die hier geehrte Europäische Zentralbank, aufwies. Der Währungsraum erhielt keine gemeinsamen Steuern, kein gemeinsames Budget, keine gemeinsame Wirtschaftspolitik und schon gar keine Ausgleichsmechanismen, die dem Ausbluten der schwachen Regionen und Länder hätten entgegenwirken können.

Wahrscheinlich wäre alles noch eine Weile so weitergegangen, hätte es nicht die Finanzkrise gegeben. Sie veranlaßte die Staaten, ihre jeweils nationalen Banken zu stützen und die Schulden des wuchernden Finanzsektors selbst zu übernehmen. Zugleich aber wurde es für die schwächeren unter den Staaten innerhalb und außerhalb des Euro schwer, die Defizite ihrer Staatshaushalte zu finanzieren. Die ganz gewöhnlichen Finanzinvestoren, die Banken und Versicherungen begannen, die Möglichkeit einzukalkulieren, daß einer dieser Staaten, beispielsweise Griechenland, die aufgenommenen Kredite nicht oder nicht in voller Höhe würde bedienen können, deutlicher gesagt, pleite gehen könnte.

Sie werden sich alle daran erinnern, welches Geschrei darüber angestimmt wurde, daß nun die Währungsunion doch teurer wurde als gedacht. Sie werden sich auch daran erinnern, als die Griechenland-Krise vor einem Jahr ihrem ersten Höhepunkt zustrebte, wie Kanzlerin Merkel zunächst jede Finanzierungshilfe für Griechenland unter Hinweis auf die europäischen Verträge rundweg ablehnte. Sie und unser hochgeehrter Herr Trichet überboten sich vielmehr in Forderungen an die Griechen, möglichst rigorose Budgetkürzungen und antisoziale Sparprogramme durchzusetzen. Herr Trichet lehnte damals den naheliegenden Vorschlag ab, daß seine EZB die Staatsanleihen der Griechen kaufen sollte, um der Pleiteangst des Finanzmarktes etwas entgegenzusetzen und Defizite wenigstens teilweise zwischenzufinanzieren. Frau Merkel und Herrn Trichet, beide hat die Realität ein klein wenig gelehrt. Erstere hat riesigen Rettungsfonds für Euro-Problemländer zugestimmt und ist gerade dabei, die unwilligen konservativen Parteimitglieder von der Notwendigkeit zu überzeugen, den Kredit an Griechenland noch aufzustocken. Herr Trichet läßt seine Bank nun doch griechische und auch andere Staatsanleihen kaufen. Ein wenig spät kommt diese Einsicht. Zu spät, um noch viel zu nutzen. Immerhin gerieten die beiden zu Recht in panische Angst, die Währungsunion könne zerplatzen.

Diese Gefahr ist höchst real. Wenn eines der Euro-Länder sich entschließt, seine Staatsschulden nicht mehr zu bedienen, werden die anderen Wackelkandidaten keine Schulden mehr aufnehmen können. Das wenigstens haben Trichet und seine Kollegen im Rat der EZB gut erkannt. Das gegenwärtige System, wonach jedes Euro-Land einzeln um Kredit an den Finanzmärkten nachsucht, wird sich dann als das erweisen, was es in Wirklichkeit schon jetzt ist. Es ist nicht durchzuhalten.
… und Umschuldung
In dieser Krise der Währungsunion sind die Neoliberalen und Konservativen, die ja die Politik in den Ländern der EU maßgeblich bestimmen und deshalb gern die in Aachen vergebenen Karlspreise abgreifen, tief gespalten. Sie wirken ein wenig ratlos. Wir wollen den Tag nicht verstreichen lassen, ohne ihnen wenigstens ein paar Tips gegeben zu haben, wie sie aus der schwierigen Lage kommen können.

Fangen wir mit dem wichtigsten an: Die Währungsunion kann nur weiterbestehen, wenn sie durch eine gemeinsame Fiskal- und Wirtschaftspolitik der Euro-Länder eingerahmt wird. Anders gesagt, die Euro-Zone müßte zu einer wirklichen Transferunion ausgebaut werden. Wer da einwendet, die deutschen (sowie niederländischen und finnischen) Wähler würden einen solchen Kurs nicht tolerieren, sollte es einmal mit einem Programm für höhere Löhne und bessere Sozialleistungen, bezahlt durch höhere Unternehmens- und Vermögenssteuern versuchen. Der Ausgleich innerhalb der EU würde also nicht dadurch geschaffen, daß bei den griechischen und portugiesischen Beschäftigten, Rentnern und Arbeitslosen gekürzt wird, sondern daß hierzulande die Kosten der Unternehmen steigen. Das wäre beim breiten Publikum durchaus populär.

Zweitens: Die akute Finanzierungskrise der Staaten wird sich ohne eine Umschuldung nicht lösen lassen. Dabei haben Trichet und seine Kollegen ausnahmsweise recht, wenn sie darauf hinweisen, daß der Bankensektor eines umschuldenden Landes umkippt, daß zugleich die Banken und Versicherungen in den Gläubigerländern in Gefahr geraten und daß, drittens, die Umschuldung in einem Land das Mißtrauen der Finanzinvestoren in alle anderen Euro-Länder verstärkt. Der weltweite Finanzmarkt würde damit vermutlich stärker erschüttert als durch die Pleite von Lehman Brothers im Herbst 2008. Die Konsequenz aus dem gemalten düsteren Bild kann allerdings nicht lauten, die Umschuldung einfach zu vermeiden. Das wird nicht gehen. Die bisherige Taktik, sie zu verschieben, verlagert die drohenden Verluste nur von den Privaten zu den anderen Staatshaushalten. Es bleibt nur eine große Lösung: Ein Schuldenschnitt für alle europäischen Staaten.

Wer sollte ein solches Programm politisch durchziehen? Wer kann es? Wer will es? Der Blick wird leer. So ökonomisch nützlich eine gemeinsame Währung auch sein mag, wir müssen Jean-Claude Trichet anläßlich seiner Ehrung zurufen: Dein Wirken wird umsonst gewesen sein. Die Währungsunion wird scheitern. Und, lieber Jean-Claude, sie wird an der verrückten verfehlten Politik von Leuten Deines Schlages scheitern.

Lucas Zeise ist Finanzkolumnist der Financial Times Deutschland. Zuletzt erschien von ihm »Geld – der vertrackte Kern des Kapitalismus«, 192 Seiten, brosch., 12,90 Euro, PapyRossa Verlag, Köln 2010 (auch im jW-Shop erhältlich)

Den Artikel finden Sie unter: http://www.jungewelt.de/2011/06-06/001.php

(c) Junge Welt 2011

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Dieser Beitrag wurde am Mittwoch, 08. Juni 2011 um 13:17 Uhr veröffentlicht und wurde unter der Kategorie Blog abgelegt. Du kannst die Kommentare zu diesen Eintrag durch den RSS-Feed verfolgen.

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Ein Kommentar

  1. „Die Zukunft vorherzusagen, ist unmöglich, und alle derartigen Versuche wirken – wenn sie ins Detail gehen – schon wenige Jahre später lächerlich. Dieses Buch hat ein realistischeres, zugleich aber auch anspruchsvolleres Ziel. Es versucht nicht, die Zukunft zu beschreiben, sondern die Grenzen abzustecken, innerhalb derer mögliche Zukunftsentwicklungen liegen müssen. Wenn wir die kommenden Jahrhunderte einmal als unerforschtes, kartographisch noch nicht erfasstes Land ansehen wollen, so will ich versuchen, dessen Grenzen zu vermessen und eine gewisse Übersicht über die Ausdehnung zu bekommen. Die detaillierte Geographie des Landesinneren bleibt unerforscht – bis wir einmal dort sind.
    Von wenigen Ausnahmen abgesehen, beschränke ich mich auf einzigen Aspekt der Zukunft – auf ihre Technologie, nicht auf die Gesellschaft, die darauf basieren wird. Das ist keine so starke Einengung, wie es zunächst erscheinen mag, denn die Wissenschaft wird die Zukunft noch mehr beherrschen, als dies schon gegenwärtig der Fall ist. Außerdem sind Voraussagen überhaupt nur auf diesem Gebiet möglich. Für die wissenschaftliche Extrapolation gelten immerhin einige allgemeingültige Gesetze, während das bei Politik und Wirtschaft nicht der Fall ist.
    Ich glaube – und hoffe – auch, dass Politik und Wirtschaft in der Zukunft nicht mehr so wichtig sein werden wie in der Vergangenheit. Die Zeit wird kommen, wo die Mehrzahl unserer gegenwärtigen Kontroversen auf diesen Gebieten uns ebenso trivial oder bedeutungslos vorkommen werden wie die theologischen Debatten, an welche die besten Köpfe des Mittelalters ihre Kräfte verschwendeten. Politik und Wirtschaft befassen sich mit Macht und Wohlstand, und weder dem einen noch dem anderen sollte das Hauptinteresse oder gar das ausschließliche Interesse erwachsener, reifer Menschen gelten.“

    Arthur C. Clarke (Profile der Zukunft)

    Die Arbeitsteilung erhob den Menschen über den Tierzustand und die Qualität der makroökonomischen Grundordnung bestimmt den Grad der Zivilisiertheit, die der Kulturmensch erreichen kann. Ist die Makroökonomie noch fehlerhaft, bedarf es der Religion, um diese Fehler aus dem Bewusstsein zu streichen, sowie der „hohen Politik“, um die sozialen Spannungen abzumildern, die durch die fehlerhafte Makroökonomie entstehen.

    Was den meisten unbewussten Menschen bisher nur als „Finanzkrise“ bekannt ist, bezeichnete der „Jahrhundertökonom“ John Maynard Keynes als – beginnende – Liquiditätsfalle. Schnappt sie zu, kann nur noch der Krieg einen nächsten Zyklus der Arbeitsteilung einleiten. Doch der Krieg – zwecks umfassender Sachkapitalzerstörung, um den Zinsfuß hochzuhalten – konnte nur solange der Vater aller Dinge sein, wie es noch keine Atomwaffen gab!

    Herzlich Willkommen im 21. Jahrhundert: http://www.deweles.de

    Kommentar: Stefan Wehmeier – 09. Juni 2011 @ 12:04

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