In mehr als 70 Veranstaltungen bundesweit erinnern Friedensgruppen in diesen Tagen an die Opfer der Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki vor nunmehr 67 Jahren. Sie fordern den Abzug der als Relikte des Kalten Krieges in der Bundesrepublik, der Türkei, Italien, Niederlande und Belgien verbliebenen US-Atombomben und die weltweite Ächtung der Atomwaffen durch eine Nuklearwaffenkonvention. Vielerorts wird bei den Aktionen auch an Tschernobyl und Fukushima erinnert und der vollständige Ausstieg aus der Atomenergie gefordert. junge Welt dokumentiert auszugsweise Reden vom gestrigen Hiroshima-Gedenktag.
Ursula Haun-Jünger, Ärztin und aktiv bei der IPPNW Regionalgruppe Bremen:
Wir gedenken heute der Menschen, die 1945 durch den Abwurf von US-Atombomben auf die japanischen Städte Hiroshima und Nagasaki getötet wurden oder an den Spätfolgen der radioaktiven Verstrahlung, überwiegend Krebserkrankungen, verstarben. 150000 bis 220000 Menschen überlebten die folgenden Monate nicht. Noch heute erkranken Menschen aus diesen Regionen an Krebs, der der Spätfolge der Verstrahlung zugerechnet wird. Genetische Defekte, also Veränderungen am Erbgut traten schon bei der ersten nachfolgenden Generation auf (zehn Prozent); der größte Anteil (zirka 90 Prozent), die sogenannten rezessiven genetischen Schäden der radioaktiven Verstrahlung werden sich noch bei den kommenden Generationen zeigen.
Wir vergessen auch nicht die Menschen von und um Tschernobyl: Die Krankheitsfolgen des Atomunfalls sind wegen Geheimhaltungsvorschriften in den ersten Jahren nicht exakt erfaßt. Russische Forscher und internationale Wissenschaftler haben dann 2006 und 2009 eine gemeinsame Untersuchung veröffentlicht. Darin werden nicht nur Krebserkrankungen, sondern ein sprunghaftes Ansteigen von Schwächung des Immunsystems, Herzkreislauferkrankungen mit Todesfolge bei jungen Menschen, chronische Erkrankungen von Schilddrüse und Bauchspeicheldrüse sowie neurologisch-psychiatrische Erkrankungen als Reaktionen auf Niedrigstrahlung gesehen. Ähnliches wird nun nach dem Fukushima-Unfall auch aus Japan berichtet.
Allen politischen Kräften ist bekannt: Wer sich in der zivilen Atomtechnologie auskennt, kann sie auch für militärische Zwecke, den Bau von Atomwaffen, mißbrauchen. Aus den abgebrannten Brennelementen der Atomkraftwerke bei ziviler Nutzung wird Plutonium gewonnen. Wer Plutonium aus Brennstäben separieren kann, dem steht technisch der Weg offen, auch Bombenmaterial herzustellen. Ein Teil der Wiederaufarbeitungsanlagen wurde deshalb ausschließlich für militärische Zwecken gebaut.
Nicht zu vergessen ist das massenhaft anfallendende »abgereicherte Uran« (Depleted Uranium – DU), das bei der Verarbeitung für die Brennstäbe anfällt. Dieser Stoff wird massenhaft über die bremischen Häfen umgeschlagen und in alle Welt transportiert. Er wird zu Uranmunition verarbeitet. 21 Armeen der Welt haben diese bevorratet. DU-Munition wurde benutzt bei der sowjetischen Besetzung Afghanistans und später dort von der NATO, im zweiten Golfkrieg 1991 , im Kosovo 1999 und im Irak-Krieg 2003.
Während des Kalten Krieges lagerten die USA und Großbritannien in fünf europäischen Ländern (der Türkei, Italien, Deutschland, Niederlande und Belgien) Nuklearwaffen ein, davon sind noch 20 B61-Bomben auf dem deutschen Fliegerhorst Büchel an der Mosel. Dort trainiert die deutsche Luftwaffe ihren Einsatz mit Tornado-Jagdbombern.
Die Vereinigung IPPNW, Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkriegs, hat sich die Abschaffung der Atomwaffen zur Hauptaufgabe gemacht. Wenn das Gedenken an die Toten der Atomunfälle nicht nur in Appellen enden soll, laßt uns vor der eigenen Tür kehren: Die in Deutschland stationierten Atomwaffen müssen endlich demontiert und verschrottet werden, nicht modernisiert! Wir in Bremen sollten die Transporte von Waffen und radioaktiven Materialien über bremische Häfen nicht zulassen, sie müssen verboten werden!
Corinna Haaß, Gemeindepfarrerin der Ev.-luth. Christus-Kirchengemeinde Schulau in Wedel bei Hamburg:
Nachdem es deutschen Wissenschaftlern glücklicherweise vor Ende des Zweiten Weltkrieges nicht mehr gelungen ist, einsetzbare Atombomben zu produzieren, führten die USA am 16. Juli 1945 den ersten Test ihrer neu entwickelten Atombombe in New Mexico durch, ohne übrigens die Bevölkerung zu evakuieren oder über Gefahren zu informieren. Ernst zu nehmende Wissenschaftler warnten damals massiv vor dieser ersten Atombombenexplosion, weil sie befürchteten, eine nicht mehr zu stoppende Kettenreaktion auszulösen, die unsere gesamte Atmosphäre vernichten würde. Dieses Risiko für alles Leben gingen die damals verantwortlichen Wissenschaftler und Politiker ohne Skrupel ein. »Es wird schon nicht zu schlimm kommen.« Drei Wochen später warfen sie am 6. August 1945 die erste Atombombe auf Hiroshima, drei Tage danach die zweite auf Nagasaki. Ausprobieren, das war immer noch ein wichtiges Ziel. Eine Bombe funktionierte mit Uran, die andere mit Plutonium und beide wurden so gezündet, daß ein möglichst großer Verlust an Menschenleben eintreten würde. Offiziell als humane Aktion ausgegeben, um den Zweiten Weltkrieg möglichst schnell zu beenden. Viele Gründe spielten damals sicher eine Rolle: der Sowjetunion gegenüber militärische Überlegenheit zu demonstrieren (das war damit praktisch der Auftakt zum Kalten Krieg), gleichzeitig die Rache für Pearl Harbor an Japan und eben das wissenschaftliche Interesse, das ohne Mitgefühl über Leichen geht.
Es ist unsere Aufgabe, die Erinnerungen wach zu halten. Der Weg zum Frieden führt nicht über atomare Bewaffnung und Bedrohung, über Aufrüstung und Abschreckung, denn die Mittel, die dafür verschlungen werden, könnten mühelos dafür sorgen, daß Menschen satt werden, daß Kinder zur Schule gehen können und Kranke geheilt werden. Frieden ist nur durch Gerechtigkeit und gerechtere Wirtschaftsverhältnisse und über menschliche Fürsorge und Akzeptanz, in der Bibel Nächstenliebe genannt, zu haben.
Heinz Josef Algermissen, Bischof der Diözese Fulda und Präsident von Pax Christi in Deutschland:
Der Hiroshima-Gedenktag erinnert uns an die Aktualität unserer Verantwortung für eine Politik der nuklearen Abrüstung. Eine Welt ohne Atomwaffen kann erreicht werden, wenn die Weltgemeinschaft sie wirklich will. Fast scheint es aber, als habe sich die Gesellschaft so sehr an Atomwaffen als Bestandteil unserer Sicherheitspolitik im NATO-Bündnis gewöhnt, daß die damit verbundene Gefahr völlig aus dem Blick gerät. Politik und Militärstrategien tragen dazu bei, indem sie uns Atomwaffen heute als reine Abschreckungsmaßnahme präsentieren, deren Einsatz eigentlich gar nicht geplant sei. Denn ihre bloße Existenz erziele bereits die erstrebte abschreckende Wirkung
Die humanitären Katastrophen von Hiroshima und Nagasaki jedoch können sich wiederholen. Die 20000 existierenden Atomwaffen werden zu einem großen Teil in sofortiger Einsatzbereitschaft gehalten und sind vor unbeabsichtigter Auslösung durch technische Pannen oder menschliche Fehler nicht gefeit. Jeder Einsatz von Atomwaffen, ob politisch gewollt oder unbeabsichtigt, wird Weltklima, Umwelt und Nahrungsgrundlagen massiv und auf Dauer verändern. Hilfsorganisationen könnten im Angesicht der Zerstörungen, die Atomwaffen an Mensch und Natur anrichten, nichts bewirken.
Der Vatikan wies auf der Überprüfungskonferenz des Atomwaffensperrvertrages im Mai 2012 in Wien gemeinsam mit 15 anderen Staaten sehr deutlich auf diese Gefahr hin und forderte die Atommächte dazu auf, die Vereinbarkeit der Atomwaffen mit internationalem Recht und dem humanitären Völkerrecht zu überprüfen. Dies konfrontiert die Atommächte mit der Frage, ob nicht bereits Besitz und strategische Drohung mit Atomwaffen eine Verletzung des Kriegsrechtes bedeuten.
In den letzten Jahren sind wichtige Abrüstungsverträge geschlossen worden. Jetzt ist es an der Zeit, auch den letzten Schritt hin zu einer Welt ohne Atomwaffen zu tun. Ich möchte ermutigen, immer wieder gegen die nukleare Rüstung anzugehen. Deshalb engagiert sich pax christi in der Kampagne »atomwaffenfrei.jetzt«, um der Forderung nach Abschaffung aller Atomwaffen gemeinsam mit vielen anderen Menschen Nachdruck zu verleihen. Die Opfer von Hiroshima und Nagasaki bleiben eine Mahnung an die Menschheit, die todbringenden Waffen für immer zu ächten.
Quelle: www.jungewelt.de vom 07.August 2012
« Protest nach Brandanschlag – Polizei verletzt NPD-Blockierer schwer »
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