Unionsparteien und SPD haben sich in der Nacht zum Mittwoch auf einen Koalitionsvertrag geeinigt, der dem Wahlwerbeslogan der »PARTEI« des Satirikers Martin Sonneborn »Das Bier entscheidet« alle Ehre macht. Am Ende ging es allen Beteiligten vor allem darum, in Regierungspöstchen zu kommen, mit welchem Programm blieb immer zweitrangig. So hat die SPD sich wie erwartet im Laufe der Verhandlungen von ihren wichtigsten, allerdings schon am Tage ihrer Verkündung nicht ernst gemeinten Forderungen verabschiedet. Da wäre als erstes der Mindestlohn zu nennen. 8,50 Euro waren von den Sozialdemokraten gesetzt. Brutto natürlich, also tief unten im Armutsbereich. Denn als arm galt laut dem erst am Vortag veröffentlichten »Datenreports 2013« schon 2011, wer weniger als 980 Euro (netto) zur Verfügung hatte. Aber nicht einmal diese Almosen als Mindestlohn wollte die SPD durchsetzen. Sie stehen zwar im Vertrag, sollen aber erst 2017 uneingeschränkt gelten. Da beginnt schon fast die nächste Legislaturperiode.
Das zweite große gebrochene SPD-Wahlversprechen ist der Abschied von der Forderung nach einer Bürgerversicherung und der Wiedereinführung der von den Sozialdemokraten selbst abgeschafften paritätischen Krankenversicherung. Der Arbeitgeberbeitrag bleibt bei 7,3 Prozent eingefroren, alle weiteren Beiträge zahlen die Versicherten, die schon heute über ihre 8,2 Prozent hinaus mit jeder Menge Zuzahlungen belastet werden.
Den »Sozialbonbon« der Koalitionsvereinbarung sollen offenbar die Beschlüsse zur Rente darstellen. Für Juli nächsten Jahres wird eine Mütterrente für vor 1992 geborene Kinder sowie eine abschlagsfreie Rente ab 63 nach 45 Beitragsjahren versprochen. Beide Renten zusammen kosten mindestens 26 Milliarden Euro. Wie das bezahlt werden soll, darüber schweigen sich die Koalitionäre aus, nur Steuern wollen sie nicht erhöhen.
Geeinigt haben sich die drei Parteien auch auf den Einstieg in eine PKW-Maut. Im Wahlkampf hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel getönt: »Eine PKW-Maut wird es mit mir nicht geben.« Nun ist das Paket ausländerfeindlich verpackt, und schon wächst bei Kanzlerin und SPD die Akzeptanz für dieses unsoziale Vorhaben. Angeblich soll die Maut nur für im Ausland zugelassene PKW gelten, was die EU übrigens bereits für illegal erklärt hat, aber eine einen Spalt breit geöffnete Tür läßt sich bekanntlich leichter aufstoßen als eine verschlossene.
Ganz wichtig für die große Koalition ist auch der Beschluß, einen Gedenktag zur »Erinnerung an Flucht und Vertreibung« einzuführen, ein Plan, der so dringend benötigt wird wie Syphilis. Natürlich soll er sich nicht auf die Armutsflüchtlinge beziehen, denen Deutschland das Asyl verweigert und die Europa zu Tausenden im Mittelmeer ertrinken läßt, sondern auf die Ergebnisse des Zweiten Weltkrieges. Knapp 70 Jahre Schamfrist scheint man für genug zu halten, um nun endlich dem »Bund der Vertriebenen« (BdV) sein »langjähriges Herzensanliegen« (BdV-Chefin Erika Steinbach) zu erfüllen.
Gewinner des Koalitionsvertrages sind außer Steinbach wieder einmal alle, die in den nächsten vier Jahren irgendwie mitmischen können, denen da unten das Fell über die Ohren zu ziehen. SPD-Chef Sigmar Gabriel verstieg sich sogar zu der Behauptung, die »große Koalition hat einen Koalitionsvertrag für die kleinen und fleißigen Leute geschrieben«. Zeit also wieder für Tucholsky: »Merkt ihr nischt?«
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