Was am 17. Januar von einer Kölner Ärztin öffentlich gemacht wurde, erhitzt seither die Gemüter. Zwei katholische Kliniken in Köln hatten sich Mitte Dezember geweigert, ein mutmaßliches Vergewaltigungsopfer zwecks Spurensicherung zu untersuchen. Die junge Frau war morgens in einem Park in Köln aufgewacht, ohne zu wissen, wie sie dorthin gekommen war. Die Notärztin Irmgard Maiworm vermutete, daß sie jemand mit K.O.-Tropfen betäubt und vergewaltigt haben könnte und wollte sie zur gynäkologischen Untersuchung überweisen (siehe jW vom 18.1.). Allein, die Ärzte der beiden von ihr kontaktierten Kliniken, des St.-Vinzenz-Krankenhauses und des Heilig-Geist-Krankenhauses, lehnten die Behandlung der Frau ab. Begründung: Sollte es zur vermuteten Diagnose kommen, stünde die Verschreibung der »Pille danach« oder gar ein Beratungsgespräch über die Möglichkeit eines Schwangerschaftsabbruches zur Debatte. Beides könne man nicht anbieten. Im zuständigen Erzbistum streute man sich Asche aufs Haupt – und versicherte, es gebe keine interne Anweisung, mutmaßliche Vergewaltigungsopfer nicht zu untersuchen. Nur die Verhütungspille könne man nicht verschreiben.
Der Fall wirft ein Schlaglicht auf drei Problemfelder: den wachsenden Einfluß und die zunehmenden Aktivitäten militanter Abtreibungsgegner, die Sonderrechte, die kirchliche Einrichtungen für sich geltend machen, obwohl sie zu 95 Prozent durch staatliche Gelder finanziert werden – und die Rezeptpflicht für die sogenannte Pille danach, deren Abschaffung seit Jahren vom Pro-Familia-Bundesverband – bislang vergeblich – gefordert wird. Die beiden letztgenannten sind typisch deutsch. Sie zeigen, welch verheerende Folgen der Status haben kann, den die Kirchen hierzulande genießen – und daß es den Kölner Fall so nicht hätte geben können, wenn Notfallkontrazeptiva frei verkäuflich wären – wie in 28 anderen europäischen Staaten.
Der Tagesspiegel enthüllte diese Woche, daß der Grund für die Zurückweisung der Patientin durch die Kölner Ärzte offenbar ein Detektiveinsatz im Auftrag radikaler »Lebensschützer« war. Eine von ihnen angeheuerte Ermittlerin hatte demnach im Oktober 2011 in vier katholischen Kliniken um die »Pille danach« gebeten und Einrichtungen, die ihren Wunsch erfüllten, beim Erzbistum Köln angeschwärzt. Die Folge: Die Ärzte der Vinzenz-Klinik waren, weil ihr Haus zu den denunzierten gehörte, verunsichert, fürchteten um ihren Job. Dies bestätigte der Sprecher der Cellitinnen-Stiftung, Trägerin der Klinik, der Zeitung. Die Ärztin Irmgard Maiworm arbeitet in der von der Kassenärztlichen Vereinigung getragenen Notfallpraxis auf dem Klinikgelände und hatte der Betroffenen die »Pille danach« bereits verschrieben.
Unterdessen teilte die nordrhein-westfälische Gesundheitsministerin Barbara Steffens (Grüne) mit, die Abweisung der Frau habe nicht gegen staatliche Vorschriften verstoßen. Bislang sei nicht erkennbar, »daß der Krankenhausträger sich nach krankenhausaufsichtsrechtlichen Prinzipien pflichtwidrig verhalten hat«, hieß es in einer Pressemitteilung ihres Hauses vom Mittwoch. Die Aufklärung des Vorgangs sei jedoch noch nicht abgeschlossen. Wenn ein Krankenhaus die Versorgung eines mutmaßlichen Vergewaltigungsopfers nicht anbieten könne, müsse eine umfassende Versorgung »auf anderen Wegen« sichergestellt werden.
NRW-Vizeministerpräsidentin Sylvia Löhrmann (Grüne) hatte am Dienstag erklärt, die »skandalösen Vorgänge in Köln« widersprächen »eklatant dem christlich-sozialen Auftrag dieser Krankenhäuser« und seien »ein Verstoß gegen die Menschlichkeit«. Löhrmann will den Kölner Fall zum Thema im Zentralkomitee der deutschen Katholiken machen, dem sie angehört. Auch in der CDU sorgte der Fall für Empörung. Der Bundestagsabgeordnete Jens Spahn etwa sagte der Welt am Sonntag, Krankenhäuser, die so etwas täten, »müßte man eigentlich vom Netz nehmen«.
Was Kardinal Joachim Meisner unterdessen am Dienstag von sich gab, zeigte einmal mehr, in welchem Ausmaß nicht nur Bigotterie, sondern auch Unkenntnis – oder bewußte Desinformation – das Handeln der Katholiken beherrschen. Der 79jährige bat zwar die betroffene junge Kölnerin um Entschuldigung und zeigte sich »beschämt«. Alles medizinisch und seelsorgerisch Nötige hätte unternommen werden müssen, so Meisner – aber: »Ausgenommen sind nach unserem Selbstverständnis allerdings alle Maßnahmen, welche die Tötung eines möglicherweise schon gezeugten Kindes bedeuten«. Der »Lebensschutz« sei »eine unüberschreitbare Grenze und jedem menschlichen Eingriff entzogen«. Die »Pille danach« aber, deren Verschreibung die Katholiken so vehement ablehnen, »tötet« jedoch keineswegs eine befruchtete Eizelle (die hier als »Kind« bezeichnet wird), sondern hemmt die Reifung der Eizelle sowie den Eisprung – unter der Voraussetzung, daß dieser noch nicht stattgefunden hat. Eine bereits in der Gebärmutter eingenistete befruchtete Eizelle wird dadurch nicht beeinträchtigt, mithin bietet dieses Medikament auch keinen vollständigen Schutz gegen eine Schwangerschaft. Es ist also keineswegs eine »Abtreibungspille« wie etwa das Präparat Mifegyne.
Alice Schwarzer wies am Mittwoch in einem Blogeintrag auf die »unerträgliche Kluft zwischen menschlichem Leben und katholischer Doktrin« hin. Gläubige Katholikinnen ließen Schwangerschaften nicht seltener abbrechen als andere, das belegten Studien, so Schwarzer. Weltweit sei »vor allem die katholische Kirche für die jährlich über 80000 toten Frauen verantwortlich, krepiert bei illegalen Abtreibungen. Das nennen Kirchenmänner wie Meisner ›Lebensschutz‹.«
Feministinnen haben unterdessen ein Ende der staatlichen Finanzierung kirchlicher Krankenhäuser gefordert. Rita Tramm, Sprecherin des Bündnisses »Raise your voice – your body your choice«, erklärte am Mittwoch: »Es kann nicht sein, daß der Staat finanziell weiterhin eine antifeministische Politik unterstützt«.
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Quelle: www.jungewelt.de vom 25.01.13
« Spaltungsmanöver. Überwachung linker »Extremisten«. Von Ulla Jelpke – Angriff auf die Meinungsfreiheit »
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