Um 82 Milliarden Pfund will die britische Regierung die öffentlichen Ausgaben bis 2015 kürzen. Zu diesem Zweck sollen das öffentliche Gesundheitssystem quasi abgeschafft und bis zu einer Million Stellen im staatlichen und öffentlichen Sektor abgebaut werden. Gleichzeitig werden Sozialleistungen für Erwerbslose gestrichen; Büchereien, Schulen, Schwimmbäder, Krankenhäuser schließen flächendeckend. Öffentlicher Wohnungsbau wird eingestellt. Wie die Gewerkschaft der Staatsangestellten PCS in ihrer Broschüre »Es gibt einen anderen Weg« schreibt, ist die konservativ-liberale Regierung fest entschlossen, den britischen Sozialstaat auf ein viktorianisches Niveau zu reduzieren.
Das wird nicht ohne Konflikte abgehen. Stadtverwaltungen nutzen brutale Methoden, um Stellenabbau durchzusetzen. Ganze Belegschaften erhalten Entlassungsbescheide. Bereits jetzt gibt es Streiks gegen Maßnahmen, die direkt oder indirekt mit dem Sparpaket zusammenhängen. Am Freitag bestreikte die Journalistengewerkschaft NUJ die BBC. So sollen geplante Rentenkürzungen abgewehrt werden. Weitere Arbeitsniederlegungen sind geplant. In London traten vergangene Woche zum wiederholten Mal die U-Bahnbeschäftigten in den Ausstand, ebenso die Feuerwerhrleute.
Die von der britischen Regierung ergriffenen Maßnahmen werden vom Unternehmerverband CBI enthusiastisch begrüßt. Der Defizitabbau sei eine »essentielle Aufgabe«, heißt es in dem kürzlich veröffentlichten Dokument »Die Räder am Laufen halten – Das System der industriellen Beziehungen modernisieren«. Allerdings macht sich der Verband Sorgen, es bestehe die Gefahr wachsender betrieblicher Auseinandersetzungen. So beklagt der CBI Streiks »mit sehr hohem Profil und starken Auswirkungen«. Dies zielt vor allem auf die Transportarbeitergewerkschaft RMT. Sie gilt als die militanteste britische Gewerkschaft, ihre Bastion ist die Londoner U-Bahn. Hier ist sie stark verankert; sie hat die Macht, den Personennahverkehr Londons jederzeit zum Stillstand zu bringen. Der konservative Londoner Bürgermeister Boris Johnson war 2008 mit dem erklärten Ziel angetreten, die gewerkschaftliche Organisierung bei der Londoner U-Bahn zu zerschlagen. Bislang ist ihm dies nicht gelungen.
Angesichts der Kürzungspolititik und zu erwartender sozialer Auseinandersetzungen fordert der Unternehmerverband CBI nun eine drastische Verschärfung der Antigewerkschaftsgesetze. Diese wurden in den 1980er Jahren von der Thatcher-Regierung eingeführt. Sie verbieten wilde Streiks und verpflichten Gewerkschaften zu umständlichen Briefwahlverfahren. Bevor ein legaler Arbeitskampf überhaupt möglich ist, muß per Post abgestimmt werden. Dann muß der Arbeitgeber sieben Tage vor Streikbeginn informiert werden. Bei Zuwiderhandlung können die Gelder einer Gewerkschaft eingezogen werden.
Diese Gesetze legalisierten den Bürgerkrieg Thatchers gegen die streikenden Bergarbeiter 1984. In den vergangenen Monaten kamen sie wieder verschärft zur Anwendung. Eine Reihe von Streiks, vor allem im Transportwesen und bei British Airways, wurde zeitweise gerichtlich unterbunden. Selbst kleinste Fehler bei der Durchführung des Briefwahlverfahrens können zum Verbot eines geplanten Streiks führen.
Die Transportarbeitergewerkschaft RMT arbeitete deshalb in Zusammenarbeit mit dem linken Labour-Abgeordneten John McDonnell den sogenannten »Minor Errors Bill« aus. Dieser Gesetzesvorschlag sollte die Praxis, Streiks aufgrund kleiner Fehler gerichtlich zu unterbinden, rückgängig machen. Der Vorschlag fiel im Parlament durch, er wurde auch von der Mehrheit der Labour-Abgeordneten nicht unterstützt. Auch Parteichef Ed Miliband stimmte dagegen.
Für den Unternehmerverband gehen die gegenwärtigen Bestimmungen dagegen noch nicht weit genug. Er fordert unter anderem die Verlängerung der Bekanntmachungsfrist für Arbeitskämpfe von sieben auf 14 Tage. Außerdem soll ein Briefwahlverfahren nur gültig sein, wenn sich mindestens 40 Prozent aller Gewerkschaftsmitglieder im Unternehmen an der Abstimmung beteiligen. Geldstrafen bei Zuwiderhandlung sollen verschärft und der Einsatz von Streikbrechern sollen vereinfacht werden.
Stark sind die britischen Gewerkschaften ohnehin nur noch im Staatlichen bzw. öffentlichen Sektor. In der Privatwirtschaft sind sie praktisch zerschlagen. Nur 15 Prozent aller dort Beschäftigten sind noch organisiert.
Quelle: www.jungewelt.de vom 09.11.10
« Nazibücher bei Spiegel, FAZ und SZ – Novemberpogrome. Erinnern wir uns! Nie wieder Faschismus und Rassismus! Nie wieder Krieg! »
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Diesen rigiden Sozialabbau – Kurs, der sich primär gegen „die da unten“ richtet, finden wir in allen kapitalistischen Staaten, also in ganz Europa. Demnach sollten wir weit über unseren eigenen Tellerrand hianausdenken und internationale Solidarität üben! Laßt uns gemeinsam für eine Welt kämpfen, in der Unterdrückung und Ausbeutung keinen Platz hat! Venceremos!
Kommentar: Wolfgang Huste – 09. November 2010 @ 14:35
Über 50000 Menschen protestieren gegen Kürzungen im Bildungsbereich
Von Christian Bunke, London
Weit über 50000 Studierende und Mitglieder der Gewerkschaft für Lehrende im höheren Bildungsbereich UCU haben am Mittwoch in London gegen Sparpläne der britischen Regierung im Bildungsbereich demonstriert. Die Teilnehmer reisten aus ganz Großbritannien an.
Die Wut richtete sich insbesondere gegen die Liberaldemokratische Partei. Diese war im Wahlkampf für die Abschaffung von Studiengebühren angetreten. Nun betreibt sie eine Regierungspolitik, in der unter anderem eine Erhöhung der Studiengebühren auf bis zu 9000 Pfund pro Jahr vorgesehen ist. Für die kommenden Parlamentswahlen wird mit einer verheerenden Niederlage für die Liberaldemokraten gerechnet.
Viele Studierende erklärten, sie seien nicht nur für sich auf der Straße, sondern auch für zukünftige Generationen. Durch die Erhöhung der Studiengebühren kann sich auch die Mittelklasse eine akademische Ausbildung nicht mehr leisten. Die UCU veröffentlichte am Vorabend der Demonstration einen Bericht, wonach die Kosten eines Studiums seit 1988 um 312 Prozent gestiegen seien. Bis 2012 werden sie aufgrund der Regierungsmaßnahmen um weitere 101 Prozent ansteigen.
Sowohl das ehemalige Labour-Kabinett als auch die gegenwärtige Koalitionsregierung begründen Studiengebühren mit den angeblich hohen Gehältern, die Menschen mit dem Studienabschluß erhalten würden. In Wirklichkeit stellt sich die Situation für Universitätsabgänger dramatisch dar. Laut UCU ist die Erwerbslosigkeit unter Menschen mit akademischer Bildung derzeit auf dem höchsten Stand seit 17 Jahren. Sie liegt derzeit bei 8,9 Prozent.
Gleichzeitig stehen den Universitäten massive Sparmaßnahmen ins Haus. Es wird offen über die Schließung einiger Standorte diskutiert. An fast allen Universitäten werden Stellen gestrichen. So zum Beispiel allein 195 an der Universität Dundee. Deshalb war ein oft gehörter Sprechchor bei der Demonstration: »No ifs, no buts, no education cuts« (»Ohne Wenn und Aber: keine Kürzung bei der Bildung«).
Während der Demonstration stürmten einige tausend Menschen Millbank Tower. Dort befindet sich unter anderem die Zentrale der Konservativen Partei. Die Angestellten wurden evakuiert. Die Eingangshalle wurde besetzt, ebenso der Innenhof des Gebäudes. Zeitweilig brannte ein Lagerfeuer.
Quelle: http://www.jungewelt.de
Kommentar: Wolfgang Huste – 11. November 2010 @ 09:49