Ihr Ziel, die Baustelle des Neubaus der Zentrale der Europäischen Zentralbank in Frankfurt am Main, haben die Demonstranten am Sonnabend nicht erreicht. Leo Schneider, Sprecher des »M 31«-Bündnisses, wertete den Tag dennoch als Erfolg. Es sei ein deutliches Zeichen gegen die aktuelle deutsche und europäische Politik gesetzt worden, sagt er.
Der Aktionstag beginnt gegen 14.00 Uhr. »Nun können wir zeigen, wie gut wir uns selbst organisieren können. Bitte begebt euch auch auf die linke und rechte Seite des Lautsprecherwages, damit andere nachrücken können«, tönt eine resolute Frauenstimme von einem quergestellten LKW-Anhänger. Die Kaiserstraße gegenüber dem Hauptbahnhof ist gefüllt mit Menschen. Vom LKW-Anhänger werden Grußbotschaften aus anderen europäischen Ländern verlesen, in denen am 31. März ebenfalls Aktionen stattfinden. Einige Teilnehmer haben es sich auf den Stühlen der Straßencafés bequem gemacht. Andere verteilen Flugblätter mit ihren Thesen zur Krise. Kurz nach 15 Uhr setzt sich der Zug in Bewegung, antikapitalistische Sprechchöre erschallen. Demonstranten so weit das Auge reicht. »Das hört ja gar nicht wieder auf«, ruft ein am Rand stehender Passant erstaunt. »Hier kommt der Aufstand«, ist auf einem neongrünen Hochtransparent zu lesen. Ein Aufstand gegen eine Krisenpolitik, die »die Wettberwebsfähigkeit des europäischen Kapitals auf dem Rücken der Lohnabhängigen saniere«, erklärt Schneider.
Als sich der Zug der EZB-Zentrale nähert, herrscht gespannte Ruhe. Von irgendwo aus der Menge rollt ein qualmender Gegenstand vor die Füße einer am Straßenrand stehenden Gruppe von Bereitschaftspolizisten. Erschreckt springen einige Passanten beiseite, es handelt sich jedoch nur um einen so genannten Nebeltopf. »Ein Mal Rauch«, spricht ein Polizist in sein Funkgerät. Als die Demonstration am Gebäude vorüber gehen, fliegen schwarze und beige Farbomben gegen das Haus. »Wir brauchen einen starken antikapitalistischen Widerstand von unten«, ruft ein Redner vom Lautsprecherwagen. Er wird übertönt von lauten »Stopp«-Rufen. Von hinten sind Böller zu hören. Die Menge strömt zurück. An einem Platz haben nach Augenzeugenberichten Autonome die Glasfront eines Geschäftshauses mit Steinwürfen zerstört. Nachdem wieder Ruhe in den Zug eingekehrt ist, flüchtet plötzlich ein einzelner Streifenpolizist in eine Nebenstraße. Er schaut sich verzweifelt um und ruft aufgeregt nach Hilfe. Gelbe Farbe auf seiner Mütze zeugt davon, dass er von einem Wurfgeschoss getroffen wurde. Er muss auf der Intensivstation eines Krankenhauses behandelt werden, teilt ein Polizeisprecher am Samstagabend mit.
Die Demonstration ist nun auf beiden Seiten von einem behelmten Polizeispalier umgeben. Dennoch treffen Steine die Scheiben der Wache der Frankfurter Stadtpolizei und einer Leiharbeitsfirma. Auf Höhe des Allerheiligentors stürmen maskierte Polizeieinheiten in die Demonstration und trennen unter Schlagstock- und Pfeffersprayeinsatz etwa 200 Demonstranten vom restlichen Zug. Aus der Gruppe seien Straftaten begangen worden, heißt es zur Begründung.
Mehr als sechs Stunden wird die Menge unter offenem Himmel eingekesselt und Person für Person einer erkennungsdienstlichen Behandlung unterzogen. »Dixi-Klos sind auf dem Weg. Bis dahin finden wir in dringenden Fällen eine Lösung«, schallt es lapidar aus dem Polizeilautsprecherwagen. Als »offensichtlich rechtswidrig« bewertet das Bündnis die Maßnahme der Polizei. Anwälten sei der Zugang zu den Eingeschlossenen verwehrt worden.
Nach fast zwei Stunden setzt sich der Zug der restlichen Demonstranten auf einer veränderten Wegstrecke Richtung Polizeipräsidium in Bewegung. Nach wenigen hundert Metern stoppt die Polizei am Mainufer die Demonstration endgültig. Die Teilnehmer verteilen sich in Gruppen in der Stadt. Die Polizei bleibt bis zum Abend massiv präsent. Einschläge von Pflastersteinen und Farbbeutelspuren an den Fassaden zahlreicher Büro- und Geschäftshäuser zeigen später, die Beamten konnten am Samstag nicht überall sein. Das Bündnis M 31 hat die nächsten Proteste für Mitte Mai mit mehreren Aktionstagen angekündigt.
Quelle: Neues Deutschland, 01.4.2012
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