Schluß mit Schlichtungskuscheln. Der Staat greift gegen die Gegner des Prestigeprojekts »Stuttgart 21« wieder zu altbewährten rabiaten Mitteln. Am Donnerstag durchsuchten Beamte der Kriminalpolizei und Vertreter der Staatsanwaltschaft nach eigenen Angaben das Büro der »Parkschützer« und die Privatwohnung ihres Sprechers Matthias von Herrmann. Die Aktivistengruppe habe sich geweigert, Bildmaterial von der Besetzung des Baugeländes am 20. Juni herauszugeben, so die Begründung. Die Gegner des neuen Tiefbahnhofs verweisen darauf, daß die Aufnahmen im Internet frei zugänglich sind und sehen in dem Vorgehen den Versuch, die Protestbewegung zu kriminalisieren und zu spalten.
»Eine glatte Lüge« nannte von Herrmann auf jW-Nachfrage den Vorwurf der Behörden, die Herausgabe des Videomaterials verweigert zu haben. Die »Parkschützer« hatten bei einer Pressekonferenz am 24. Juni nicht nur 50 DVD mit den Aufnahmen an Journalisten verteilt, sondern diese auch ebenso wie die Fotos ins Internet gestellt. Er habe der Polizei am Donnerstag morgen telefonisch zugesichert, das Material freiwillig herauszugeben. Das sei auch sofort geschehen, so daß es gar nicht erst zu den vorgesehenen Hausdurchsuchungen kam. »Wir haben großes Interesse an der Veröffentlichung dieses Materials, denn es zeigt, daß die Darstellung der Polizei zum Verlauf des 20. Juni schlicht falsch ist«, so die »Parkschützer«.
Die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen »gemeinschaftlicher gefährlicher Körperverletzung und versuchten schweren Raubes«, u.a. weil ein Zivilbeamter angeblich schwer verletzt worden war. Das nun von der Polizei »sichergestellte« Bild- und Videomaterial dokumentiere statt dessen das aggressive Auftreten des Zivilpolizisten ebenso wie die Tatsache, daß in der Nähe stehende Beamte nicht in das Geschehen eingriffen. Die »Parkschützer« hatten eine Anzeige wegen der Anstiftung zu Straftaten gegen den Mann eingereicht. Laut Zeugenberichten hatte er Sachen beschädigt und andere Demonstranten aufgefordert mitzumachen.
Die Staatsanwaltschaft sei verpflichtet, im Rahmen ihrer Ermittlung »Beweismaterial sicherzustellen«, erklärte eine Sprecherin der Behörde gegenüber junge Welt. Zuvor sei von Herrmann einer polizeilichen Vorladung nicht gefolgt. Das ist allerdings sein gutes Recht. Von einer Sicherstellung des Videomaterials sei bei der telefonischen Vorladung keine Rede gewesen, betonte von Herrmann.
Vertreter der Bewegung gegen »Stuttgart 21«, die am Samstag erneut zu einer Großdemonstration mobilisieren, zeigten sich empört über das Vorgehen des Staates. »Das paßt nicht zu der angekündigten Linie der Deeskalation und torpediert die sachliche Auseinandersetzung«, sagte der Sprecher des »Aktionsbündnisses gegen ›Stuttgart 21‹«, Hannes Rockenbauch, gegenüber jW. Linke-Landessprecher Bernd Riexinger nannte den Vorgang »einen gezielten Versuch, den Protest zu kriminalisieren und die Bewegung zu spalten – das dürfen wir nicht zulassen«. Von Herrmann forderte, statt dessen bei der Bahn Durchsuchungen zu veranstalten. »Diese hat jahrelang Zahlen geschönt und das Parlament belogen – doch statt dem nachzugehen, wird bei den Parkschützern nach ohnehin zugänglichen Videos gefahndet. Daß sie jetzt zu solchen Methoden greifen, zeigt, daß es um ›Stuttgart 21‹ ziemlich schlecht steht.«
Quelle: www.jungewelt.de vom 07.07.11
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