Wolfgang Huste Polit- Blog

Wenn der Boß weg ist. Einstieg in die Transformation oder Insel im Kapitalismus. Die Rosa-Luxemburg-Stiftung diskutiert über selbstverwaltete Betriebe. Von Johannes Schulten

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Nach Jahrzehnten in der politischen Mottenkiste erfährt die Forderung nach Arbeiterselbstverwaltung seit kurzem ein Revival. Das hat zwar weniger mit den hiesigen Entwicklungen zu tun. Doch die massenhafte Übernahmen von verlassenen Betrieben durch Belegschaften in Argentinien oder Venezuela haben dafür gesorgt, daß die Idee, Menschen können ohne Chef produzieren, auch in der deutschen Linken wieder breiter diskutiert wird.

Was allerdings die in der Debatte kursierenden Konzepte wie solidarische Ökonomie, Wirtschaftsdemokratie, Belegschaftseigentum oder Kooperativen miteinander zu tun haben und welche Erwartungen an sie geknüpft werden, Einigkeit darüber besteht keineswegs. Das machte auch eine von der Linkspartei-nahen Rosa-Luxemburg-Stiftung (RLS) in der letzten Woche veranstaltete Konferenz deutlich. Unter dem Motto »Den Betrieb übernehmen. Einstieg in Transformation?« hatte die RLS von Donnerstag bis Samstag zahlreiche deutsche und internationale Wissenschaftler, Aktivisten und Gewerkschafter eingeladen, um Erfahrungen mit Betriebsbesetzungen und durch Belegschaften verwaltete Unternehmen zu diskutieren.

Der Untertitel der Veranstaltung war gut gewählt, erntete die darin anklingende Frage nach dem transformatorischen Potential selbstverwalteter Betriebe doch gleich heftige Kritik des Politikwissenschaftlers Bernd Röttger. Kooperativen und gemeinschaftlich organisierte Formen der Produktion habe es in der Geschichte des Kapitalismus schon immer gegeben. Doch die bereits vom Genossenschaftstheoretiker Robert Owen gehegte Hoffnung auf eine Verdrängung kapitalistischer Produktion sei nicht eingetreten. Die sozialistische Transformation könne sich, so Röttger nach Marx, nicht auf eigener Grundlage entfalten, sondern nur aus der kapitalistischen Gesellschaft hervorgehen. Horizontale Organisation und Betriebsdemokratie machten zwar den Arbeitsalltag einfacher, doch Marktlogik und Konkurrenz würden dadurch noch lange nicht außer Kraft gesetzt. Auch die bei vielen Verfechtern der solidarischen Ökonomie mitschwingende Idee einer demokratischen Produktion abseits des Staates, ließ Röttger nicht gelten. Statt dessen plädierte er für die Notwendigkeit der Schaffung »struktureller Voraussetzungen« durch die Politik. Würden etwa die Beschäftigten von BMW ihren Laden übernehmen und die Produktion komplett auf E-Motoren umstellen, würde das zu Entlassungswellen bei den Zulieferern führen, da diese technisch gar nicht imstande seien, die neuen Komponenten zu produzieren.

Daß Kooperativen sehr wohl erfolgreich am Markt bestehen können, zeigte der englische Gewerkschafter und Kovorsitzende des Committees of Correspondence for Democracy, Carl Davidson, in seinem Beitrag über die baskische Kooperative Mondragón. Kurz nach der Niederlage der spanischen Republik aus einer Jesuitenschule entstanden, ist Mondragón in Bereichen wie Maschinenbau, der Automobil- und der Bauindustrie tätig, sowie Besitzer einer Supermarktkette und einer Bank. Trotz der Größe, so Davidson, gelinge es, zentrale Prinzipien wie die Mitbestimmung der Beschäftigten bei der Wahl vom Management oder die relativ egalitäre Einkommensstruktur beizubehalten. So betrage das Verhältnis von Arbeiter- und Managergehältern durchschnittlich lediglich 4,5 zu eins.

Auch der in Linz tätige Lateinamerikaforscher Dario Azzelini unterstrich die Bedeutung des Staates bei der Herausbildung selbstverwalteter Betriebe in Venezuela. Erst die Enteignungspolitik durch Präsident Hugo Chávez und dessen öffentliche Aufforderungen, Kooperativen zu bilden, habe die Bewegung der Arbeiterselbstkontrolle ermöglicht. Aktuell gebe es rund 60000 aktive kooperativ geführte Betriebe mit einen Anteil von acht bis 13 Prozent an der Gesamtbeschäftigung. Daß es immer wieder zu teils heftigen Konflikten mit der Ministerialbürokratie kommt, nahm Azzelini keineswegs als Nachteil. Ohne Reibung entstehe halt keine Energie.

Quelle: www.jungewelt.de vom 08.11.11

Dieser Beitrag wurde am Dienstag, 08. November 2011 um 13:43 Uhr veröffentlicht und wurde unter der Kategorie Blog abgelegt. Du kannst die Kommentare zu diesen Eintrag durch den RSS-Feed verfolgen.

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