Wieder sind wir Zeuge eines »einmaligen Vorgangs«, der sich wahrscheinlich jetzt zum 25. Mal durch die knapp einjährige Aufklärungsarbeit zieht: Bis zum 11. September 2012 war Stand der Dinge, daß der Militärische Abschirmdienst (MAD) keine Unterlagen geführt habe, die zur Aufklärung der von der rechten Terrorgruppe »Nationalsozialistischer Untergrund« (NSU) begangenen Morde beitragen könnten. In diesem ahnungslosen Zustand befand sich angeblich auch die oberste Dienststelle, das Verteidigungsministerium.
Mittlerweile wissen wir, daß diese Auskünfte immer falsch waren. Das Einzige, was tatsächlich variiert, sind die unglaublichen Verrenkungen, die massiven Behinderungen zu bagatellisieren. Der oberste Dienstherr der Bundeswehr und des MAD, Verteidigungsminister Thomas de Maizière (CDU), bedauerte und befand, daß sein Ressort in dieser Angelegenheit »unsensibel« gehandelt habe. Abgesehen von dieser kleinen emotionalen Schwankung hat sich das Verteidigungsministerium nichts vorzuwerfen, schon gar nicht, daß es an der Verhinderung der Aufklärung aktiv mitgewirkt hat.
Was ist passiert und sollte unter keinen Umständen öffentlich werden? Uwe Mundlos, der nicht viel später Mitglied der neonazistischen Kameradschaft »Thüringer Heimatschutz« (THS) wurde, aus der die neonazistische Terrorgruppe NSU hervorging, leistete von April 1994 bis März 1995 beim Panzergrenadierbataillon 381 im thüringischen Bad Frankenhausen seinen Wehrdienst ab. Ziemlich schnell fiel er durch seine neonazistische Gesinnung auf, die er gegenüber niemandem verbarg. Auch nicht gegenüber dem MAD, der ihn zu einer »Befragung« einbestellte. Freimütig gab Mundlos an, daß er Mitglied in einer »Skingruppe« sei. Flüchtlinge würden sich ein schönes Leben auf Kosten des Staates machen und müßten sofort abgeschoben werden. Diese Aussagen überraschten den MAD nicht – im Gegenteil: Der Bundeswehrgeheimdienst fragte ihn laut Spiegel (11.9.2012), »ob er sich vorstellen könne, ihm bekannt gewordene Termine für Anschläge auf Asylbewerberheime der Polizei oder den Verfassungsschutzbehörden zu melden«. Dem Gesprächsprotokoll zufolge habe Mundlos verneint. Damit war die Sache für den MAD erledigt. Ordentlich, wie der Militärische Abschirmdienst nun einmal ist, verschickte er 1995 eine Kopie dieser Beobachtungsakte an verschiedene Landesämter und das Bundesamt für Verfassungsschutz. Nach 15 Jahren hat der MAD, wieder ganz ordentlich, die Originalakte vernichtet.
Bewußte Täuschung
Halten wir fest:
1. Selbst wenn der MAD die Akte »Mundlos« 2010 vernichtet haben will, ist im Aktenlauf vermerkt, an wen eine Kopie verschickt wurde.
2. Obwohl mehrere Landesämter und das Bundesamt für Verfassungsschutz im Besitz dieser MAD-Akte waren, unterschlugen sie diese gegenüber den Untersuchungsausschüssen des Bundestages und mehrerer Landtage.
3. Das Verteidigungsministerium agierte folglich nicht »unsensibel«, sondern strafbar: »Nach den Angaben des Verteidigungsministeriums erfuhr die Amtsleitung, also auch Minister de Maizière, bereits am 13. März 2012 davon, daß der MAD Mundlos 17 Jahre zuvor in seiner Wehrdienstzeit befragt hatte – und daß das Protokoll dieser Befragung seinerzeit zumindest auch an das sächsische Landesamt für Verfassungsschutz geschickt worden war.« (FR vom 12.9.2012) Wenn also noch Anfang Juli 2012 das Verteidigungsministerium erklärte, »der MAD habe zu Uwe Mundlos keinen Kontakt gehabt«, liegt kein Versehen vor, sondern eine bewußte Täuschung. Dieses Wissen unterschlagen zu haben, ist nicht mangelhaft »aktiv kommunikativ«, sondern wiederholter Rechtsbruch.
4. Die Unterschlagung dieser Akte bei mindestens vier Behörden beweist zum 25. Mal, daß es sich nicht um ein individuelles Versagen handelt, sondern um ein organisiertes Vorgehen.
5. Die Behauptung des Verteidigungsministers de Maizière, der Versuch des MAD, einen Neonazi als Quelle anzuwerben, sei gar kein Anwerbeversuch gewesen, beweist nur eines: einen hohen Grad an Verschleierungswillen.
Nimmt man also die bis heute bekannt gewordenen Fälle von Aktenvernichtung, Vertuschung und Irreführung zusammen, ordnet man sie verschiedenen staatlichen Institutionen zu, darf man feststellen: Ob bei der Polizei oder bei den verschiedenen Landesämtern für Verfassungsschutz, ob beim MAD oder beim Bundesamt für Verfassungsschutz, ob bei einzelnen Innenministerien oder beim Bundesverteidigungsministerium – die Einzelfälle greifen (fast) lückenlos ineinander. Das nennt man – in jedem anderen Beispiel – nicht Zufall, sondern organisierten, systematischen Rechtsbruch.
Ganz, ganz vorsichtig nähert sich auch die Frankfurter Rundschau (12.9.2012) der Systematik: »Ob beim Verfassungsschutz oder beim Militärischen Abschirmdienst, ob jeweils isoliert oder abgesprochen: Hinter dem Aktenschwund steckt allem Anschein nach Kalkül … Es gibt zwar kein Indiz dafür, daß in Deutschland existiert, was man in der Türkei den ›tiefen Staat‹ nennt – also das Zusammenwirken von Sicherheitsbehörden und kriminellen oder terroristischen Strukturen. Gleichwohl deutet vieles auf organisierte Vertuschung hin.«
Staatliche Verwicklung
Die Angst, sich vorzustellen, was sich hinter dieser »organisierten Vertuschung« verbirgt, wie es möglich ist, 13 Jahre lang die Verwicklung ausnahmslos aller staatlichen Verfolgungsorgane in die neonazistische Mordserie geheimzuhalten, ist aus jeder Zeile herauszulesen. Aus genau diesem Grund werfen auch so viele Aufklärer den Rettungsring aus individuellem Versagen, Zufall und Panne um einen Staatsapparat, dessen konstitutive Veränderungen sie um – fast jeden Preis – nicht wahrhaben wollen.
»Es gibt aber keinen Grund dafür, unsere Sicherheitsbehörden kaputt zu hauen«, ließ MAD-Präsident Ulrich Birkenheier in der vergangenen Woche die Öffentlichkeit wissen. Anstatt an den Worten des Geheimdienstchefs achtlos vorbeizugehen, sollte man seinen Gedanken aufgreifen und konsequent zu Ende denken: Gäbe es einen oder gar mehrere Gründe für die Zerschlagung der Geheimdienste, darf, ja muß man die Geheimdienste »kaputthauen«.
Hier sind sechs Gründe:
1. Grund: Als der Neonazi Mundlos in der Bundeswehr seinen Wehrdienst begann, fiel er sofort dadurch auf, daß seine Visitenkarte mit dem Bild von Adolf Hitler geschmückt war. Zu Hause wurden NPD-Flugblätter gefunden, und er war Teilnehmer einer neonazistischen Feier zum Geburtstag des Hitler-Stellvertreters Rudolf Hess. Der MAD befand, daß all dies der Bundesrepublik Deutschland nicht schaden könne – und unternahm nichts.
2. Grund: Kurz vor Ende seines Wehrdienstes wurde der Neonazi und Soldat Mundlos tatsächlich vom MAD »einvernommen«. Obwohl er aus seiner neonazistischen Einstellung keinen Hehl machte, konnte und wollte der MAD »keine Anhaltspunkte für rechtsterroristische Absichten« (Süddeutsche Zeitung vom 17.9.2012) erkennen.
3. Grund: Was der MAD partout nicht als neofaschistische Gesinnung werten wollte, wollte er dennoch »abschöpfen«. Und so wurde Mundlos gefragt, ob er sich vorstellen könne, den Behörden z.B. Anschlagspläne auf Flüchtlingsheime mitzuteilen.
4. Grund: Der MAD wurde aufgefordert, alle Unterlagen, die Mitglieder und Umfeld des NSU betreffen, den Untersuchungsausschüssen zukommen zu lassen. Der MAD behauptete, es gäbe keine diesbezüglichen Unterlagen.
5. Grund: Gleichzeitig ging ein Rundschreiben an verschiedene Verfassungsbehörden, die an sie versandte Beobachtungsakte zu Mundlos zurückzuschicken.
6. Grund: Die oberste Dienststelle des MAD, das Verteidigungsministerium deckte diese Vertuschung und behauptete wider besseres Wissen, daß es keine Unterlagen zu Mundlos gäbe.
Die Bedingungen, die der MAD-Chef an die Zerschlagung der Geheimdienste gestellt hat, sind mehr als erfüllt. Ebenso viele Gründe gäbe es, den Verfassungsschutz aufzulösen.
Ausführliche Recherche des Autors
Quelle: www.jungewelt.de vom 19.09.12
« „Eine öffentliche Aufführung des antimuslimischen Films ,Die Unschuld der Muslime‘ kann und muss untersagt werden“, fordert die innenpolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE, Ulla Jelpke. Sie fährt fort: – Gerichtsurteil vor dem Landgericht Koblenz endet mit Freispruch! Von Wolfgang Huste »
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