Etwa 30 bis 40 Prozent des Personals der Bonner Ministerien bestanden Anfang der 50er Jahre aus früheren NSDAP-Mitgliedern. Im Justizapparat der Bundesrepublik arbeiteten damals zu drei Vierteln Juristen, die auch vor 1945 »Recht« gesprochen hatten, in einigen Länderverwaltungen erreichte der Prozentsatz von faschistischen Beamten 80 Prozent. Der frühere hessische Ministerpräsident (1950 bis 1969) Georg Zinn (SPD) scherzte einmal, bei ihm säßen nur 65 Prozent alte Nazis, das sei nicht so schrecklich wie anderswo.
Zahlen dieser Art konnten die etwa 100 Teilnehmer einer Veranstaltung mit nach Hause nehmen, zu der am Freitag die Rosa-Luxemburg-Stiftung und der Bundestagsabgeordnete Jan Korte im Namen der Linksfraktion im Bundestag eingeladen hatten. Der Historiker Patrick Wagner (Halle) und der Jurist Joachim Perels (Hannover) nannten in ihren Referaten die angeführten Zahlen, bewerteten sie allerdings unterschiedlich. Perels schilderte, daß der bürgerliche Widerstand, aber auch die Exil-SPD in ihren Plänen für den Nachkrieg die Entfernung aller nazistischen »Rechtsschänder« vorgesehen hatten, ein Verlangen, das die Alliierten benfalls formulierten und unmittelbar nach 1945 in allen Besatzungszonen durchsetzten. Sehr rasch, so Perels, scherten die Briten allerdings aus und stellten wieder »Experten« mit faschistischer Vergangenheit. Der 1947/48 beginnende Kalte Krieg tat ein übriges, schließlich waren 40 Prozent der Juristen des Volksgerichtshofes wieder als Richter tätig. Perels führte das zu dem Fazit: »Die Justiz hat die juristischen Machtstrukturen der Nazidiktatur wiederhergestellt.« Immerhin habe es »einzelne rechtsstaatlich befreite Zonen gegeben«.
Diese Situation habe zugleich zu einer Einschränkung der Geltung des Grundgesetzes geführt, etwa wenn die Staatsanwaltschaft Dortmund die Auffassung vertrete, auf das Massaker der faschistischen deutschen Besatzungstruppen im griechischen Kalavrita sei das Völkerrecht nicht anwendbar. Oder wenn der Bundesgerichtshof 1956 zur Ermordung von Admiral Wilhelm Canaris, des Theologen Dietrich Bonhoeffer und anderer durch die SS im April 1945 anmerkte, auch der Nazistaat habe das »Recht auf Selbstbehauptung«.
Milder und manchmal relativierend äußerte sich Wagner. Als entscheidendes Kriterium für die Wiedereinstellung der von den Alliierten entlassenen Nazibeamten in den Bundesbehörden nannte er: Hat der Betreffende sich an den Komment der Bürokratie gehalten oder eine Nazikarriere an Kollegen vorbei gemacht? Teilnahme an Kriegs- oder Naziverbrechen sei dagegen keine Hürde gewesen. Bis 1949 habe sich der Beamtenapparat auch seinen eigenen Geschichtsmythos fertiggestellt: In den Behörden war demnach zwischen 1933 und 1945 weitgehend »normale« Arbeit geleistet worden, hervorgehoben aber habe man den »Dissens«, den man hier oder dort mit dem Regime gehabt habe.
Der Vertreter der Rosa-Luxemburg-Stiftung, Axel Krumrey, meinte hervorheben zu müssen, daß seine Einrichtung sowohl eine »sachlich fundierte Auseinandersetzung mit dem Staatssozialismus der DDR« wie mit dem »Nationalsozialismus« betreibe. Er fügte dem die ritualisiert-beflissene Formel von der »Nicht-Gleichsetzung« hinzu. Über die sind CDU/CSU und FDP längst hinaus, wie Korte aus dem Innenausschuß berichtete: Die Herrschaften sehen Nazis im wesentlichen in der DDR und der Linkspartei. Ihn veranlaßte das zu der Forderung, die »Zurückweisung der Totalitarismusdoktrin als Tagesaufgabe« zu betrachten. Die Linksfraktion hat nach seinen Worten jedenfalls mehrere Anträge gestellt, damit Mittel für die Untersuchung der braunen Anfänge von Bundesbehörden bereitgestellt werden. An den Prioritäten der offiziellen Geschichtspolitik – Hunderte Millionen für die propagandistische »Aufarbeitung« der DDR-Historie, vergleichsweise nichts für die Erforschung von Massenmord, Kriegsverbrechen und deren Vertuschung, Verharmlosung und Relativierung in der Bundesrepublik – dürfte sich dadurch nicht viel ändern. Denn es geht bei diesem Thema um den Gründungsmythos der Bundesrepublik.
Quelle: www.jungewelt.de vom 06.12.10
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Trackback: Marie Karsten – 10. Dezember 2010 @ 00:23