Wolfgang Huste Polit- Blog

Knausern mit System

Tags:

Für rückwirkende Leistungen aus dem Bildungspaket fordern Jobcenter widerrechtlich Nachweise. Arbeitsministerium und Bundesagentur schieben Schuld auf Kommunen
Von Ralf Wurzbacher

Viele Eltern, die für ihre Kinder rückwirkende Leistungen aus dem Bildungs- und Teilhabepaket für sozial Bedürftige beantragen, sehen sich der Drohung ausgesetzt, sämtliche Bezüge einzubüßen. Darauf haben am Freitag das Erwerbslosen-Forum Deutschland (Elo-Forum) und die Koordinierungsstelle gewerkschaftlicher Arbeitslosengruppen (KOS) in einer gemeinsamen Pressemitteilung hingewiesen. Danach erhalten diejenigen, die für die Zeit von Januar bis Ende März dieses Jahres Ansprüche geltend machen, nicht selten die Aufforderung zur Erbringung von Nachweisen. Würden diese nicht fristgerecht eingereicht, »können die Geldleistungen ganz versagt werden«. Für Martin Behrsing vom Elo-Forum ist das »ungeheuerlich«.

Hintergrund ist das lange Gezerre um die vom Bundesverfassungsgericht im Frühjahr 2010 angemahnte Anpassung der Regelleistungen. Statt wie gefordert zum Jahresbeginn 2011 traten die Neureglungen – auch die zum Bildungspaket – nach der Einigung im Vermittlungssauschuß erst am 24. März, aber mit Wirkung zum 1. Januar in Kraft. Wegen der Hängepartie konnten Betroffene bis zum Tag der Entscheidung gar nicht wissen, ob und nach welchen Modalitäten sie künftig Leistungen beanspruchen können. »Dann kann man von den Leuten auch nicht verlangen, daß sie jetzt Nachweise für die Zeit vorlegen, zumal sie die nachträglich vielleicht gar nicht mehr beschafft bekommen«, monierte Behrsing am Freitag im Gespräch mit junge Welt.

Die Problematik war wohl auch den politisch Verantwortlichen bewußt: Im betreffenden Gesetz ist nur eine Nachweispflicht ab 1. April festgeschrieben. Die Hartz-IV-Behörden handeln dem aber zuwider. Das Elo-Forum hat das Schreiben eines Berliner Jobcenters veröffentlicht, das dem Antragsteller die Vorlage einer ganzen Reihe von Dokumenten abverlangt: neben einer Schulbescheinigung sind das »Fahrkarten«, die »Rechnung des Caterers«, Belege über »Zahlung bzw. Kontoverbindung des Anbieters von Mittagsverpflegung« sowie ein »Angebot/Vertrag eines Leistungserbringers für soziale bzw. kulturelle Teilhabe«. Daran schließt sich die Drohung mit der Einstellung aller Geldleistungen an.

Nach Behrsings Schilderung findet sich diese Ankündigung als standardisierte Formel in vielen Schreiben der Hartz-Bürokratie. Der Wortlaut löse bei den Betroffenen »Angst und Entsetzen« aus. »Hier wird stur nach Schema F ein unzutreffender Textbaustein eingesetzt, der Antragsteller verunsichert und abschreckt.« Behrsing weiß von »bis zu 80 Jobcentern, die so verfahren«. Martin Künkler von der KOS sprach gestern gegenüber jW gar von einer »flächendeckenden Praxis«. Verantwortlich dafür sei eine »Weisung des Bundesministeriums für Arbeit, die allerdings jeder gesetzlichen Grundlage entbehrt«. Das Gesetz sehe vielmehr für die Übergangszeit bis Ende März »sinngemäß ein pauschales Abgelten der Leistungen für Mittagessen und soziale Teilhabe« vor. Künkler ist deshalb auch überzeugt, daß die Umsetzung der angedrohten Sanktionen »vor Gericht keinen Bestand« hätte.

Das sieht man wohl auch beim Arbeitsministerium (BMAS) so: »Verwehrt werden können immer nur die Leistungen, auf die sich die Mitwirkung beziehen soll«, hieß es am Freitag in einer Stellungnahme auf jW-Anfrage. Es wäre »sehr wünschenswert, wenn dies in den Formulierungen der Schreiben des Jobcenters auch unmißverständlich deutlich würde«. Auch was die Frage der Nachweispflicht betrifft, weist das Ministerium eine Mitschuld von sich. Die Kommunen seien verantwortlich dafür, »mit welchen Anforderungen, Nachweispflichten und Schreiben sie Leistungen (rückwirkend) erbringen«. Der Bund könne den Kommunen helfen, »aber keine Vorgaben machen«.

Mit derselben Masche reagierte auch die Bundesagentur für Arbeit (BA) auf die Vorwürfe. In einer Mitteilung nannte sie Drohung mit Leistungsentzug »mindestens mißverständlich, nach Einschätzung der BA sogar rechtswidrig«. Allerdings könne die Bundesagentur »diese Bescheide nicht durch eine Weisung aus der Welt schaffen«. Im konkreten Fall müsse die Berliner Senatsverwaltung »einschreiten«.

Quelle: Junge Welt vom 06.08.2011

Dieser Beitrag wurde am Samstag, 06. August 2011 um 13:32 Uhr veröffentlicht und wurde unter der Kategorie Blog abgelegt. Du kannst die Kommentare zu diesen Eintrag durch den RSS-Feed verfolgen.

«  –  »

Keine Kommentare

No comments yet.

Sorry, the comment form is closed at this time.

Kategorien

über mich

antifaschismus

Linke Links

NGO Links

Ökologie

Print Links

Archive

Sonstiges

Meta

 

© Marion – Powered by WordPress – Design: Vlad (aka Perun)