Die Geschäftsführung des Flughafens Hahn im Hunsrück hat angeboten, die Anteile des Landes Rheinland-Pfalz zu übernehmen und den defizitären Betrieb weiterzuführen. Was hält die Gewerkschaft ver.di davon?
Euphorie kommt bei uns nicht auf. Denn es gibt keinen Grund, gleich auf Privatisierung zu setzen, um die dortigen Probleme zu lösen. Das Land hat den ehemaligen US-Luftwaffenstützpunkt während der 90er Jahre in einen Zivilflughafen umgewandelt. Doch muß Rheinland-Pfalz kräftig zuschießen, im vergangenen Jahr waren es fast elf Millionen Euro. Das befördert die Debatte um den Verkauf. Andererseits arbeiten hier mehr Menschen als zu Zeiten der US-Airbase. Diese Jobs brauchen wir in der strukturschwachen Region.
Gibt es nähere Informationen über die Pläne der Geschäftsleitung?
Sie bietet 25 Millionen Euro und will dafür mehr als die Hälfte der Anteile. Wir wissen nicht, ob die Landesregierung für diese Summe die gesamten 85 Prozent eintauschen will, die sie an Hahn hält. Das ist Verhandlungssache. Bevor die Gespräche beginnen, will die Geschäftsführung keine Angaben darüber machen, woher das Geld stammt. Sie bringt ein Investoren- und ein Bankenmodell ins Gespräch. Formaler Eigentümer soll eine »Management GmbH« werden, die sich das Kapital dann entweder von Banken oder Investoren leiht.
Wer tatsächlich Interesse an einem finanziellen Einstieg haben könnte, ist völlig offen. Ich glaube den Managern, daß sie den Flughafenbetrieb aufrechterhalten möchten. Ob die Geldgeber die gleichen Motive haben, wissen wir nicht. Zumindest schloß die Geschäftsleitung aus, das Ryan-Air-Chef Michael O’Leary ins Geschäft einsteigt.
Welche Folgen hätte eine Privatisierung?
Erstens wissen wir nicht, ob unsere Tarifstandards und die Arbeitsplätze erhalten blieben. Die jetzigen Verträge gelten zwar weiter. Es ist aber nicht klar, ob Dienstleistungen an Fremdfirmen vergeben würden. Zweitens müßte geklärt werden, ob und wie viele Schulden beim Land verbleiben.
Ein Hauptakteur in Hahn ist O’Leary. Ohne seine Billigfluglinie könnte der Flugplatz nicht überleben. Welche Rolle spielt er? Er übt schließlich auch Druck auf die Bundesregierung aus, die Ticketsteuer abzuschaffen.
Wir sind uns einig mit ihm, daß eine Insellösung in der Bundesrepublik unsinnig ist. Denn die nächstgelegenen Konkurrenz-Flughäfen zu Hahn liegen bereits im Ausland. Der hiesige Airport ist Ryan Airs Standbein auf dem Kontinent. Nur in London werden mehr Flüge abgefertigt. Seiner Geschäftspolitik folgend, hat O’Leary jedoch wohl kein Interesse, sich in den gesamten Flugplatzbetrieb einzukaufen. Er will nur Dienstleistungen an seinen eigenen Fliegern übernehmen.
Welche Dienste können Fluglinien selbst betreiben?
An manchen europäischen Flughäfen bringen die Airlines das Gepäck mit eigenem Personal in die Maschinen bzw. wieder zurück ans Terminal. Die Betreiber bleiben außen vor. Das ist total widersinnig. Doch auf diesem Konzept beruht der Entwurf der EU-Dienstleistungsrichtlinie. Die Beschäftigten in Hahn stehen also von mehreren Seiten unter Druck. Das könnte sich negativ auf Löhne und Arbeitsbedingungen auswirken.
Was beinhaltet das EU-Vorhaben?
Die Bodenverkehrsdienste müßten öffentlich ausgeschrieben werden. Den Zuschlag erhält dann der billigste Anbieter.
Was soll das? Man schreibt einem Autobauer doch auch nicht vor, die Kantine auszulagern …
Es ist absolut widersinnig. Dahinter stecken die Interessen der Fluggesellschaften. Die wollen ihr eigenes Personal einsetzen, um nicht nur das Handgepäck, sondern auch das am Schalter aufgegebene Gepäck zu transportieren. Der Grund dafür sind niedrigere Kosten. Denn es gelten die Löhne der Entsendeländer, also beispielsweise das geringe polnische Gehaltsniveau. Das wäre ein riesiges Problem für unsere Kollegen.
Was tun Sie dagegen?
Wir mobilisieren für den 14. November zu einer bundesweiten Demonstration. Auch in Brüssel wird es Proteste geben. Unser Ziel ist es, daß der Entwurf gar nicht erst zur Abstimmung vorgelegt wird. Wir haben starke Verbündete. Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) hält das für falsch. Auch die Flughafenbetreiber mit hohem Grad von Eigenregie wollen die Richtlinie nicht.
Quelle: www.jungewelt.de vom 22.10.11
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