Beim belgischen Autozulieferer Meister Benelux, der unter anderem für den deutschen VW-Konzern arbeitet, laufen seit dem gestrigen Mittwoch morgen wieder die Bänder. Ein unabhängiger Krisenmanager sollte dazu alle Befugnisse erhalten, um die Produktion in dem Werk nach einem mehrtägigen Streik wieder aufzunehmen. Darauf hatten sich die Unternehmensleitung und die Gewerkschaften am Dienstag abend geeinigt.
Eine Woche lang hatten zuvor die Beschäftigten des Werks in Sprimont nahe Lüttich der Unternehmensleitung einen harten Arbeitskampf geliefert, um gegen die geplante Verlagerung wichtiger Aufträge nach Tschechien zu protestieren. Als die Verhandlungen mit der von deutschen Managern geführten Direktion ergebnislos blieben, begannen die Streikenden, das Werk zu blockieren.
Am Sonntag nachmittag dann die Eskalation. Eine zwanzigköpfige Gruppe, die offenbar aus Deutschland stammte, attackierte Gewerkschaftsangaben zufolge die Streikposten. Die ganz in Schwarz gekleideten und mit Sturmhauben maskierten Männer waren mit Schlagstöcken, Baseballschlägern und Tränengas bewaffnet. Offensichtlich sollten sie im Auftrag der Geschäftsführung Anlagen vom Betriebsgelände abtransportieren. Dabei prügelten sie auf die Arbeiter ein und zerstörten Aufenthaltsräume und Computeranlagen. Zudem nahmen sie einigen der Streikenden deren Handys weg, damit sie keine Hilfe rufen konnten, und sperrten sie in einen Raum ein. Einigen der Gefangenen gelang es jedoch trotzdem, Unterstützer zu alarmieren. Rund 200 Gewerkschafter eilten ihren Kollegen zu Hilfe und setzten die Angreifer fest. Erst in der Nacht zum Montag konnte die Polizei diese vom Gelände und an die deutsche Grenze bringen.
Das Vorgehen der Beamten wird von den Gewerkschaften scharf kritisiert. Die Polizei sei zwar schnell vor Ort gewesen, habe die Angreifer jedoch nicht entwaffnet und festgenommen. Von einem Arbeiter, der geschlagen worden war und Anzeige erstatten wollte, verlangten die Beamten, selbst die Identität seines Angreifers herauszufinden. Die Anzeige wurde nur gegen »unbekannt« aufgenommen. Offenbar hatten die Polizisten darauf verzichtet, die Identität der Schläger festzustellen. »Die Leute, die uns angegriffen haben, wurden von der Polizei beschützt«, kritisierte deshalb der sozialistische Gewerkschafter Jean-Luc Noirfalise. Ihn empört auch, daß die Bande ohne weiteres das Land habe verlassen können.
Die wallonischen Gewerkschaften haben Klage gegen die Gewalttäter eingereicht. »Das Agieren privater Schlägertruppen ruft Erinnerungen an eine düstere Epoche in der europäischen Geschichte wach«, zog der Vorsitzende der sozialistischen Metallarbeitergewerkschaft in Lüttich, Francis Gomez, Parallelen zur Zeit der deutschen Besetzung Belgiens im Zweiten Weltkrieg. Auch Innenministerin Joëlle Milquet und Arbeitsministerin Monica De Coninck verurteilten den Angriff. Sie gehe von einem Verstoß gegen die »Grundprinzipien unseres Rechtsstaates« aus, sagte De Coninck. »Die Personen, die von verschiedenen Zeugen als ›Privatmiliz‹ beschrieben wurden, und die Gewalt, mit der sie offenbar aufgetreten sind, erinnern an eine längst vergangene Zeit.«
Die linke Partei der Arbeit Belgiens (PTB) forderte, das noch aus dem Jahr 1934 stammende Gesetz gegen Privatmilizen auf die Angreifer anzuwenden. Dieses sieht Haftstrafen von bis zu einem Jahr für die Gründung einer Organisation vor, deren Ziel es ist, Gewalt anzuwenden oder »Aktionen des Militärs und der Polizei zu ersetzen oder zu ergänzen«. Das Tragen von »für die öffentliche Sicherheit gefährlichen Gegenständen« bei einer öffentlichen Veranstaltung kann mit bis zu sechs Monaten Gefängnis bestraft werden. Zugleich warnte die PTB vor Reaktionen gegen »die Deutschen«. Diese seien zwar verständlich, aber gefährlich, da sie davon ablenken, daß der eigentliche Gegner die immer dreister über Grenzen hinweg agierende Kapitalistenklasse sei. Der Angriff vom Wochenende stehe im Zusammenhang mit dem Schüren eines gewerkschaftsfeindlichen Klimas in Belgien. Damit reagierten die Unternehmer auf den Ende Januar erfolgreich durchgeführten Generalstreik gegen das Kürzungspaket der Regierung (jW berichtete).
Quelle: www.jungewelt.de vom 01.03.12
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