Wolfgang Huste Polit- Blog

Drogenkrieg in Mexiko. Hilft gegen Drogenkartelle nur die Legalisierung von Rauschgift? Erkundungen in Mexiko und den USA

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Die Gassen von San Cristóbal im Bundesstaat Guanajuato sind gepflastert, seit der Altpräsident sich auf seinen Landsitz am Rande des Dorfes zurückgezogen hat. Im glasverschalten Kulturzentrum, das seinen Namen trägt, präsentiert er sein Porträt in einer Reihe mit Gandhi, Martin Luther King und Mutter Teresa. Vicente Fox hat nicht abgewartet, ob andere ihm ein Denkmal errichten.

Jetzt sitzt der Ex-Präsident an seinem Schreibtisch, eine kleine Bronzestatue seiner selbst im Rücken, und behält den Cowboyhut auf, während er mit ausladenden Armbewegungen skizziert, was er für sein Land
tun würde, hätte die mexikanische Verfassung ihm nicht nach sechs Jahren Amtszeit das Ende seines Mandats vorgeschrieben. Warum, fragt der ehemalige Präsident, soll der Staat Kinder und Jugendliche daran
hindern, Drogen zu nehmen? »Das ist die Verantwortung der Eltern, nicht die der Regierung. Die Zeit der Verbote ist vorbei.« Vicente Fox fordert die Legalisierung des Drogenmarktes, in Mexiko und im Rest der Welt – jetzt, nachdem er selbst eine ganze Amtsperiode Zeit dafür gehabt hätte.

Welche Drogen, Herr Präsident?

Alle, alle, alle. Vom Anbau über den Vertrieb bis zum Konsum.

In den siebziger Jahren war der Ruf »Legalize it!« vornehmlich auf den Heckklappen verbeulter VW-Busse zu lesen und auf Häuserwänden, im reichen Norden. 40 Jahre später ist er in Studien und Leitartikeln
angekommen, auf Titelseiten respektabler Magazine wie des britischen Economist. »Der Krieg gegen die Drogen ist gescheitert«, erklärte im vergangenen Juni die Global Commission On Drug Policy, der unter anderem die Ex-Präsidenten César Gaviria (Kolumbien), Fernando Henrique Cardoso (Brasilien), Ernesto Zedillo (Mexiko), Ex-EU-Generalsekretär Javier Solana und Ex-UN-Generalsekretär Kofi Annan angehören.

Wo Regierungen hingegen versuchten, durch die kontrollierte Legalisierung von Drogen gegen das Organisierte Verbrechen vorzugehen, heißt es in der Resolution, solle man ihnen Unterstützung gewähren. Der Grundgedanke der Befürworter ist schlicht, aber logisch: Wer dem Organisierten Verbrechen die Einkünfte nimmt, nimmt seinen Betreibern ie Möglichkeit, Schmiergelder zu zahlen, Waffen zu kaufen, Mörder zu schicken. Er nimmt ihnen die Macht.

Kaum ein Staat eignet sich besser für das Gedankenexperiment der Legalisierung von Drogen als Mexiko. Im Unterschied zu ihren kolumbianischen Vorfahren oder den Taliban in Afghanistan handeln die mexikanischen Kartelle weitgehend frei von gesellschaftlichen oder ideologischen Interessen. Sie sind postpolitisch. Das Geschäft ist ihre einzige Flanke.

Bislang läuft dieses Geschäft glänzend, komme, was da wolle. Die Welt mag sich über fallende Börsenkurse sorgen, um die Verschuldung von Staaten und die Tragfähigkeit von Rettungsschirmen; der Handel mit
Rauschgiften bleibt davon unberührt. Auch weil Drogenökonomien nach einem simplen Prinzip funktionieren: Der niedrige Preis der Ware im Anbauland steigt auf dem Weg zum Konsumenten mit dem Risiko für die
Zwischenhändler und Weiterverarbeiter der illegalen Substanzen.

So schwankt der Preis für ein Kilogramm Cannabis, laut aktuellem UN-Drogenreport 2011 die weltweit am häufigsten genutzte illegale Droge, in den Straßen von Mexico City zwischen 1.200 und 1.500 Peso, 70 bis 88 Euro. Der Preis steigt, je näher die Ware dem Rio Grande kommt. Jenseits der Grenze, in den Vereinigten Staaten, wird der Preis dann nicht mehr pro Kilo, sondern pro Unze (etwa 28 Gramm) berechnet. Das
Cannabis-Magazin High Times veröffentlicht monatliche Marktstatistiken, in denen die Preise je nach Sortenqualität zwischen 104 Euro pro Unze »Mids« in Maryland und 374 Euro pro Unze »NYC Diesel« in New York schwanken.

Weltweit beziffern die UN den Umsatz mit illegalen Drogen jeder Art auf etwa 320 Milliarden Dollar. Zehn bis 50 Milliarden davon dürften in Mexiko landen.

Doch all diese Zahlen sind nur geschätzt. Auf einer Schätzung basiert auch die Annahme der US-Antidrogenbehörden, dass die mexikanischen Kartelle ihre Einkünfte zu 60 Prozent aus dem Handel mit Marihuana bestreiten, etwa acht Milliarden Dollar pro Jahr. Die Größe der Anbauflächen soll in den vergangenen sechs Jahren von 5.600 auf 17.500 Hektar gestiegen sein. Genaue Statistiken sind nicht zu bekommen, was in der illegalen Natur der Sache liegt.

Das Lager der Befürworter einer Legalisierung ist zwar breit gefächert und reicht von jenen, die nur den Markt für weiche Drogen wie Marihuana liberalisieren wollen, bis hin zu Vertretern einer radikalen Freigabe
sämtlicher Rauschmittel. Doch ihre Argumente sind die gleichen: Angesichts des weltweit allenfalls stagnierenden Konsums lassen sich die traditionellen Bekämpfungsstrategien nicht länger aufrechterhalten.
Verbote treiben Gelegenheitsnutzer und Süchtige in die Kriminalität und füllen die Kassen des Organisierten Verbrechens, was im Umkehrschluss bedeutet: Wenn der Staat den Drogenhandel gesetzlich reguliert und
besteuert, stehen Mittel, die zuvor für die Strafverfolgung draufgingen, für Prävention und Pflege zur Verfügung. Und die Kartelle bluten.

In Mexiko wird der Handlungsdruck besonders augenfällig. Seit Felipe Calderón, der Nachfolger von Vicente Fox im Amt des Präsidenten, im Dezember 2006 den heimischen Drogenkartellen den Krieg erklärt hat, sind
dem Konflikt mehr als 40.000 Menschen zum Opfer gefallen: Enthauptete hängen von Autobahnbrücken, namenlose Leichen tauchen in Massengräbern auf, andere, zersetzt in Säurebädern, verschwinden für immer.

Die Front verläuft nicht allein zwischen Staat und Kartellen. Im Kampf um die Kontrolle von Handelsrouten und Territorien gehen die »Narcos« mit äußerster Brutalität auch gegeneinander vor. Wo der Regierung ein
Schlag gegen einen der Köpfe des Organisierten Verbrechens gelingt, eskaliert die Gewalt im Kampf um die Nachfolge. Und nie fällt es den Kartellen schwer, die Reihen zu schließen – mehr als 50 Prozent der
Arbeitslosen Mexikos sind Jugendliche. In Ciudad Juárez, an der Grenze zu den Vereinigten Staaten, morden Sicarios, oft minderjährige Auftragskiller, für wenige Hundert Dollar. Kaum eine Branche erfordert weniger Ausbildung als das Geschäft der Drogenhändler.

Einige der wichtigsten mexikanischen Anbaugebiete für Marihuana liegen im Bundesstaat Morelia, in den grünen Bergen der Sierra Madre, im Westen des Landes. Wo die Hügel ins Meer auslaufen, an der schwer
kontrollierbaren Pazifikküste, werfen kolumbianische Händler nachts Kokainpakete mit Peilsendern ins Meer, die ihre mexikanischen Partner später mit Booten an Land holen. In den Bergen, die die Küste von der
Bundeshauptstadt Morelia trennen, regiert die Mafia weitgehend unbehelligt von staatlicher Intervention, wie ein ranghoher Polizeikommandant in Morelia einräumt. Während des Gesprächs lässt er klassische Musik vom Handy in den Raum rieseln, weil er nicht sicher sein kann, ob sein Büro verwanzt ist. Sein Telefon benutzt er nur für kurze Verabredungen.

Der Mann will nicht namentlich zitiert werden, wenn er sagt, dass er Verständnis für jeden seiner Kollegen habe, der nicht bereit sei, für das bisschen Lohn sein Leben zu riskieren. Auf jeden Polizisten im Land
kommen schätzungsweise 35 Waffen des Organisierten Verbrechens. Der Polizeikommandant erzählt, wie sie vergangene Woche bei einer Fahrzeugkontrolle in der Stadt auf zwei bewaffnete junge Männer stießen.
Während der Kontrolle fuhren zwei Pick-up-Trucks heran. Einer der Fahrer habe wissen wollen, was das Problem sei. »Die beiden haben Waffen bei sich und keine Waffenscheine«, habe er geantwortet, sagt der Kommandant. »Na und«, habe der Fahrer geantwortet und sein T-Shirt gehoben, unter dem ein Revolver im Hosenbund steckte, »ich auch.« Dann habe sich der Fahrer als Mitglied der Familia Michoacana zu erkennen gegeben, des herrschenden Kartells der Region. »Und was wollt ihr jetzt machen?« Sein Kollege und er hätten den Herren daraufhin einen schönen Abend gewünscht und seien zurück aufs Revier gefahren.

Ist es realistisch, davon auszugehen, dass der Frieden nach Morelia, nach Michoacán, nach Mexiko zurückkehrt, wenn die Regierungen der Welt Frieden mit den Drogen schließen und die Bauern in den Bergen der Sierra Madre für einen Batzen Cannabis nicht mehr Geld bekommen als für ein Bündel Karotten? Kann es sein, dass die Lösung so einfach ist, so naheliegt, und die Politik sich über Jahrzehnte so sehr geirrt hat?
Anabel Hernández schnaubt. Dann beginnt sie zu reden. Und wenn Anabel Hernández, eine kleine, resolute Frau mit kurzem Haar, über den Drogenhandel spricht, wird es meistens sehr laut.

Die Journalistin verlässt ihr Haus in Mexico City nur noch in Begleitung von zwei Bodyguards, seit im Dezember 2010 ihr Buch Los señores del narco erschienen ist. Darin untersucht sie die Verstrickungen der
mexikanischen Drogenmafia in Politik und Wirtschaft. Der Titel wurde zum Bestseller. Wann sie auf den Schutz der Leibwächter verzichten können wird, ist ungewiss. Möglicherweise nie mehr.

In Mexiko, sagt Hernández, sei der Konsum von Crack nach Behördenangaben in den vergangenen Jahren um 600 Prozent gestiegen, der Anteil weiblicher Kokainkonsumenten im Alter zwischen zwölf und 18 Jahren an allen Nutzern um 100 Prozent. Angesichts stagnierender Märkte in den USA sind die Kartelle dazu übergegangen, die Binnennachfrage anzuheizen, Jugendliche anzufixen, Handlanger in Drogen zu bezahlen, neue Märkte zu erschließen. »Dieses Land ist nicht bereit für einen liberalen Drogenmarkt«, sagt Hernández. Es fehle an Aufklärung, an Perspektiven, an Gründen für die Jugendlichen, dem Drogenkonsum zu widerstehen. Eine Form von öffentlicher Drogenprävention sei ihr in Mexiko bis heute nicht begegnet.

Im Übrigen finanzierten sich die Narcos längst nicht mehr allein über den Drogenhandel, sondern zunehmend auch über »Kollateralgeschäfte« wie Erpressung, Menschenhandel, Prostitution und Piraterie. Wer wirklich
etwas gegen die mexikanische Drogenmafia unternehmen wolle, müsse ihr die Möglichkeit rauben, ihr schmutziges Drogengeld bei nationalen und internationalen Wirtschaftsunternehmen reinzuwaschen, fordert Hernández. Doch dafür fehle die Entschlossenheit.

Wer mit dem Mittel der Drogenlegalisierung gegen die Mafia vorgehen wolle, müsse schon den gesamten Markt liberalisieren. Und wie das funktionieren solle, sagt Hernández, könne sie sich beim besten Willen
nicht vorstellen. Die Legalisierung einer einzigen weichen Droge dagegen, der freie Handel von Marihuana, koste den Kartellkraken doch kaum mehr als »ein Ärmchen«.

Das Ärmchen allerdings könnte ein Anfang sein, der Versuch einer neuen Strategie. Im Jahr fünf des mexikanischen Drogenkriegs glaubt jedenfalls nur noch eine Minderheit im Land daran, dass die Regierung durch den Einsatz von Polizisten und Soldaten gewinnen kann. Rund 15 Prozent des Bruttoinlandsprodukts wendet der Staat für die Folgekosten der Kriminalität auf. Der Tourismus ist seit Beginn des Konflikts um 15
Prozent eingebrochen und in einigen Teilen Mexikos vollständig zum Erliegen gekommen. Investoren suchen das Weite, seit die Mafia selbst in Wirtschaftszentren wie Monterrey offen ihre Macht demonstriert und nicht nur hochrangige Geschäftsleute Schutzgelderpressungen und Entführungen fürchten müssen. Und Mexiko ist nicht das einzige Land, das einen hohen Preis für die herrschende Drogenpolitik zahlt. Auch dort, wo die Konsumenten leben, in den USA und in Europa, gehen die Kosten für den Krieg, den Richard Nixon 1971 gegen die Drogen ausgerufen hat, in die Milliarden.

Laut FBI-Angaben hat sich die Zahl der Drogendelikte mit Inhaftierung in den USA seit den achtziger Jahren vervierfacht. Etwa die Hälfte steht in Verbindung mit Marihuana, und mehr als 90 Prozent davon gehen auf
einfachen Besitz zurück. Allein im Bundesstaat Kalifornien schlägt die Strafverfolgung gegen Delikte in Zusammenhang mit Marihuanakonsum nach Schätzungen des Cato-Instituts jährlich mit etwa einer Milliarde Dollar zu Buche. Rund 40 Milliarden Dollar sollen es landesweit sein – dabei sind die millionenschweren Aufwendungen für lateinamerikanische Drogenbekämpfungsprogramme wie Plan Colombia und Mérida-Initiative noch nicht mitgerechnet.

Im Sommer 1992 erhielt der Politologe und Princeton-Dozent Ethan Nadelmann einen überraschenden Anruf. Am anderen Ende der Leitung war einer, der den Kampf gegen die Drogen früh als Geld- und Zeitverschwendung betrachtet hat: der Privatinvestor George Soros. Soros wollte den jungen Akademiker Nadelmann, der in seinen Vorlesungen die Wirksamkeit und Legitimität der traditionellen Drogenpolitik in Zweifel zog, kennenlernen. Das Treffen, sagt Nadelmann, habe zwei Stunden gedauert. Und bereits wenige Monate später habe er unter dem Dach von Soros’ Open Society Foundation damit begonnen, die Drug Policy Alliance aufzubauen. Ein Drittel des Budgets der mittlerweile eigenständigen DPA, der größten Pro-Legalisierungs-Organisation der Vereinigten Staaten, trägt nach wie vor Privatinvestor Soros; der Rest stammt aus den Spenden von Stiftungen und etwa 30.000 Privatpersonen.

Nadelmann muss einen Augenblick nachdenken, ehe er sich auf die Frage nach seinem Alter mit der Antwort 54 festlegt. Sein graues Hemd hängt eher zufällig als gewollt über den Bund einer dunklen Stoffhose.
Offizielle Fotos zeigen ihn meistens in Anzug und Krawatte, dazu ein jung gebliebenes Gesicht mit hoher Stirn. Kaum eine Studie zum Thema Drogenlegalisierung kommt heute ohne einen Fußnotenverweis auf Nadelmann und seine Organisation aus.

Die Wände des DPA-Büros in Manhattan geben einen Eindruck davon, mit wie viel Verve seit Jahrzehnten um die Drogen gestritten wird: Unzählige Buchseiten füllen die regalbestandenen Räume wie Schallschutzpolster eines Proberaums. Nadelmann ist nicht der Typ, der überrascht, wenn er sagt, er habe als Student selbst Marihuana geraucht. Allerdings sei dasnicht der Auslöser für sein Engagement gewesen. Vielmehr, sagt Nadelmann, habe ihn die Frage beschäftigt, wie eine Substanz, die sich auf den Körper kaum verheerender als ein Alkoholrausch auswirkt, so illegal sein kann. »Wie kann es sein, dass alle Logik für die eine Handlungsweise spricht, die Politik sich in fast allen Teilen der Welt aber trotzdem auf die andere Seite schlägt?«

Die Antwort auf diese Frage hat nicht allein mit ökonomischen oder politischen Motiven zu tun. Von jeher spielen vor allem moralische Aspekte in der Diskussion eine wichtige Rolle. Darf der Mensch mit seinem eigenen Körper, seiner Gesundheit anstellen, was er will? Ist der Staat verpflichtet, seine Bürger vor sich selbst zu schützen? Und soll die Gemeinschaft die Kosten dafür tragen, wenn der Einzelne sich mit
Rauschgift zugrunde richtet und medizinische Kosten verursacht?

In Gesellschaften, die ihren Bürgern immer mehr Eigenverantwortung abverlangen, immer stärker auf das Prinzip der Liberalität setzen, müssen die Antworten auf diese Fragen anders ausfallen als während der
Nixon-Ära. Und wenn einerseits die Zahl derer, die ärztlich verschriebene leistungssteigernde Medikamente wie Ritalin konsumieren, stetig steigt – Drogen, die nach Auffassung von Experten des britischen
Magazins The Lancet nur geringfügig schädlicher als Cannabis, jedoch verheerender als Ecstasy sind –, kann dann andererseits ein teurer und gewaltsamer Krieg gegen die Drogen aufrechterhalten werden?

In einer Umfrage des Gallup-Instituts sprachen sich vor sechs Jahren noch 36 Prozent der Amerikaner für die Freigabe von Cannabis aus. Im vergangenen Jahr waren es 46 Prozent. Nadelmann ist zuversichtlich, dass es nicht mehr lange dauern wird, bis der erste US-Bundesstaat Anbau, Handel und Gebrauch von Marihuana unter gesetzlichen Auflagen zulässt. Und immerhin: Seit 1996 haben 16 Bundesstaaten den Verkauf und Bezug von medical marijuana legalisiert. Cannabis wird von Ärzten etwa zur Behandlung der Appetitlosigkeit bei Krebspatienten verschrieben, gegen Schlaflosigkeit und Menstruationsbeschwerden. In Colorado besitzen bereits 80.000 Patienten Bezugskarten, offiziellen Angaben zufolge werden täglich etwa 400 neue Anträge gestellt. In Denver gibt es mehr privatwirtschaftlich organisierte Verkaufsstellen für medical marijuana als Starbucks-Filialen.

Der Staat profitiert von dem Geschäft, indem er etwa in Colorado eine Verkaufssteuer von 2,9 Prozent erhebt, was allein zwischen Juli 2009 und Februar 2010 zu Einnahmen von rund 681.000 Dollar geführt hat. Jede der knapp 300 Verkaufsstellen zahlt zudem 5.000 Dollar für Lizenz und Registrierung, Patienten zahlen jeweils 90 Dollar für ihre Bezugskarten. Allein für Mendocino County im Bundesstaat Kalifornien beziffern
konservative Schätzungen das Gesamtvolumen des Cannabis-Markts, legal wie illegal, auf 12 Milliarden Dollar, während alle übrigen landwirtschaftlichen Produkte gerade einmal auf 2,4 Milliarden Dollar
kommen.

In Kalifornien scheiterte im vergangenen November nur äußerst knapp eine Petition für die vollständige Legalisierung von Cannabis. Der Bundesstaat war 1913 der erste, in dem Marihuana verboten wurde, und
1996 wiederum der erste, in dem Anbau und Konsum zu medizinischen Zwecken zugelassen wurden. Nach DPA-Schätzung würde ein komplett gesetzlich besteuerter freier Markt der Regierung etwa 350 Millionen
Dollar zusätzliche Einnahmen bringen. Hinzu kämen neue Jobs in Landwirtschaft und Handel. Ist das die Zukunft? »Im Augenblick«, sagt Nadelmann, »bin ich optimistischer, als ich es je war.«

In ihrem Buch Joint Ventures – Inside America’s Almost Legal Marijuana Industry beziffert die Journalistin Trish Regan die Kosten bis zur Ernte von einem Pfund Cannabis auf etwa 400 Dollar. In den legalen
Verkaufsstellen wird der Stoff dann für rund 2.400 verkauft. Im illegalen Straßenhandel brächte er 6.000 Dollar. Die Margen machen die möglichen Konsequenzen einer breiten Legalisierung deutlich: die Verluste des Organisierten Verbrechens ebenso wie die Gewinne für den Staat.

Nach 40 Jahren Diskussion sind alle Argumente ausgetauscht. Um vagen Schätzungen stabile Fakten gegenüberzustellen, brauchte es ein Land, das es wagt, den ersten Schritt zu tun. Wenn im kommenden Jahr die Amtszeit von Felipe Calderón endet, wird die Zahl der Toten im mexikanischen Drogenkrieg um Tausende weiterer Opfer gestiegen sein. An seinem Schreibtisch in San Cristóbal signalisiert der alte Präsident Vincente Fox, dass es Zeit wird, das Gespräch zu beenden.

Señor Fox, glauben Sie, dass ein Kandidat, der die vollständige Drogenlegalisierung fordert, zum mexikanischen Präsidenten gewählt werden kann?

»Na sicher. Er wird ja auch noch ein paar andere Forderungen aufstellen. Ein Kandidat wird sagen:
Wir müssen den einmal eingeschlagenen Weg weiterverfolgen. Und es wird einen anderen geben, der sagt: Ich will neue Lösungen suchen. Ich, Vicente Fox, werde für Letzteren stimmen. Für den, der mir eine Hoffnung gibt.«

Quelle: http://www.zeit.de/2011/35/Drogenkartelle-USA-Mexiko/komplettansicht

Dieser Beitrag wurde am Montag, 29. August 2011 um 14:59 Uhr veröffentlicht und wurde unter der Kategorie Blog abgelegt. Du kannst die Kommentare zu diesen Eintrag durch den RSS-Feed verfolgen.

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